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Blinq, das Inzest-Tinder, bescherte mir ein Date mit dem App-Gründer

Die Kuppel-App ist so arrogant wie alle Zürcher und erspart dir dafür den Psychologen.

„Du klischee-arrogante Zürcherin", hat mir ein Typ an den Kopf geworfen, als ich die Zahnstocher, die er mir in die Haare gesteckt hatte, ignorierte und damit auf seinen mutigen Schritt zum Kennenlernen nicht einging. Er hat nicht recht: Wir Zürcherinnen sind ehrlich und pragmatisch. Wie die Kuppel-App Blinq.

Fingerstreich nach rechts bedeutet bei Blinq „HI", also Interesse an der Person auf dem Bildschirm und einen gewaltigen Egoboost dafür, dass sie oder er das Bildchen mit Ausprobieren jedes Filters ins richtige Licht gerückt hat. Den Fingerstreich nach links tätige ich öfter. Man kämpft sich durch einen Urwald aus Zahnpastalächeln, zu viel Brusthaar und Schlafzimmerblicken.

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Blinq ist auch in Sachen Zugehörigkeitsselektion wie wir Stadtzürcher. Die eingeschworene Blinq-Gemeinde entscheidet nämlich, wer in den Bund der Baggernden aufgenommen wird. Das ist auch schon alles, was Blinq zu einer der besseren Tinder-Kopien macht. Erst nach genügend „HIs" auf dem eigenen Profil wird man auf die attraktive Masse strahlender Blinqer losgelassen.

Ich weise meinen Freund zum zweiten Mal darauf hin, dass ich vorübergehend Blinq-aktiv bin. Zu Recherchezwecken. Da ich davon ausgehen muss, dass gefühlte 300 seiner Freunde mich mit „HI" oder „BYE" bewerten, gehe ich auf Nummer sicher. Ich will ja keine Gerüchte im Dorf Zürich streuen. Denn die letzte Gemeinsamkeit, die ich zwischen Blinq und Zürich wittere, ist das Kuhkaff-Phänomen.

Zürcher wollen mit Zürcher Dialekt bezirzt werden. Sie wollen in Zürcher Bars flirten. In Zürcher Clubs nach abschleppbaren Individuen suchen und in Zürcher Betten nächtigen. Und wenn dein One-Night-Stand und du nicht eh schon Facebook-Freunde sind, dann habt ihr mit Sicherheit 20 gemeinsame. Auf die genaue Anzahl weist dich Blinq bei jedem Match hin.

Obwohl ich den Radius, in dem nach potentiellen Matches gesucht werden soll, auf „unendlich" stelle, erschrecke ich mich schon nach zwanzig Sekunden: Ein sehr bekanntes Gesicht zieht auf meinem Bildschirm eine bizarre Schnute, die wohl anregend wirken soll. So sieht also der kleine, picklige Yanis aus der Sekundarschule heute aus.

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Nach weiteren acht Usern, die ich „BYE-e", folgen tatsächlich ein Kumpel meines Freundes und mein Zahnarzt. Ich fürchte mich vor komischen Momenten während der nächsten Kontrolle und befördere ihn mit einem „BYE" ins Nirwana. Es geht weiter: Ein ehemaliger Nachbar, ein aktueller Nachbar, drei Typen, die ich vom Feiern kenne und der Freund einer Bekannten.

Dutzende „HIs" später fühle ich mich geplättet von all den „Hoi, wie gaht's?"-Nachrichten meiner Matches, von denen laut Infoleiste keiner weiter als 25 Kilometer von mir entfernt ist. Ich gebe es ziemlich schnell auf, jedem meinen Gemütszustand zu erklären. Zur Seelenhygiene mag sich Blinq zwar auch eignen. Aber es ist fraglich, ob Typen nach Erörterungen über meine Psyche noch zurückschreiben.

Ein paar der Herren kommen direkt zum eigentlichen Anliegen ihrer Blinq-Präsenz: „Hoi, gaht's guet? Sex?" Die erste Frage ignoriere ich. Die zweite jagt mir, nachdem ich die 47 gemeinsamen Facebook-Freunde bemerkt habe, einen Schauer über den Rücken: Blinq ist das Inzest-Tinder. Für die ganz spontanen Blinqer mit Druck auf der Leitung hat das App mit InstaConnect aufgerüstet und schickt nun sofort eine Benachrichtigung, wenn man sich mit einem Match am selben Ort aufhält. „Du au im Gerolds Garte? Sex?" Das funktioniert bisher aber nur in 14 Locations in Zürich (Zürich!).

Interessant wird es, als eine „Neue Nachricht von Alex" auf meinem Screen auftaucht und mir das Bildchen bekannt vorkommt. Kurzes Nachfragen bei meiner Mitbewohnerin bringt Licht in die überschaubare Community der Blinqenden. Der Typ ist App-Mitgründer Alex Zimmermann persönlich (hat das Bett gerüchteweise mit mindestens zwei meiner Facebook-Freunde geteilt) und möchte einen Kaffee mit mir trinken gehen. Es hätte mich schon mehr überrascht, wenn mir Marc Zuckerberg eine Freundschaftsanfrage geschickt hätte, denn Alex Flirt-Anfrage bestätigt nur meine Kuhkaff-Theorie und so freue ich mich auf mein Date/Interview. Beim Kaffee werde ich wieder mit der Arroganz der Zürcherinnen konfrontiert:

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VICE Hättest du mich auch in einer Bar angesprochen?
Alex Zimmermann Das habe ich eh nie wirklich gemacht. Ich denke immer: Wieso sollte ich mit der reden, es kann ja sein, dass sie sich nicht für mich interessiert. Den ersten Schritt machen, kann ich nicht so gut. Du weisst ja, wie das in Zürich ist. Jede, die ich anspreche ist dann gleich so: „Oh Gott, wenn ich jetzt mit dem rede, muss ich auch gleich mit ihm ins Bett". Wenn man nicht durch einen Friend introduced wird, dann ist es schon immer so, dass die so sind: „Hey, brauch ich dich?"

Du hast mit Blinq also die Lösung nach Zürich gebracht.
Ja, für Männer und Frauen. Wir haben viele attraktive Frauen auf Blinq. Auch die wollen zuerst wissen, dass der andere interessiert ist. Frauen sagen pro zehn Vorschläge etwa ein Mal HI, Männer 4.5 Mal. Wie im real life eben.

Du willst die Leute dazu animieren, offline zu flirten.
Ziel ist, dass sich die Leute dann treffen. Events hatten wir auch schon. Wir haben die beliebtesten User invited.

Die heissesten User auf einem Haufen. Und woher wusstet ihr, wer zum heissesten Scheiss gehört?
Ich kann nachschauen, wie viele Male zu einem User HI und BYE gesagt wurde. Das gibt dann einen Hotness-Faktor. Deinen kann ich dir auch sagen, wenn du magst. Über 9 von 10 schafft eigentlich keiner.

Da ich jetzt weiss, wie es um meinen Hotness-Faktor steht, kann ich bei der nächsten dummen Anmache in einer Bar den Typen darauf hinweisen, dass wir keinen Match haben und er lieber InstaConnect einschalten soll.