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Sex

One-Night-Stand-Syndrom

Stell dir vor, du wachst jeden Morgen neben einem fremden Menschen auf. Aber du bist kein Player, sondern ein Psycho.

Kennst du das Gefühl, nach einer durchzechten Nacht morgens aufzuwachen und unerträgliche Schmerzen zu haben, die nur noch von der schwindelerregend ekelhaften Scham übertroffen werden? Und dann wird dir klar, dass da ein warmer, nackter Körper neben dir liegt und du keine Ahnung hast, wer das ist? Du spürst, wie ein haariger Arsch deine nackten Hüften streift und kennst noch nicht einmal den Vornamen desjenigen.

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Genau so geht es diesem Mann jeden Morgen, und nicht etwa, weil er ein Player ist.

„Ich bin mit dieser Frau nicht verheiratet. Meine Ehefrau ist tot. Schafft sie fort von mir!“, rief er in der Notaufnahme, während eine nachlässig gekleidete Frau verzweifelt versuchte, ihn zu umarmen.

Der Psychiater in der Notaufnahme erzählte mir, was es mit diesem Mann auf sich hat. Der Versicherungsangestellte mittleren Alters hatte seinen Kollegen erzählt, seine Frau sei vor zwei Monaten verstorben. Als er eines Tages nicht zur Arbeit erschien, kam ein Freund aus dem Büro bei ihm vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Zu seiner Überraschung öffnete seine durchaus sehr lebendige Frau die Tür. Verwirrt über die Auferstehung der Toten sah sich der Freund gezwungen, ihr mitzuteilen, dass sie doch eigentlich verstorben sei.

Als die Frau ihren Mann zur Rede stellte, wurde dieser unruhig und wütend. Sie rief den Notarzt, aber als der eintraf, hatte sich ihr Ehemann beruhigt, grüßte freundlich die Sanitäter und deutete mit dem Finger auf seine Frau: „Diese Person hier ist in mein Haus eingedrungen und behauptet, sie sei meine Frau. Sie ist verwirrt und, wie ich fürchte, eine Gefahr für sich selbst.“ In diesem Moment fing Frauchen an zu schreien—immer eine gute Reaktion, wenn deine geistige Gesundheit in Frage gestellt wird. Die Sanitäter waren ratlos, wer denn nun verrückt war. Schließlich bewies die Ehefrau, dass sie im Recht war, und kramte ein altes Hochzeitsfoto der beiden hervor.

Gegenüber dem Psychiater bekräftigte der selbsternannte Witwer nochmals, dass sie eine Hochstaplerin sein müsse und er keine Probleme habe, seine anderen Familienmitglieder wiederzuerkennen und auch sonst keine Anzeichen einer Psychose vorzuweisen hatte. Er erklärte, dass diese Frau nach dem Verschwinden seiner wahren Gattin damit angefangen hatte, in seinem Zuhause zu leben und so zu tun, als sei sie seine Ehefrau. Zugegebenermaßen sah sie seiner alte Frau auf unheimliche Weise ähnlich. Er gab sich alle Mühe, ihre Avancen abzuwehren. Sie wiederum gab zu, dass die beiden schon viele Wochen lang keinen Sex gehabt hätten. Sie nahm jedoch an, die Beiden hätten schlicht Eheprobleme. Ach was!

Das Capgras-Syndrom wird als Wahnvorstellung definiert, bei dem der Patient glaubt, dass eine oder mehrere Personen durch Doppelgänger ersetzten worden sind. Niemand weiß so richtig, was das Syndrom auslöst, jedoch wird es mit einem Schädel-Hirn-Trauma in Verbindung gebracht. Eine dauerhafte Heilung gibt es nicht. Es fühlt sich wohl so an, als wärest du der Held in einem Film, in dem sich die ganze Welt gegen dich verschworen hat, um dich zum Sex mit dem Teufel zu zwingen.

Ich aber musste immerzu denken: „Und was ist, wenn er Recht hat?“

Manchmal bin ich neidisch auf Psychiater. Wo ich meine Finger in den Arschlöchern anderer Menschen versenke, von Betrunkenen beschimpft und angekotzt werde, dürfen die sich mit Menschen unterhalten, die nun mal außerhalb der gesellschaftlich akzeptierten Grenzen denken. Das macht sie schon per Definition interessanter, als es der übliche Müllhaufen aus Alltag und Wiederholung hergibt. Für gewöhnlich kommen die Menschen ins Krankenhaus, um zu jammern oder zu sterben. Ein bisschen Wahnsinn kann da sehr erfrischend sein.