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Heulsuse der Woche: Die Dresdner Turnhallenblockierer vs. Thomas de Maizière

Der Innenminister findet es „undankbar", wenn Flüchtlinge sich frei bewegen wollen, und ein paar Dresdner fühlen sich bedroht, weil Asylbewerber in einer leeren Turnhalle schlafen sollen.

Und wieder ist es an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.

Heulsuse #1: Die Dresdner Turnhallen-Blockierer

Darf vor keiner Turnhalle fehlen: Pegida-Bürgermeisterkandidatin Tatjana Festerling. Foto: imago/Sven Ellger

Der Vorfall: 400 Flüchtlinge sollen in Turnhallen in Dresden untergebracht werden, während die Stadt eine wintertüchtige Erstaufnahmeeinrichtung baut.

Die angemessene Reaktion: Die Neuankömmlinge begrüßen, eventuell Spenden sammeln und Druck auf die Politik machen, dass möglichst schnell bessere Unterkünfte bereitgestellt werden.

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Die tatsächliche Reaktion: Vor der Turnhalle herumstehen und Bier trinken, so dass keine Flüchtlinge einziehen können.

Hach, Dresden. Ständig lernt man dieser Tage neue Ecken von dir kennen und lieben. Heute zum Beispiel: Dresden-Übigau. Der Stadtteil mit dem ulkigen Namen wird gerade bekannt, weil ein paar „Asylkritiker" hier vor einer Turnhalle herumstehen, Bier trinken und wahlweise ihren Oberbürgermeister oder Journalisten anpöbeln.

Ihr Grund dafür: Weil die Zelte der Dresdner Erstaufnahmerichtung langsam wirklich zu kalt werden, hat der Oberbürgermeister Dirk Hilbert angekündigt, rund 230 Flüchtlinge erst einmal in vier Turnhallen unterzubringen, während die Stadt eine heizbare Leichtbauhalle errichtet, in der sie dann untergebracht werden können. Dafür hatte man sich extra Turnhallen ausgesucht, in denen kein Schulsport stattfindet, berichtet die Sächsische Zeitung.

Rechte setzen sich jetzt endlich selbst außer Gefecht.

In drei dieser vier Turnhallen konnten die Flüchtlinge auch planmäßig einziehen, in die in Übigau aber noch nicht. Dort haben ein paar Anwohner Autos auf die Zufahrt und sich selbst vor den Eingang gestellt, um offenbar um jeden Preis zu verhindern, dass Schutzsuchende Menschen in ihrer Nachbarschaft einen Schlafplatz bekommen. Mit dabei ist Tajana Festerling, die für die Pegida die Wahl zu Dresdens Bürgermeisterin verloren hat.

Selbst dass der Oberbürgermeister persönlich vorbeigekommen ist und sich ihre „Sorgen" angehört hat, konnte die Wutbürger nicht überzeugen, stattdessen wurden sie wütend und jammerten über fallende Immobilienpreise. Besonders schön dieses Zitat aus dem Zeitungsbericht:

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Die Übigauer fürchten, die Kriminalität werde steigen. Ein Vater, der Mann war am Vorabend mit einer Alkohol-Fahne aufgefallen und hatte lautstark Stimmung gegen Journalisten gemacht, sagte nun, er bringe seine Kinder nun mit dem Auto zur Schule, weil sie Angst hätten.

Mittlerweile sieht es so aus, als würden die Fremdenfeinde ihr Ziel erreichen: Hilbert hat erklärt, er sei sich nicht sicher, ob man Flüchtlinge in so seiner Nachbarschaft überhaupt unterbringen kann. Jetzt können alle Übigauer stolz auf ihre engagierten Nachbarn sein: Der Name ihres Stadtteils wird jedenfalls eine Weile nicht mit so albernem Unsinn wie „Gutmenschentum" oder Mitgefühl assoziiert werden.

Heulsuse #2: Innenminister Thomas de Maizière

Foto: imago/Ralph Peters

Der Vorfall: Flüchtlinge bewegen sich frei durch Deutschland, manche nehmen sich sogar Taxis.

Die angemessene Reaktion: Eigentlich verlangt die Situation nach keiner besonderen Reaktion, außer es fragt einen ein Flüchtling nach dem Weg. Dann den Weg erklären.

Die tatsächliche Reaktion: Innenminister de Maizière wird sauer und bezichtigt die Flüchtlinge der Undankbarkeit.

Das sind schon echte Kracher, die die Flüchtlinge sich da erlauben! Thomas de Maizière jedenfalls ist schockiert: „Bis zum Sommer waren die Flüchtlinge dankbar bei uns zu sein. Sie haben gefragt, wo ist die Polizei, wo ist das Bundesamt. Wo verteilt Ihr uns hin", erklärte er im ZDF-heute-Journal. „Jetzt gibt es schon viele Flüchtlinge, die glauben, sie können sich selbst irgendwohin zuweisen." Schockschwerenot! Aber es wird noch schlimmer:

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„Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt, sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt, sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen."

Das kann doch nicht wahr sein! Flüchtlinge, die sich Taxis nehmen? Die Geld haben? Das ist schon wirklich erstaunlich, dass ein Flüchtling sich für die Flucht Geld von zuhause mitnimmt. Was kann er damit wollen? Weiß er denn nicht, dass er in Deutschland keines braucht—weil er hier solange in Unterkünften untergebracht und mit Sachleistungen versorgt wird, bis er vergessen hat, dass er mal ein selbstbestimmter Mensch war, der seine eigenen Entscheidungen treffen durfte?

Spaß beiseite: Die Äußerungen des deutschen Innenministers sind beschämend, und sie lassen sehr klar durchscheinen, wo die deutsche Willkommenskultur ihre Grenzen hat. Nämlich genau da, wo der Gast nicht mehr nur noch unterwürfige Dankbarkeit wimmert, sondern sich eigenständig Gedanken macht, wie es jetzt mit seinem Leben weitergehen soll.

Eigentlich könnten die überforderten Behörden dankbar sein, wenn Leute keinen Bock mehr haben, in einem kalten Dresdner Zeltlager oder einer von Asylkritikern belagerten Turnhalle dem Staat auf der Tasche herumzuliegen—und sich stattdessen aufmachen, um sich mit ihren eigenen Möglichkeiten ein eigenes Leben aufzubauen. Stattdessen poltert der Innenminister beleidigt herum und wirft praktisch jeden, der nicht permanent dankend in der Schlange vor der Essensausgabe steht, in einen Topf mit Leuten, die Schlägereien anfangen. Diese Art von Rhetorik ist nicht nur menschlich (und christlich, de Maizière!) eine Zumutung—sie gießt auch ordentlich Öl ins Feuer jener, die sowieso nie „Asyl" sagen können, ohne „-schmarotzer" hinterherzuwürgen. Dass es genau so gewirkt hat, zeigt die lapidare Anzeige unter dem ARD-Artikel: Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Kommentierung dieses Artikels beendet, weil die überwiegende Anzahl der Kommentare nicht unserer Netiquette entsprochen hat." Wenn er so weiter macht, könnte de Maizière vielleicht doch noch ein paar der AfD- und Pegida-Fans zurück zur CDU bringen. Ein echter Politiker.

Letzte Woche: Pegida-Anhänger, die Schüler angreifen, gegen die Supermarktkette Netto, die eine behinderte Kassiererin erst falsch beschuldigt und dann entlassen hat, weil sie sich gewehrt hat.

Der Gewinner: Netto!