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„Randale als Selbstbefriedigung“ – Was bringt die Gewalt bei Blockupy?

Wir haben einen überzeugten Linken gefragt, was er von den Ausschreitungen in Frankfurt hält.
Foto: Björn Kietzmann

Oliver Höfinghoff ist Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus. Bis Mai letzten Jahres war er Fraktionsvorsitzender der Berliner Piraten und gehörte zum linken Flügel der Partei. Im September verließ er die Piraten und ist seitdem parteiloser Abgeordneter. Auf Twitter ist er als @Riotbuddha unterwegs, was ihn praktisch automatisch zum Experten für Militanz-Fragen macht.

Blockupy zeichnet sich dadurch aus, auf mehreren Ebenen zu polarisieren. Sei es durch eine verkürzte Kapitalismuskritik, von der sich auch Zinskritiker und völkische Kapitalismuskritiker angezogen fühlen, sei es durch die in der Presse allgegenwärtige Gewaltdebatte.

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So undifferenziert und heterogen die Aktivist*innen und ihre politischen Forderungen—so eindeutig die Berichterstattung: Es dominieren Bilder von brennenden Autos, Steine schmeißenden Demonstranten und NATO-Draht im Frankfurter Stadtbild. Schnell ist der Konsens für die Vermittlung der Bilder gefunden: „Linksextreme Randalierer legen die Stadt in Schutt und Asche - XXX Polizisten verletzt - Schaden in Millionenhöhe". Auf Twitter reagiert die bürgerliche Politik von Grün bis Union (und weiter rechts) mit „Abscheu und Entsetzen", Innenpolitiker fordern härtere Maßnahmen gegen „gewalttätige Demonstranten".

Vor Ort liegt der Hauch (oder Qualmgestank) einer Revolution in der Luft, die so niemals kommt. Sie kommt nicht—trotz der brennenden Polizeifahrzeuge, erst recht nicht wegen der entglasten Schaufenster von der Sparkasse an der Ecke. Sie kommt aber auch nicht durch friedliche Demonstrationen, in denen eben jede gewalttätige Aktion unterbleibt, die aber von der Polizei über Stunden eingekesselt wird.

Insgesamt geht die Strategie der Staatsgewalt bei allen linken Demonstrationen bisher auf. Die Kritik an den Auswirkungen des Kapitalismus geht hinter der Empörung über „linke Radalierer" verloren. Es gibt und gab keine linke Revolution in Deutschland, die erfolgreich gewesen wäre. Seit Bestehen der Bundesrepublik gab es nicht einmal den Versuch dazu. Die '68er Studentenbewegung war zwar eine Revolte, aber eben nicht systemgefährdend.

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Wenn nun im Jahre 2015—in dem das Gewaltmonopol des Staates in der Mehrheitsgesellschaft so akzeptiert ist wie nie zuvor—Autos angezündet und Gebäude angegriffen werden, erreicht man damit nichts, als dass sich eine bereits kleine Szene von Sympathisanten enger zusammenschweißt. Der große Rest der Gesellschaft begibt sich keineswegs in die allgemein geächtete Position, diese Gewalt durch Solidaritätsbekundungen zu legitimieren. Im Gegenteil: Eine breite Allianz, die jeden linken Protest ablehnt, bestätigt sich selbst und wird bestätigt.

Was bleibt, ist wenig mehr als Riot-Romantik. Die Bestätigung des eigenen Handelns durch die staatliche Repression als Reaktion darauf. Dieser aber einen politischen Inhalt zuzuschreiben und mehr als den Selbstzweck zu attestieren, fällt schwer.

Inhaltlich bewegt sich die Berichterstattung über Blockupy in etwa auf dem schon ritualisierten Level der 18.00-Uhr-Demo am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg. Irgendwas mit Banken und Kapitalismuskritik und Gewalt. Die ebenso automatisch stattfindenden Distanzierungen von Grünen, Linken oder dem DGB ändern nichts daran: Von den friedlichen Demonstrationen, die sie selbst initiieren, gibt es kaum Bilder und Berichterstattung. Das mediale Interesse liegt auf den Riots in Frankfurt. Und von denen wird sich fleißig distanziert, woraufhin sich die militanten Gruppierungen im Gegenzug wieder von den Gemäßigten distanzieren—und noch mehr isolieren. So kommt es zur Spaltung aufgrund des jeweiligen Aktionsspektrums statt wegen inhaltlicher Differenzen (die oft genug noch hinzukämen).

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Im Song „2. Mai" von Grim 104 heißt es: „Egal wie viele Flaschen wir auch schmeißen, es ändert nichts! - Egal wie hart wir pogen, die Welt behält ihr Gleichgewicht!". Was erreichen wir mit militanten Aktionen gegen ein System, in dem jede Sachbeschädigung bereits eingepreist ist?

Wir sollten uns also endlich fragen, worin der Sinn gewalttätiger Aktionen im antikapitalistischen Kontext besteht. Die Antwort muss differenziert ausfallen. Es besteht ein Unterschied, ob „besorgte Bürger" gewaltsam davon abgehalten werden, eine Flüchtlingsunterkunft anzuzünden, die Räumung eines besetzen Hauses verhindert wird oder ob auf einer Demonstration Molotow-Cocktails auf Polizei oder Rettungskräfte geschmissen werden.

Die Frage nach dem Sinn einzelner Aktionen ist es, die in der öffentlichen Debatte einfach viel zu kurz kommt. Pauschales Verurteilen jeglicher direkter Aktion ist ebenso falsch wie die bedingungslose Solidarität mit allem, auf dem ein roter Stern klebt.

Gewalt als Ausdruck der Frustration über den Status quo ist sicher oftmals die Reaktion auf die eigene Ohnmacht, mit der viele Menschen angesichts institutioneller Gewalt gegenüber Flüchtlingen oder wirtschaftlich Schwächeren konfrontiert sind. Sie bleibt jedoch ohne Koordination—und vor allem ohne konkretes Ziel—genau auf diesem Level gefangen. Sie erscheint sinnlos und ist es in den meisten Fällen auch.

Hannah Arendt sagte: „Die Revolutionäre machen nicht die Revolution! Die Revolutionäre sind diejenigen, die wissen, wann die Macht auf der Straße liegt und wann sie sie aufheben können!" Ganz offensichtlich liegt die Macht derzeit nicht auf der Straße.

Sie liegt an verschiedenen Stellen—in Parlamenten, Amtsstuben, Redaktionsräumen und Vorstandsbüros. Da kann sie ohne entsprechenden Rückhalt einer kritischen Masse nicht einfach mit Gewalt herausgeholt werden. Die Macht liegt dann auf der Straße, wenn die Delegitimierung der machthabenden Institutionen größer ist als der Schrecken der machterhaltenden Repression.

Trotz sinkender Wahlbeteiligungen sieht es nicht danach aus, dass es bereits ansatzweise so weit ist. Im Gegenteil, durch die ungezielten Attacken aus den Reihen der Demonstrationen delegitimieren sie sich selbst, wenn sogar Flüchtlinge und soziale Einrichtungen oder Rettungskräfte im Einsatz aus Versehen angegriffen werden.

Revolten sind und bleiben sinnlose Gewalt, wenn von ihnen kein emanzipatorisches Moment ausgeht. Leider lässt Blockupy nicht erkennen, dass die Randale dort mehr als der Selbstbefriedigung dient.