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Wir haben uns mit Deutschlands schönster Bestatterin unterhalten, "Miss Abschied"

"Als Preis gibt es Jahresabo für die Bestatter-Preisvergleichs-Website. Die berichten über Sarg-Trends."

Tatjana Greiner (31) ist Deutschlands schönste Bestatterin | Foto: Bestatter-Preisvergleich.de

Es ist ein bizarrer Miss-Titel, den Tatjana Greiner trägt: Miss Abschied, die schönste Bestatterin Deutschlands. Er wurde dieses Jahr zum zweiten Mal verliehen, 75 Frauen hatten sich beworben.

"Hä?", denkt man erst. Aber beim genaueren Hinschauen fügt sich Miss Abschied in eine logische Reihe absurder Miss-Titel, wie der Miss Atom für Mitarbeiterinnen in Russlands Nuklearbranche oder der Miss Internet in Deutschland, deren Sinn wir nicht verstehen (vielleicht gibt es auch keinen). Die Miss Plastik in Ungarn sollte (Voraussetzung!) schon mal unterm Messer gelegen haben, in Kambodscha wurde der Wettbewerb Miss Landmine für amputierte Frauen 2009 abgesetzt, weil die Regierung ihn menschenunwürdig fand. Der Hauptpreis war eine Prothese aus Norwegen.

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Dient Miss Abschied vielleicht dazu, neue Azubinen für den Job anzuwerben? Wir haben mal beim Bundesverband Deutscher Bestatter angerufen, die sagten uns dort allerdings: nein. Es gebe mehr Menschen, die Bestatter werden wollen, als Ausbildungsplätze. Mittlerweile fangen auch fast so viele Frauen wie Männer die Ausbildung an. Um ihren Job müssen Bestatter auch nicht fürchten. Menschen sterben, 2015 waren es in Deutschland nach den offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamts 925.20, in Österreich waren es laut Statistik Austria 78.252 im Jahr 2014.Und die Babyboomer kommen ja erst noch.

Warum um Himmels willen braucht es also eine solche Miss-Wahl—außer um der Bestatter-Preisvergleichs-Website, die sie austrägt, Promo zu bescheren? Wir haben die diesjährige Gewinnerin gefragt. Tatjana Greiner (31) arbeitet in einem Familienunternehmen im Schwarzwaldort Hasel.

VICE: Warum, glaubst du, gibt es die Wahl zur Miss Abschied?
Tatjana Greiner: Ich möchte zeigen, dass an diesem Beruf nichts verwerflich, unheimlich oder traurig ist. Viele haben Angst vor dem, was ich mache. Es ist gut zu zeigen: Wir sind Menschen wie du und ich.

Und dafür ist wichtig, dass du gut aussiehst?
In jedem Beruf, in dem man mit Menschen zu tun hat, ist ein gepflegtes Äußeres doch von Vorteil. Gerade wenn Menschen in Trauer und Schock zu mir kommen, ist es wichtig, dass sie sich wohl fühlen und mich nicht als total verlottert wahrnehmen. Viel wichtiger als mein Aussehen ist aber natürlich die Empathie für die Hinterbliebenen—ohne selbst mitzutrauern, sodass ich eine Stütze bleibe—und der Respekt vor den Toten. Ich spreche mit den Toten, als wären sie noch bei uns.

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Du sprichst mit den Toten? Was sagst du ihnen denn?
Ich nenne sie eben beim Namen, wenn ich ihnen zum Beispiel etwas anziehe. Das klingt dann etwa so: "Herr Ostermann, ich kämme ihnen die Haare, Vorsicht, ich drehe sie jetzt um. Jetzt wasche ich ihnen das Gesicht." Das ist uns sehr wichtig, das bewahrt den Toten ihre Würde.

Wie genau sieht dein Job aus, wenn jemand stirbt?
Als Erstes führen wir mit den Hinterbliebenen ein Trauergespräch. Wichtig ist die Frage: Wo ist die Person verstorben, im Krankenhaus oder zu Hause? Dann brauchen wir erst mal beglaubigte Urkunden von den Ämtern—wir können ja nicht einfach so einen Toten mitnehmen. Wir suchen mit den Angehörigen die Särge und die Wäsche aus—private Kleidung oder etwas aus unserer Kollektion. Wir setzten Todesanzeigen auf und klären, wann die Beerdigung ist und wie die Trauerfeier aussehen soll. Zwei von uns fahren zu dem Toten, sargen ihn ein und bringen ihn in die Trauerhalle oder ins Krematorium. Oft bekommen wir schräge Blicke, wenn meine Mutter und ich alleine ankommen: "Huch, zwei Bestatterinnen, schaffen die das?"

Was irritiert die Leute?
Wir sind zwei Frauen und es braucht schon Kraft, die Person in den Sarg zu heben und den Sarg zu transportieren. Aber es ist längst nicht mehr so wie früher, als es dazu wirklich Manneskraft brauchte. Wir haben viele Hilfsmittel: Baren, Schubfächer und so weiter. Trotzdem arbeiten in meinem Umkreis fast nur Männer als Bestatter, im Krematorium sowieso. Ich habe immer das Gefühl: Im Büro sitzen nur Frauen und wo Leichen angefasst werden müssen nur Männer. Das finde ich schade. Wir Frauen können das auch! [Lacht freudig]

Alles klar! Zurück zur Miss-Wahl: Bekommt man als schönste Bestatterin Krönchen und Schärpe?
Ich bekomme einen Gutschein für Bestatterkleidung. Wir tragen Schwarz-Weiß oder Schwarz-Grau und Blazer, Business-Look könnte man sagen. Die Klamotten gibt es im Fachhandel für Berufskleidung. Aber ich kann auch einfach was Schönes von Esprit anziehen. Außerdem gibt es ein Jahresabo für die Bestatter-Preisvergleichs-Website. Die berichten über Sarg-Trends, aber auch über Gesetzesänderungen, die für unseren Beruf wichtig sind. Also nein, zur Ausgangsfrage: Bisher habe ich keine Krone bekommen.

Wie bist du überhaupt dazu gekommen, mitzumachen?
Eine Freundin hat mir den Zeitungsartikel über die Miss Abschied von letztem Jahr ausgeschnitten und gesagt: "Das musst du unbedingt auch machen." Meine Freunde fanden es erst völlig skurril und seltsam, was ich mache. Mittlerweile reden wir über meinen Beruf aber wie über ihre Jobs. Sie unterstützen mich, wenn ich ein Kind bestatten muss, was mich dann doch mehr mitnimmt als andere Tode. Und sie lachen mit mir, wenn ich erzähle, dass etwas schief gelaufen ist—zum Beispiel ein Zahlendreher in der Urnenbestellung. Wenn jemand sagt "Das ist nicht meine Urne", wird die Situation doch schnell absurd. [Lacht]