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Gurkenernten, Sex in Fiakern und skurrile U-Bahn-Namen: Das Beste von #WienFakten

#WienFakten sind der ganzjährige Adventskalender, von dem wir nie wussten, dass wir ihn brauchen.
Foto: Public Domain | Logo: Manfred Zeisberger

Jeden Tag gegen 20:30 Uhr, mit der Zuverlässigkeit eines Schweizer Uhrwerks, jagt der Wiener Thomas Harbich einen Sachverhalt mit Regionalbezug in die hiesige Twitter-Sphäre. Dass der Rathausmann Schuhgröße 63 hat, zum Beispiel. Oder dass das Rathaus selbst 2035 Fenster zählt. Es hat etwas angenehm Beständiges, fast schon Rituelles, jeden Abend einen neuen Wien-Fakt in die Timeline serviert zu bekommen. Ein bisschen wie ein Adventskalender, der das ganze Jahr über läuft.

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Seit Oktober 2014 veröffentlicht Thomas Harbich regelmäßig Fakten über Wien auf seinem Twitter-Account (nur echt mit #WienFakt-Gütesiegel-Hashtag) und auf seinem Blog. Ursprung der Idee war ein spontaner Tweet über Bäume in Döbling, der in all seiner glorreichen Nutzlosigkeit (es gibt 2222 Ahornbäume in Döbling) entgegen aller Erwartungen ziemlich viele Leute zu interessieren schien.

Zwei Jahre später kann der 29-Jährige auf eine ordentliche Bilanz zurückblicken: 732 Fakten, rund 21.000 Favs und Retweets, über 500 Stunden Arbeit, fast 100 Kilo gewälzte Bücher und drei Medienberichte—vier, wenn man diesen hier mitzählt.

Thomas Harbich studiert Geschichte und Geografie auf Lehramt in Wien und beide Themenfelder zeichnen sich deutlich in den Wien-Fakten ab. Aller Voraussicht nach wird er also irgendwann der Typ Lehrer sein, der bei der mündlichen Prüfung fragt, welche Wiener U-Bahn-Station eigentlich die einzige ist, in der alle fünf Vokale genau einmal vorkommen. Und seine Schüler werden wissen, dass es die Station Donauinsel ist—denn das ist nun mal ein #WienFakt.

Es sind solche kleinen Wissensfetzen, die hängen bleiben. Außerdem streut man sie gerne willkürlich während einer betrunkenen U-Bahn-Fahrt in die Menge, um damit die eigene Zurechnungsfähigkeit unter Beweis zu stellen—vergeblich (versucht mal, "D-o-n-a-u-i-n-s-e-l" zu lallen). Und wenn man mit der Tante an der Hofburg vorbeispaziert, kann es auch nie schaden, ganz nonchalant zu erwähnen, dass manche Lipizzaner in der Spanischen Hofreitschule übrigens mit "Professor" angesprochen werden. Die Tante wird aus dem Staunen nicht herauskommen.

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Die Station „Donauinsel

— Thomas H. (@Tom_Harb)22. Oktober 2016

"Wien-Fakten" greifen das Konzept von zunächst sinnlos wirkenden Informations-Häppchen jedoch nicht als erstes auf: Die Neon hat bereits 2008 "Unnützes Wissen" quasi als eigene Kunstform etabliert, unnuetzes.com aus Linz zählt beinahe 900.000 Fans auf Facebook, Seiten wie "Faktastisch" brachten sogar schon eigene Satire-Ableger hervor. Und mit "Unnützes Wienwissen" vom Magazin Stadtbekanntgibt es eigentlich auch schon einen Wien-spezifischen Ableger—der allerdings nicht ganz mit Harbichs Fakten vergleichbar ist.

Zunächst mal muss jeder Wien-Fakt auf mindestens drei Quellen basieren, bevor er überhaupt zum Wien-Fakt erhoben wird. Halbwahrheiten oder Geschichten, die auf Hörensagen oder Schätzungen gründen, kann man also guten Gewissens ausschließen.

"Es gibt bestimmt Geschichten, die sowohl bei den Kolleginnen und Kollegen von Stadtbekannt als auch bei mir schon vorkamen", sagt Harbichs gegenüber VICE. "Weil ja auch der Pool an Wien-Geschichten und Fakten leider nicht unendlich groß ist. Deshalb kann ich auch schwer vorhersagen, wie lange es die Serie noch geben wird—weil es mitunter schon schwer ist, noch überraschend Neues zu finden."

Der bislang erfolgreichste Wien-Fakt ist—gemessen an der Anzahl der Retweets—übrigens eine Anekdote über sogenannte "Porzellanfuhren". Demnach fuhren Wiener Fiaker früher besonders langsam und vorsichtig, wenn den Gästen während der Fahrt ein ungestörter Beischlaf ermöglicht werden sollte. Ihr kennt das von eurem Taxifahrer.

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Bei sog. „Porzellanfuhren

— Thomas H. (@Tom_Harb)16. Oktober 2016

Harbichs persönliche Highlights sind aber eher die kniffligen Fälle, die intensivere Recherche verlangen und dabei oft im Aufdecken von weitverbreiteten Falschinformationen resultieren: "In der Literatur und im Netz ist zum Beispiel oft zu finden, dass Jakob Zelzer der Erste gewesen sei, der am Zentralfriedhof begraben wurde. Wenn man aber nachforscht, ist es so, dass er bloß der einzige des ersten Bestattungstages ist, dessen Grabstein noch erhalten ist—weil er der Einzige war, der sich damals einen leisten konnte."

Einige von euch werden jetzt empört "Aber ich habe ja gar kein Twitter!" schreien und ja, ein bisschen ist das natürlich auch euer Pech—Thomas fühlt sich auf Facebook nämlich einfach nicht so wohl, und bevor er es mit einer eigenen Facebook-Page "vermutlich nicht gut machen würde", lässt er es lieber ganz bleiben. Glücklicherweise gibt es da jemanden, der das Potential der Wien-Fakten, eine Welt jenseits von Twitter zu erobern, bereits erkannt hat: die Stadt Wien selbst. Seit September werden die Fakten unregelmäßig auf der offiziellen Facebook-Page der Stadt geteilt.

Mittlerweile haben Harbichs Tweets auch einen Berliner Ableger inspiriert, der unter #BerlinFakt auf Twitter läuft, und wenn sogar die Wiener Linien den #WienFakt-Hashtag fladern, dann muss Thomas Harbich wohl irgendwas richtig gemacht haben. Schlussendlich sind Wien-Fakten sind nicht nur Bildung, sie sind auch das letzte Stückchen Beständigkeit, das uns 2016 noch geblieben ist. Wer sonst soll uns auch daran erinnern, wie viele Tonnen Gurken jährlich in Wien geerntet werden? Eben.

Franz auf Twitter: @FranzLicht