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Warum Giovanni seine Bella besser niemals finden sollte

Ein Tourist sucht eine Frau, die er auf dem Karneval der Kulturen geküsst hat. Süße Story, oder eher Stalker-Verhalten?

Ein 22-Jähriger Italiener knutscht auf dem Karneval der Kulturen mit einem unbekannten Mädchen. Jetzt sucht er mit einem Internetvideo nach seinem Urlaubsflirt aus Berlin—und es entsteht ein zweifelhafter Hype. Seit die BILD sich der Geschichte angenommen hat, wird auch hierzulande hektisch nach „der Glücklichen" gesucht. Aber was wenn die das gar nicht will?

Romantisch soll es sein, ein Märchen aus dem wahren Leben: Beim diesjährigen Karneval der Kulturen, Ende Mai in Kreuzberg, bandelt ein italiensicher Tourist mit einem hübschen deutschen Mädchen an. Die Dame habe während des Karnevals auf einem Tisch getanzt und ihn dann zu sich gewunken. So schnell wie sie sich kennenlernten, hat er sie in der Menge auch schon verloren. Wenig später sucht ganz Italien nach der Frau, von der es gemeinsame Fotos gibt.

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Sie feierten zusammen in der Gneisenaustraße und küssten sich. Nach ihrer Nummer wollte er sie nicht fragen. Zu traurig wäre er über seine baldige Abreise geworden. Dann verschwand sie in der Menschenmasse und Giovannis italienisches Herz gleich mit. Zu Hause scheint es ihn so schlimm erwischt zu haben, dass er sich zu einem drastischen Schritt entschließt: Einen Monat später startet Giovanni eine Suchaktion im Internet. In einem Video vermutet er stark, er wäre „seinem Schicksal begegnet" und bereut, „davongerannt" zu sein. „Wenn sie will", betont er „dann sehen wir uns auf diesem Wege wieder."

Die Aktion, die zunächst auf einem italienischen Blog über Berlin erschien, wird von den Leitmedien des italienischen Boulevards aufgegriffen. Schon bald schwappt die Geschichte unter dem Hashtag #aiutiamogiovanni („Lasst uns Giovanni helfen") nach Deutschland und landet bei der BILD. Diese inszeniert das Ganze natürlich als die mutige Verzweiflungstat eines hoffnungslos verliebten Jünglings – und blendet die juristischen und moralischen Grenzüberschreitungen gegenüber der jungen Frau völlig aus.

Die Tatsache, dass von einem fremden Menschen aus einer entfernten Perspektive Fotos gemacht werden, erscheint an sich schon ungewöhnlich. Diese Fotos dann auch noch ohne Bedenken an die breite Öffentlichkeit zu geben, ist wohl zumindest gewagt. Hinzu kommt die Taktlosigkeit, ihre Anonymität anzugreifen. Diese wurde vielleicht ganz bewusst gewahrt. Nicht zuletzt sind Berliner Clubs und Partys wegen ihres hohen Grades an anonymen Begegnungen so beliebt.

Anders ausgedrückt: Die Dame knutscht (unter Einfluss enthemmender Substanzen?) mit einem hübschen Südländer. Sie verrät ihm nicht einmal ihren Namen und sie verlieren sich (oder sie verdrückt sich?) im Getümmel. Woher wissen wir, dass sie ebenfalls an einem Widersehen interessiert ist? Wir wissen nicht einmal, ob sie sich an diese Episode erinnern kann, geschweige denn über die öffentliche Bekanntmachung dieser erfreut wäre. Alles was wir sehen, ist ein fröhliches Mädchen ohne Namen, das so schnell bestimmt nicht mehr mit einem Fremden auf der Straße knutschen wird.

Solche Aktionen sind eine üble Nebenwirkung der globalisierten und digitalisierten Gesellschaft. Sie stellen den künstlichen Wert einer emotionalen Story über die Persönlichkeitsrechte einer jungen Frau. Bleibt zu hoffen dass Vorgänge wie dieser eine Ausnahme bleiben—und was auf Partys passiert, auch dort bleibt.

Sowohl die Bild als auch die BZ haben mittlerweile ihre Artikel offline genommen.