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Musik

„Eigentlich bin ich ein Burlesque tanzender Nerd“

Marla Blumenblatt hat in Wien Ballett gelernt, mit Dita von Teese Burlesque getanzt und in Berlin der Absturzgefahr getrotzt. Außerdem macht sie Musik zwischen Schlager, Rockabilly, Trap und Balkan-Pride.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Philipp Scholz // hndgmcht

Marla Blumenblatt singt, wie ihr (Künstler-)Name klingt—obwohl sie ihre eigene Stimme „komplett nerdy" findet—und verbindet dabei Schlager, Rockabilly und Balkan-Pride. Ersteres im Klang, mittleres im Stil und letzteres im Geiste. Ganz abgesehen von ihrer Musik ist die Wahlberlinerin aber eigentlich Ursprungs-Ottakringerin und hat sich ihre Freiheit vom Immigranten-Stigma in der Wiener Heimat ertanzt.

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„Meine Eltern kommen vom Balkan und waren klassische Wiener Gastarbeiter", erzählt sie. Über ihren Bruder, der selbst Tänzer war, kam sie dann zum Ballett. Auf den ersten Blick nicht die naheliegendste Biografie, aber für Marla ein logischer Weg: „Für mich war das Tanzen immer eine Möglichkeit, sich frei zu fühlen. Immerhin war man damals schon noch relativ stigmatisiert als Einwanderer." Um sich dieser Freiheit voll und ganz zu verschreiben, brach sie das Gymnasium ab und konzentrierte sich aufs Ballett sowie Tanzauftritte in Musicals.

Dank ihren Ambitionen zog es sie bald darauf ins Ausland—sie bewarb sich um ein Stipendium und schaffte es damit nach New York, wo sie unter anderem Erfahrung am Broadway sammelte. „Das war auf jeden Fall sehr lehrreich für mich", sagt Marla. „Ich meine, es ist schön, wenn dich die Leute in Wien feiern, aber sich in New York mit den Besten zu messen, ist eine völlig andere Sache. Und auch eine völlig andere Technik."

Wie viele junge Frauen hatte sie von Anfang an das Ziel, „vorne zu stehen" und nicht „sich in dritter Reihe die Füße durch die Sohle zu tanzen", wie sie es beschreibt. Ihre nächste Station war Paris—und ihr Plan, alle Cabarets nach der großen Chance abzuklappern. Zufällig war das Crazy Horse ihre erste Station—und auch gleich diejenige, wo sie sofort zum Vortanzen eingeladen wurde. „Sie meinten zu mir ‚Du siehst aus, als ob du die richtige Größe hättest; komm am Mittwoch wieder'", erzählt Marla.

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Molly Molloy, die legendäre Choreographin des Crazy Horse, war damals nicht nur für die Tanzeinlagen zuständig, sondern auch Show-Managerin. Beim Vortanzen ging es entsprechend direkt zu. „Als erstes hieß es ‚Ausziehen'", erinnert sich Marla. „Dann haben sie mich ganz genau abgemessen—von Kopf bis Fuß, von Bauchnabel bis Brust. Die Brüste mussten die perfekte Größe haben, alles. Als nächstes haben sie mich im String-Tanga auf die Bühne geschickt und sofort ins kalte Wasser geworfen."

Erst durch die Show konnte ich mich ausleben—sie wollten eben kein Ritalin-Mädchen.

Sie wurde vom Fleck weg arrangiert. Sofort nach der Audition gab es die ersten Proben. „Molly Molloy hat gleich geschrieben: ,Lass die Drecksau raus!' Ich konnte nicht mal jemandem Bescheid sagen, dass ich den Job hatte." Das alles sagt sie nicht anklagend, sondern bewundernd. „Ich war zwar immer offen, aber ich bis zu meiner Zeit im Crazy Horse war ich auch die Kleine, die nichts zu melden hatte. Erst durch die Show konnte ich mich ausleben—sie wollten eben kein Ritalin-Mädchen. Ich wäre nicht da, wo ich jetzt bin, wenn ich nicht so viele tolle Frauen getroffen hätte."

Im Crazy Horse —dem modernen Nackt-Cabaret-Gegenstück zum Moulin Rouge—tanzte Marla neben der Burlesque-Ikone Dita von Teese. „Manchmal dachte ich mir: Die Kleine aus dem Assi-Viertel von Wien darf jetzt mit den Stars tanzen—das finde ich manchmal immer noch verrückt. Vor allem, wenn du von solchen Künstlern sogar noch Komplimente bekommst. Das ist am Ende ganz klischeehaft die Belohnung für all die Scheiße, die man schon gefressen hat."

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Im Österreich der frühen 90er-Jahre hatte sie als Immigranten-Tochter, euphemistisch gesagt, nicht die besten Aufstiegschancen. „Ich wurde gemobbt. Ich war von Rassismus umgeben. Mir wurde gesagt, dass meine Fresse zu ausländisch wäre, um einen Job zu bekommen. Es war eine andere Zeit. Wenn beide Eltern Ausländer sind, ist man eben ein bisschen stigmatisiert."

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Als sie in Paris schließlich zum Erfolg und damit auch zu gutem Geld fand, wurde auch der Wunsch immer deutlicher, es mit Musik zu versuchen. Ihr erstes Album Immer die Boys nahm sie in Mazedonien auf. „Die erste Platte war stark inspiriert von meiner Burlesque-Zeit. Ich hab die Songs im Big-Band-Style aufgenommen und mit einer Stimme eingesungen, die komplett nerdy klingt. Aber das ist OK. Ich bin ja auch ein Nerd."

Überraschenderweise wurde ihre Single „Wie wär's" von Psaiko.Dino—den man als Sprecher und Freund von Cro kennen kann—zu einem Trap-vs.-Schlager-Battle geremixt. „Als er mich das erste Mal anrief, war ich komplett überzeugt, dass er mich dissen würde", erinnert sich Marla. „Stattdessen meinte er ‚Hey, ich hab da ein paar Remixes gemacht.' Ich hätte mir nie gedacht, dass zwei so konträre Stilrichtungen so gut zusammenpassen."

Aktuell läuft aber schon die intensive Promo-Phase zu ihrer EP „Sag einfach ja". Der nächste Album-Release ist für Frühjahr 2016 geplant, an dem Marla von Berlin aus arbeitet. „Berlin ist für mich ideal. Aber man muss mit einem Plan hierher kommen. Sonst frisst dich die Stadt auf und spuckt dich wieder aus."

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Die Probleme derer, die zur Selbstfindung kommen und im Berghain landen, kennt sie nur aus der Ferne. „Ich war dort noch nie, hat mich einfach nicht interessiert. Wenn du hier wie ein gestrandeter Wal ankommst und dich von einem Kellner-Job zum nächsten hangelst, ist das vermutlich nicht so geil. Es gibt auch ein abschreckendes Berlin—wenn du seine Opfer siehst."

Für Absturzpartys und Afterhours ist Marla viel zu sehr auf ihre Karriere fixiert. „Wenn ich zu einer Red Carpet-Veranstaltung eingeladen bin, ist das für mich Party genug. Andere sehen es als Spaß, die ganze Nacht durchzutanzen—für mich war das eben ein Beruf." Sie lacht, überlegt kurz und sagt: „Ich glaube, auf gewisse Art bin ich eine Oma."

Wie für alle, die mit dem aktuellen Generationenkanon (von Hipster über Normcore bis Juccie) großwerden, ist das auch für die 1985 geborene Marla kein negatives Prädikat. Und das wird es wohl auch nicht so schnell werden, solange eine Oma genauso gut eine 29-jährige Burlesque-Tänzerin sein kann, die sich ganz elegant eine Zweitkarriere als Sängerin aufbaut.

„Zuerst mach ich Ballett, dann geh ich nackt tanzen. Ich denke, das beschreibt mich ganz gut", sagt Marla. „Wenn es für mich so etwas wie eine Botschaft gibt, dann, dass man einfach auch mal drauf scheißen sollte, was andere denken."

In ihrer Selbstwahrnehmung ist Marla—abgesehen vielleicht von ihrer Arbeitsbesessenheit—eigentlich perfekter Durchschnitt. „Für mich bin ich das Mädchen von nebenan. Ich bin immer noch das Einwanderermädchen aus Ottakring. Aber ich bin auch raus in die Welt gegangen und hab mir die Dinge eben genommen." In ihrer Wiener Heimat ist sie aktuell eher selten, aber: „Jeder Jugo hat ein Haus in Jugo, das wollen wir nicht vergessen", lacht sie. „Inzwischen ist Wien mein Jugo geworden."