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Sex

Wie Frauen über Social Media für Pornodrehs rekrutiert werden

Die Sexbranche in Osteuropa boomt—und mit ihr auch Agenturen, die den Markt auf ungewöhnliche Art und Weise nach neuen Darstellerinnen abgrasen.

Morgens halb zehn in Deutschland. Eine junge Frau checkt routinemäßig ihre Facebook-Nachrichten und erblickt ein unmoralisches Angebot. Ein Unbekannter will sie für Pornodrehs in Osteuropa anheuern. Sie geht instinktiv davon aus, dass es sich beim Verfasser um einen gruseligen Spinner handelt, und löscht die Nachricht. Natürlich nicht, ohne vorher noch ein paar unschöne Sätze als Antwort zu formulieren. Tatsächlich werden heutzutage aber genau auf diese Weise Nachwuchspornodarstellerinnen rekrutiert. Professionelle Talentscouts versorgen insbesondere Agenturen in östlichen Pornometropolen wie Budapest oder Prag mit frischen Gesichtern aus Deutschland, die sie übers World Wide Web anwerben.

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Hinter den Kulissen von Deutschlands Amateurporno-Szene.

Cornelis Clement tut genau das. Er sucht für die ungarische Agentur Sandy's Models nach potentiellen Darstellerinnen. In Frankfurt am Main aufgewachsen kam der gelernte Werbekaufmann vor zehn Jahren wegen eines Aufbaustudiums nach Berlin. Danach verschlug es ihn eine ganze Weile ins spanische Barcelona, wo er schließlich als Mitarbeiter eines Branchenriesen zum ersten Mal beruflich mit der Pornoindustrie in Berührung kam. Nach seiner Rückkehr nach Berlin beschloss Cornelis, sich als Talentsucher zu beweisen. Seit Anfang 2015 hat Cornelis bereits 30 junge Frauen rekrutiert. Der Großteil stammt aus Deutschland, es sind aber auch Mädels aus Ländern wie Polen, Serbien, Russland und der Ukraine unter den von ihm Vermittelten. Ob das ein guter Schnitt ist, ist schwer zu sagen, da die Branche recht unübersichtlich ist. Der Talentsucher ist auf jeden Fall zufrieden mit seiner Quote.

Foto: Mike Licht | Flickr | CC BY 2.0

Cornelis tummelt sich in Escort-Foren, wird aber auch regelmäßig auf Facebook fündig. Dort gibt es viele Gruppen, in denen sich Sexarbeiterinnen aller Art tummeln oder Modeljobs gesucht werden. Hier und da gibt es bei der alltäglichen Facebook-Nutzung auch mal echte Zufallstreffer. Sein Beuteschema beim Durchforsten von einzelnen Facebook-Profilen: weiblich, zwischen 18 und 25 Jahre alt und natürlich „mit Sexappeal". Letzterer liegt im Ermessen des Scouts. „Du bist da ja schon ein wenig Gatekeeper. Und natürlich willst du auch deinen eigenen Geschmack ein wenig repräsentiert sehen." Cornelis sucht allerdings nicht nach Klischee-Sexbomben. Natürlichkeit ist wichtig. Die Mädels sollen außerdem möglichst wenig oder bestenfalls gar keine Tinte unter der Haut haben. Tattoos sind laut dem Talentscout bei den im Osten agierenden Produzenten nicht gerne gesehen.

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Wenn Cornelis die erforderlichen optischen Parameter erfüllt sieht, nimmt er Kontakt zu der in Frage kommenden Frau auf. In seiner Standard-Facebook-Anfrage stellt er sich vor, macht Angaben zu den in der Branche üblichen Tagessätzen, nennt einige namhafte Kunden seiner Agentur und bittet um Rückmeldung. Dabei räumt er ein, dass ihm bewusst ist, dass seine Anfrage nicht alltäglich und die Tätigkeit als Pornodarstellerin nicht jedermanns Sache ist.

Von 100 Mädels zeigen sechs oder sieben echtes Interesse. Natürlich stößt Cornelis bei dieser Art der Akquise auch auf Beschimpfungen und Misstrauen. Es gibt allerdings tatsächlich genügend Frauen, die mehr über die Pornoindustrie erfahren möchten. Die Motivation kann dabei ganz unterschiedliche Hintergründe haben: „Manche brauchen dringend Kohle, andere wollen das einfach mal ausprobieren und wieder andere sehen den Job als Sprungbrett."

Auch für Lullu Gun aus Berlin kam der erste Kontakt mit der Budapester Pornoszene über eine Online-Anfrage zustande. Die 23-jährige war schon eine Weile als Webcamgirl aktiv und hatte gerade ihre ersten Porno-Gehversuche gestartet, als sie ein Talentscout via Twitter kontaktierte. Zunächst war sie eher skeptisch: „Es war sowieso noch alles neu für mich. Dann hieß es ‚Komm nach Budapest!'—auf eigene Kosten wohlgemerkt. Ich rechnete mit dem Schlimmsten. Dass es keine Jobs für mich gibt und ich auf leere Versprechen reingefallen bin." Gerade wegen dieser Problematik muss ein Scout so transparent wie möglich arbeiten.

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Wenn Cornelis ein neues Mädchen angeworben hat, erhält sie ein Dokument mit den wichtigsten Infos der Agentur sowie einen Bogen, der neben persönlichen Angaben auch alle erdenklichen sexuellen Vorlieben erfragt. Zusammen mit aussagekräftigen, gerne auch selbst mit dem Smartphone erstellten Fotos (inklusive Nacktaufnahmen natürlich), bildet der ausgefüllte Bogen die Grundlage für die Vermittlung an Produzenten. Im Normalfall besorgen die Agenturen für Neulinge je nach ihren sexuellen Vorlieben mehrere Jobs in einem eng gesteckten Zeitrahmen. Für eine „normale Boy-Girl-Szene" werden laut Cornelis im Normalfall 400 Euro gezahlt. Für Analsex gibt es 100 Euro obendrauf. Je mehr sexuelle Praktiken eine junge Frau auf dem Fragebogen angekreuzt hat, desto höher die Gage und desto zahlreicher die Buchungen. Fahrdienst und Unterkunft werden auf Wunsch gestellt und ein festgelegter Prozentsatz von der verdienten Gage abgezogen.

Die vorgeschriebenen Gesundheitstests zahlen die Sexarbeiterinnen aus eigener Tasche. Gagen werden direkt nach dem Dreh der jeweiligen Szene in bar bezahlt, die Kosten für Unterkunft und Fahrer sind erst im Nachhinein zu begleichen. Die Flugtickets werden von der Agentur gestellt. „Außer beim ersten Mal, man muss ja erst mal Vertrauen zu dem Mädel haben." Diese Vorgehensweise deckt sich mit den Erfahrungswerten von Neuling Lullu Gun und trifft laut Cornelis gerade bei deutschen Frauen oft auf Unverständnis. Dass die Newcomerinnen ihren ersten Trip auf eigene Faust antreten und aus eigener Tasche zahlen müssen, lässt das unmoralische Facebook-Angebot natürlich nicht unbedingt vertrauenswürdiger erscheinen.

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Ich war auf einer Porno-Castingshow.

Tatsächlich birgt diese Art des Jobtourismus einige Gefahren. Cornelis mahnt generell zur Wachsamkeit in Bezug auf einzelne Agenten: „Die Agentur ist Gatekeeper und sollte ethische Grundsätze festlegen!" Einige Agenturen sollen richtiggehend dafür bekannt sein, die von ihnen vertretenen Darstellerinnen systematisch zu verheizen und Neulinge zum Beispiel direkt für Extremdrehs zu buchen, was auch schonmal in unangenehmen Krankenhausaufenthalten und vorzeitigen Karriereabbrüchen endet. Im Falle von Lullu Gun kam es ein paar Mal vor, dass Produzenten entgegen der sexuellen Vorlieben der jungen Darstellerin Analsexszenen mit ihr drehen wollten, was die Berlinerin verweigerte. „Ich erklärte ihnen, dass ich das nicht mache, was ihnen natürlich nicht gefiel. Aber ich tue nunmal nicht alles für Geld."

Früher einfach eine kostengünstige Alternative für Pornomacher sind Branchenmetropolen wie Budapest und Prag heute offenbar etablierte Epizentren. Alleine die Agentur, für die Talentscout Cornelis tätig ist, vertritt über 350 Frauen und wird von einer ehemaligen Darstellerin geleitet—was in der osteuropäischen Pornobranche übrigens kein Einzelfall ist. In Budapest gibt es noch zwei weitere große und etliche kleinere Agenturen. Die tschechische Porno-Hochburg Prag wird ebenfalls von drei großen Agenturen dominiert. Exklusivverträge gibt es keine, weswegen viele Mädchen bei mehreren Agenturen registriert sind.

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Ein großes Problem der Branche ist auch der Boom von Internetpornos—egal in welcher Qualität. Foto: stallio | Flickr | CC BY-SA 2.0

„Der Vorteil in Prag ist einfach die größere Auswahl an Darstellerinnen und Darstellern. Außerdem sind alle Models im näheren Umfeld", erzählt die 32-jährige Texas Patti. Die Pornodarstellerin produziert zusammen mit ihrem Mann Patrick Erwachsenenfilme für Abnehmer wie Videorama und Beate Uhse TV. Patti und Patrick arbeiten mit einer in Prag ansässigen Agentur zusammen. Mehr als 50 Darstellerinnen und Darsteller aus Osteuropa wurden so in den letzten drei Jahren für ihre Produktionen gebucht. Die deutschen Mädels haben die beiden dabei immer selbst zum Dreh mitgebracht. Dass es Talentscouts gibt, die hierzulande gezielt „Nachschub" scouten, ist den beiden neu.

Dass junge Frauen aus Deutschland bei osteuropäischen Agenturen anheuern, zeigt ihrer Meinung nach allerdings, wie es im Moment um die deutsche Pornokultur steht. „Im Internetzeitalter ist es in Deutschland schwer geworden, den Absatzmarkt attraktiv zu halten. Das heißt weniger Absatz, weniger Budget. Weniger Budget, weniger Gagen." Für Dumping-Preise wollen die Filmemacher allerdings niemanden vor die Kamera holen: „Es ist meiner Meinung nach nicht OK, wenn ein Mensch für 250 Euro Sex vor der Kamera hat."

Motherboard: Googles künstliche Intelligenz hat auch ein besonderes Auge für Pornos.

Das Konzept der großen Bezahlseiten wie Brazzers hat sich hierzulande nie so ganz etabliert. Für die meisten zahlungswilligen Kunden scheinen Amateurportale das A und O des Pornokonsums zu sein, der Rest besorgt sich seinen Stoff eben über Umsonstseiten. Auch Lullu Gun hat recht schnell den Eindruck gewonnen, dass es vergleichsweise wenige deutsche Firmen gibt, die Pornofilme produzieren. „Und die, die übrig sind, haben ihre Budgets auf Sparflamme geschraubt." Zu Beginn ihrer Karriere im Erotiksektor arbeitete sie über eine Amateurplattform als Webcam-Girl, mittlerweile findet sie die Gagen, die im Osten gezahlt werden, attraktiver. Sorgen um ihre Zukunft macht sie sich erst einmal nicht: „Ich denke, eine weibliche Darstellerin kann solange drehen, wie sie sich wohlfühlt. Es gibt für alles einen Markt. Von Jung bis alt, von dürr bis fett. Mal schauen, wo ich am Ende lande."


Titelfoto: iulia Pironea | Flickr | CC BY-SA 2.0