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Wie es ist, für die meistgehassten Unternehmen der Welt zu arbeiten

"Meiner Nichte habe ich immer erzählt, dass ich in einer Schokoladenfabrik arbeite, weil ich ölverschmiert nach Hause kam."
Illustration mit einem unglücklichen jungen Mann im Anzug vor rauchenden Schornsteinen, junge Menschen, die für die Tabakindustrie, Mineralölkonzerne und Rüstungskonzerne arbeiten, sprechen über ihre Gewissensbisse.
Illustration: Lily Lambie-Kiernan

Auf Partys gibt es wahrscheinlich keine nervigere Frage: "Und was machst du so beruflich?" Wer hat schon Lust, sich in seiner Freizeit an die 73 unbeantworteten E-Mails, die deprimierende Tupperdosenmahlzeit vom Dienstag oder das sinnfreie Gebrabbel über Learnings aus dem letzten Meeting zu erinnern? Aber für Menschen, die in umstrittenen oder sogar ethisch fragwürdigen Branchen wie der Öl-, Tabak- oder Rüstungsindustrie arbeiten, kann die Unterhaltung extrem unangenehm werden.

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Ben arbeitet seit zehn Jahren in der Öl- und Gasindustrie – und will unbedingt raus. "Ich versuche immer, nicht im Detail zu sagen, wo ich arbeite", sagt er. "Meiner Nichte habe ich immer erzählt, dass ich in einer Schokoladenfabrik arbeite, weil ich ölverschmiert nach Hause kam. Ich schäme mich für das, was ich mache."

Nach einer kurzen beruflichen Auszeit, in der er versuchte, in eine andere Branche zu wechseln, bekam er eine neue Stelle im technischen Vertrieb, wieder bei einem Mineralölkonzern. Wie alle, mit denen wir für diesen Artikel gesprochen haben, möchte Ben anonym bleiben, um keinen Ärger mit seinem Arbeitgeber zu bekommen.


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"Ich habe eine Menge Berufserfahrung, aber die bringt mir außerhalb der Öl- und Gasindustrie nichts", sagt er. "Während meiner Auszeit habe ich darüber nachgedacht, wie sehr ich hasse, was ich tue. Ich war sehr deprimiert und dachte mir: 'Dem Zeug hier habe ich Jahre meines Lebens gewidmet.' Das kann es einfach nicht wert sein."

Junge Menschen gelten als politisch engagiert und fortschrittlich in Sachen Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit. Aber in Wahrheit könnte keine dieser Branchen ohne Nachwuchs überleben. Es braucht also junge Menschen, die gegen Lohn ihre moralischen Grundsätze stummschalten können – auch wenn das Gehalt selbst in den unbeliebtesten Branchen nicht immer so gut ist. Ben verdient in einem Erdölkonzern in Großbritannien umgerechnet knapp 52.000 Euro im Jahr. Das ist weniger als Menschen, die in der Werbung, im Finanzbereich oder der Forschung arbeiten.

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George ist 27 und arbeitet für ein Tabakunternehmen. An den Folgen des Rauchens sterben jedes Jahr über acht Millionen Menschen, außerdem ist die Industrie für Massenabholzungen und Umweltverschmutzung auf der ganzen Welt verantwortlich. Nach der Uni "stürzte ich mich regelrecht auf die Chance", für eins der größten Tabakunternehmen der Welt im Bereich Sales zu arbeiten, sagt George. Das Einstiegsgehalt war exzellent, aber gleichzeitig sei ihm klar gewesen, dass dies kein Job fürs Leben sein würde.

Ethische Bedenken seien anfangs kein Thema gewesen, aber "ich erinnere mich, wie ich von meinen Freunden gerne als Zigarettenverkäufer aufgezogen wurde", sagt George. "Auf Hauspartys wurde ich immer als Zigarettenhausierer vorgestellt, so nach dem Motto: 'Der ist hier, falls wir mal Zigaretten brauchen.'"

Als George dann irgendwann eine leitende Position bekam, wurden Fragen nach seinem Beruf unbequemer für ihn. "Ich hatte Dates mit Leuten, die das nicht so gut aufgenommen haben. Sie fragten mich, wie ich so einen Job machen und gleichzeitig ein Mensch mit ethischen Prinzipien sein könne. Ich will deswegen eigentlich gar nicht mehr darüber sprechen." Am Ende ließ sich auch der nagende Gedanke nicht länger unterdrücken, dass Tabak nur eine Zwischenstation in seinem Lebenslauf sein sollte. Es war Zeit, sich etwas anderes zu suchen.

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Wie Ben versucht auch George jetzt, in eine andere Branche zu wechseln, aber er ist sich unsicher, wer ihn überhaupt einstellen will. "Ich weiß, dass ich in bestimmten Bereichen wie dem Gesundheitswesen nicht arbeiten kann, aber was ist mit Sport und Tech? Jedes Mal, wenn ich darüber nachdachte, das Unternehmen zu verlassen, hielt mich auch die Angst vor der Vorverurteilung durch potenzielle zukünftige Arbeitgeber ab." 

Einen seiner Tiefpunkte habe er 2020 erlebt, sagt Ben, als seine Vorgesetzten ihm auftrugen, über 60 Menschen zu feuern – im selben Jahr habe das Unternehmen einen Rekordgewinn erzielt. "Mineralöl- und Gaskonzerne verdienen mehr Geld denn je", sagt er, "aber wenn Menschen mehr Kraftstoff und Rohöl verlangen, halten die Unternehmen es zurück. Wenn sie nämlich den Markt übersättigen, sinken die Preise und sie verlieren ihre Gewinne." Am Ende, erklärt Ben, seien es die Verbraucher, die die Rechnung zahlen – und er will nicht länger Teil dieses Systems sein.

Verdienen Menschen wie Ben und George unser Mitleid? Eher nicht. Aber ihr Wunsch, die jeweilige Branche zu verlassen, ist schon mal ein gutes Zeichen – solange sie beispielhaft für viele jüngere Beschäftigte stehen, die sich von diesen Industriezweigen abwenden. Aber es gibt auch junge Menschen, die weiter ihre Arbeit in umstrittenen Tätigkeitsfeldern nachgehen wollen. So wie Katie, die im Bereich Nuklearwaffen arbeitet. Sie ist Managerin eines Programms zur Konstruktion und Instandhaltung britischer Atom-U-Boote.

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"Ich bin gegen Ende des Kalten Krieges aufgewachsen und seit meiner Kindheit habe ich eine morbide Faszination dafür, wie diese Dinge funktionieren", sagt Katie. Aber ist durch den russischen Überfall auf die Ukraine die Gefahr für einen Atomkrieg heute nicht so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr? 

"Ich baue ja nicht die Sprengköpfe, ich arbeite nur an den U-Booten, die mit ihnen ausgestattet sind. Ich konstruiere nicht das Ding, das Menschen töten kann", sagt Katie. "In meinem Kopf wird das eh alles von der Regierung finanziert. Macht das jetzt einen Unterschied, ob ich diejenige bin, die für den Job bezahlt wird?"

Erst in letzter Zeit hat sie sich mehr Gedanken über ihre Rolle in diesem Feld gemacht. "Bei den Nachrichten, die momentan aus Russland kommen, frage ich mich schon manchmal: 'Trage ich vielleicht doch in irgendeiner Form zu diesen Problemen bei?' Außerdem, wenn irgendwas furchtbar schiefläuft, wäre der Ort, an dem ich arbeite, am ersten dran. Wenn ich an dem Tag im Büro bin, an dem Putin sich dazu entscheidet, einen Angriff zu starten, bin ich erledigt."

Trotz der heftigen öffentlichen Kritik an den Branchen, in denen Ben, George und Katie arbeiten, verfügen sie weiterhin über große Macht, Einfluss und wirtschaftliche Kontrolle. Selbst Ben, der bei einem Mineralölkonzern arbeitet, sagt: "Ich kann mir nicht vorstellen, was ich oder selbst 10.000 von mir machen könnten, um etwas an der aktuellen Entwicklung zu ändern."

Und es gibt noch einen anderen Grund, warum die Insider derartig pessimistisch auf ihre Branchen blicken. Es hängen so viele Arbeitsplätze daran, dass Katie sagt, "es wäre unmöglich, sie loszuwerden". In ihren Augen tragen wir alle – von der Verantwortlichen für Sprengkopffertigung über den Lastwagenfahrer, der die Raketen transportiert, bis hin zur Steuerzahlerin, die solche Projekte finanziert – zur atomaren Aufrüstung bei.

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