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Drogen

​So könnten bald Coffeeshops in Berlin aussehen

Die Berliner Politik will jetzt offiziell Coffeeshops einrichten. Wir haben die wichtigsten Fragen dazu beantwortet.
Berliner Hanfparade 2015 | Foto: imago | IPON

Bis zu 100.000 regelmäßige Cannabis-Konsumenten gibt es in Berlin, schätzt der Deutsche Hanfverband. Aber obwohl die Hauptstadt eines der liberalsten Cannabis-Gesetze Deutschlands hat (bis zu 15 Gramm gelten hier noch als Eigenbedarf), ist das Kiffen auch hier noch genauso illegal wie im Rest des Landes.

Zwei Parteien wollen das ändern: Die Linken und die Grünen, die seit der Wahl im September auch in der Regierung sind. Die SPD, der stärkste Koalitionspartner und auch die Partei des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, ist nicht ganz so überzeugt: Bei einer Mitgliederbefragung im Herbst 2015 hatte sich eine knappe Mehrheit der Berliner Parteimitglieder gegen eine Legalisierung ausgesprochen.

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Vor allem die Linken haben ordentlich Druck auf die SPD gemacht, um das Thema trotzdem nach vorne zu bringen. Mit dem Vorschlag, den Eigenanbau von geringen Mengen praktisch straffrei zu machen und die Führerscheinverordnung zu entschärfen, ist die Partei trotzdem gescheitert—der SPD geht das zu weit. Aber es gab auch Erfolge: Erstens haben die drei Parteien sich geeinigt, die gründlich gescheiterte Null-Toleranz-Politik des abgewählten CDU-Innensenators wieder einzustampfen. Und zweitens, und das ist noch wichtiger: Die SPD hat sich darauf eingelassen, noch einmal ein Berliner "Coffeeshop-Modellprojekt" zu starten. Ja, ernsthaft, das steht jetzt ganz offiziell im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag. Das würde bedeuten, dass man in Berlin bald legal Cannabis kaufen kann.

Die Berliner Hanfparade 2015 | Foto: imago | Christian Mang

Leider kann die Stadt das nicht alleine entscheiden, sondern muss für das Projekt einen Antrag beim "Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte" (BfArM) stellen. Das hat aber diesmal bessere Erfolgsaussichten als letztes Mal, als die Kreuzberger Grünen das im Alleingang versucht haben und vom BfArM abgeschmettert wurden. Denn erstens wird der Antrag diesmal vom gesamten Berliner Senat kommen, hat also mehr Gewicht als ein popeliger Bezirksantrag. Und zweitens wird der Antrag wahrscheinlich erst nach der Bundestagswahl 2017 fertig sein—was bedeutet, dass wir dann eine neue Bundesregierung haben könnten, die aufgeschlossener gegenüber solchen Experimenten ist.

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Also: Sicher ist noch gar nichts. Trotzdem haben wir uns mal angeschaut, wie diese Coffeshops eigentlich funktionieren würden, für die sich Berliner Politiker jetzt einsetzen:

Wer dürfte Gras verkaufen?

Theoretisch alle, die beim Träger des Projekts dazu einen Antrag gestellt haben. Hierzu bedürfte es eine Schulung zu Substanzkunde und Safer Use sowie dazu, Beratungs- und Behandlungsbedarf bei problematischem Konsum zu erkennen.

Als geeignet dafür sehen Politiker freie Träger der Suchthilfe, Apotheken, Gewerbetreibende aus den Bereichen Head- und/Growshops oder dem Gartenbau. Das Verkaufspersonal müsste eine Schulung absolvieren und eng mit dem Träger, also dem Land Berlin, zusammenarbeiten.

Wer dürfte Gras kaufen?

Alle volljährigen Berliner/innen. Voraussetzung ist die Bereitschaft, an einer anonymen wissenschaftlichen Begleitstudie teilzunehmen. Offiziell bekäme dann jeder Kunde eine "anonymisierte, über eine Identifikationsnummer (ID-Nummer) personalisierte Zugangsberechtigung (ID-Karte), die mit einem Lichtbild versehen wird"—also eine Art Kiffer-Ausweis mit staatlicher Datenschutzgarantie.

Eine weitere Bedingung könnte ein "selbstverantwortliches Führen eines Konsumtagebuchs" sein. So sollen die Teilnehmenden zu einem "kritischen und reflektierten Konsum befähigt werden". Ob das dann irgendjemand kontrolliert, wissen wir nicht. Es hindert dich aber niemand, es deiner Katze vorzulesen.

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Wie wird gedealt?

Das Verkaufspersonal soll die Kunden über die Suchtrisiken der angebotenen Cannabis-Produkte, riskante Konsumformen und -muster sowie über schadensminimierende Konsumformen aufklären. Die Politik will fördern, dass Verdampfer (Vaporizer) benutzt werden und tabakloser konsumiert wird. Bei Anzeichen für ein abhängiges oder riskantes Konsummuster müssen die Berater auch Möglichkeiten der Suchtberatung und der ambulanten und stationären Therapie ansprechen.

Wie viel Gras dürfte man kaufen?

60 Gramm im Monat, wobei bei einem Verkaufsvorgang nicht mehr als zehn Gramm über den Tresen gehen dürfen. Dieser Wert orientiert sich an der Menge, die laut des Bezirksamts in Friedrichshain/Kreuzberg von Fachkräften aus Drogenberatungsstellen als Indikator für abhängigen Konsum genannt wird.

Verkauft wird ausschließlich Gras und Haschisch, Öle oder Konzentrate spielen bei den Fachgeschäft-Ideen in Berlin, Frankfurt, Münster oder Bremen bislang keine Rolle. Die Verkaufseinheiten sollen in maximal Ein-Gramm-Portionen versiegelt werden. So soll bei Polizeikontrollen eindeutig bestimmt werden, ob es sich um legal oder illegal erworbenes Weed handelt. Die Packung soll Warnhinweise ähnlich wie bei Tabakprodukten sowie genaue Angaben zum Wirkstoffgehalt und der Sorte zeigen.

Wo käme das Gras her?

Entweder aus den Beständen des medizinischen Cannabis, das ab 2017 in Deutschland angebaut werden soll. Oder direkt aus Berlin, so wie es der Antrag des Szenebezirks vorgesehen hatte. Natürlich nachhaltig, CO2-neutral und 100 Prozent "Bio".

Wie teuer wird das Weed sein?

10 bis 11 Euro pro Gramm. Dieser Preis soll die Kosten für die Investitionen und die wissenschaftliche Begleitforschung finanzieren. Ein solcher Preis ermögliche zudem keine Gewinnspanne für illegalen Weiterverkauf, falls Kunden über Monate hinweg die Höchstmenge erwerben, um sie zu verchecken.

Darf man im Shop dann auch kiffen?

Die Cannabis-Fachgeschäfte sollen so gestaltet sein, dass neben dem Erwerb auch der Konsum der erworbenen Produkte möglich sein soll. So sollen neben Rückzugsmöglichkeiten auch Raum für Beratungsgespräche vorhanden sein—falls bei Stammkunden problematische Konsummuster oder unerwünschte Nebenwirkungen vom Cannabis-Konsum auftreten.

WIE VIELE SHOPS MÜSSTE ES GEBEN?

In Friedrichshain/Kreuzberg waren einst vier Shops geplant. Das hieße, ein Modellprojekt in ganz Berlin müsste ungefähr 52 Shops erfassen—vorausgesetzt, der Bezirk hat im Rahmen des Antrags 2014 richtig gerechnet. Doch bei mindestens 100.000 regelmäßigen Kiffern in der Hauptstadt wäre selbst das ziemlich knapp.

Wo dürften die Shops liegen?

Ganz nach Amsterdamer Vorbild nicht in direkter räumlicher Nähe einer Schule oder einer Einrichtung, die vorwiegend von Kindern oder Jugendlichen aufgesucht wird.

Wer verdient?

"Unter den Bedingungen der Teilnahme am regulierten Verkauf von Cannabis in Friedrichshain-Kreuzberg ist keine Simulation eines realen Wirtschaftsverkehrs mit Cannabis vorgesehen", hieß im abgelehnten Antrag. Mögliche Gewinne müssten ins Projekt reinvestiert werden, über die genaue Verwendung entscheidet ein Projektbeirat. Soll heißen: Wird mehr verdient, als der Laden zum Laufen braucht, entscheidet das Land, was mit den Gewinnen passieren soll.

Wer kontrolliert?

Die Ordnungsämter der Berliner Bezirke kontrollieren, ob alle Vorschriften und der Jugendschutzes eingehalten werden, sie arbeiten zusammen mit den Jugendämtern und der Berliner Polizei.

Und wenn zu viel gekifft wird?

Das Ziel eines Cannabis-Modellprojekts ist, die gesamte Kette von der Produktion bis zum Verbrauch streng zu regulieren, um Gesundheits- und Jugendschutz sowie Kriminalitätsbekämpfung zu gewährleisten. Stellt die Begleitstudie fest, dass statt dessen zu viel gekifft und zu wenig vorgebeugt wird, ist das Projekt zu Ende und die Shops werden wieder geschlossen.

Wann könnte es die ersten Shops geben?

Sollte der Antrag tatsächlich genehmigt werden, wird es frühestens 2018 oder 2019 Coffeeshops in Berlin geben. Bis dahin bleibt der Görlitzer Park wohl oder übel zweckentfremdet, egal ob null oder ganz viel Toleranz.

1 Die Zahl stammt aus dem Jahr 2012, aber laut einem Bericht der Landesregierung hat sich die Zahl in den Jahren davor kaum verändert, die Tendenz ist aber leicht sinkend.

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