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Popkultur

Sehsüchte spielt dieses Jahr mit Exzessen in unserer Jugend

Europas größtes internationales Filmfestival für Studenten mit richtig Talent und das Thema ist „Exzess". Und wir sitzen in der Jury.

Wenn ein Haufen Studenten ein Filmfestival zum Thema Exzess organisiert, kann es schon mal chaotisch zugehen. 1000 Filme wurden dieses Jahr eingeschickt, da ist es nicht verwunderlich, wenn man sich über die Wahl der Filme streitet. „Die Organisation des Festivals ist ein richtiger Fulltime-Job. Das Studium rückt da schon mal in den Hintergrund", sagt der 27-jährige Master-Student Hauke Bartel, der sich zusammen mit zwei weiteren Studenten der Medienwissenschaft, Katharina Schwarz und Robert Mietusch, die Festivalleitung teilt.

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Hauke Bartel

Dieses Jahr soll das Thema des Festivals „Exzess" im Fokus stehen. In den Medien ist der Begriff im Bezug auf die Finanzwirtschaft oft ein negatives Reizwort, wenn es um skandalöse Exzesse der Banker oder Rettungsschirme in Milliardenhöhe geht. Gerade für die ältere Generation ist das oft ein totales Stigma. Aber die jungen Leute sehen das anders. Vor allem in Berlin wird ja viel gefeiert und wir schlagen gerne auch mal über die Stränge. Da kommen faszinierende oder auch abschreckende Grenzerfahrungen zu Tage.

Europas größtes internationales Studentenfilmfestival kommt aus Potsdam: Vom 23. bis 28. April lädt die Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf" zum 42. Mal den internationalen Film- und Fernsehnachwuchs zu seinem Sehsüchte-Festival ein.

Während der sechs Festivaltage werden 120 Filme aus 20 Ländern präsentiert. Hauke mag finnische Filme und nennt Treffit („The Date") als einen seiner Favoriten. In dem Kurzfilm von Jenni Toivoniemi bekommt der 16-jährige Tino Besuch von zwei Frauen mit Katze. Das Date ist jedoch nicht für ihn, sondern für seinen Kater Diablo, der sich im Nebenzimmer lautstark mit der Katze vergnügt, während sein Besitzer die beiden Frauen mit Smalltalk bei Laune halten darf.

Sido, Specter und Bushido

Dieses Jahr kann sich der deutsche Film international ganz gut sehen lassen. Selbst wenn die meisten Filmeinreichungen für das Festival in der Regel aus Deutschland kommen, fällt dieses Jahr auf, dass überproportional viele deutsche Filme ins Programm genommen wurden. So zum Beispiel der Spielfilm Oh Boy, der beim Deutschen Filmpreis am 26. April für acht Preise nominiert ist. Einer der Schauspieler Tom Schilling und Regisseur Jan-Ole Gerster wollen gerne zum Screening von Oh Boy am Samstag vorbeikommen, wenn sie nicht zu verkatert sind. Falls sie es schaffen, können sie direkt auf der Abschlussparty der HFF am Samstagabend mit der Feierei fortfahren: Ein Konzert der Berliner Indiepop-Band ABBY steht auf dem Programm.

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34 Masterstudenten aus verschiedenen Bereichen sind im Kernteam der Organisatoren: Da gibt es neben den Medienwissenschaftlern auch Sprachwissenschaftler, Regie- oder Animationsstudenten. Es gab auch einen Trailer, bei dem der Titel „Sehsüchte" mit verschiedenen Materialien visuell dargestellt wurde—die Idee, Effekte live von Hand zu kreieren kam von den Animationsstudenten der Hochschule. Umgesetzt wurde der Dreh vom gesamten Team, der symbolisch für den Prozess des Filmemachens oder auch der Organisation eines Festivals ist. „Viele Hände schaffen gemeinsam etwas ungewöhnliches Neues", meint Hauke.

Im Jahr 1972 aus den FDJ-Studentenfilmtagen der Hochschule für Film und Fernsehen entstanden, wurde das Festival nach der Wende in das neue Potsdamer Filmfest integriert, um 1995 als „Sehsüchte" wieder ins Leben gerufen zu werden. „Wir versuchen, so professionell wie möglich zu arbeiten, aber 120 internationale Filmemacher in Potsdam unterzubringen, ist ein enormer logistischer Aufwand. Hinzu kommt die intensive Programmgestaltung. Doch wir genießen es dabei, auch nach wie vor Studenten zu bleiben." In erster Linie dient das Festival als Plattform für den Filmnachwuchs. Dort können sich die Besucher kennenlernen, sich austauschen und Neues entdecken.

Auch die Wahl der Juroren ist für das Festival von großer Bedeutung: „Wir müssen eine Balance schaffen zwischen etablierten Größen der Filmebranche, wie z.B. dem deutschen Regisseur Andreas Dresen, der dieses Jahr auch Jurymitglied der Berlinale war, und auf der anderen Seite die 83-jährige Isolde Schmitt-Menzel, die Erfinderin der Maus aus der KinderserieDie Sendung mit der Maus", sagt Hauke. „Es ist spannend, wenn so verschiedene Leute in der Jury aufeinandertreffen und ganz eigene Maßstäbe setzen." Neben fachlichem Know-how erwarten die Organisatoren von den Juroren Aufmerksamkeit für den Nachwuchs. „Wir wollen keine Filmmacher, die so dick im Geschäft sind, dass sie kein Interesse daran haben, was so ein paar Nachwuchsstudenten tun", meint Hauke. Unser VICE-Chefredakteur Tom Littlewood ist auch ein Jurymitglied, genauso wie Specter Berlin, Mitbegründer von Aggro Berlin, und der Berliner Musikvideoregisseur und -produzent Philipp Virus, die die herausragendsten Filme zum Fokusthema „Exzess" auswählen. Über den besten Dokumentarfilm entscheiden der HFF-Absolvent David Sieveking, die deutsche Filmemacherin Irene Langemann, der serbische Newcomer Dragan von Petrovic und die deutsche Regisseurin Helke Misselwitz. Das beste Musikvideo kürt die freie Regisseurin Sandra Marschner zusammen mit den beiden Musikfilmproduzenten Benjamin Wolf und Fabian Martin Dierin und dem DJ und TV-Moderator Jan Köppen.

Workshops und Podiumsdiskussionen gehören auch zum Programm. Dieses Jahr gibt es auch einen Thementag in Zusammenarbeit mit dem DAAD über die Mobilität von jungen Filmschaffenden. Über neuartige Innovation wird am Tag der „Retrospektive" spekuliert, der dieses Jahr um die „Futurospektive" ergänzt wird. Dabei wird geschildert, wie heute und in der Vergangenheit innovative Formen des Filmemachens entwickelt und vorangetrieben wurden. „Das Schöne daran ist, dass viele sich über die nächsten technischen Trends austauschen", sagt Hauke, „aber letztendlich kommt doch alles anders."

Alle Filmvorführungen und das Rahmenprogramm laufen dieses Jahr auf dem neuen Sehsüchte-Campus im Hochschulgebäude der HFF „Konrad Wolf" und im großen Kino der Rotor Film Babelsberg GmbH auf dem Gelände der Studios Babelsberg. Tickets werden am ersten öffentlichen Festivaltag am 24. April vor Ort verkauft. Akkreditierungen und Dauerkarten kosten 35 Euro, ermäßigt 22 Euro.