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Wenn sich Arbeitslose kein Essen mehr leisten können

Viele Deutsche gelten trotz festem Job als arm. Das hat nicht nur persönliche Auswirkungen, sondern vor allem gesamtgesellschaftliche.

Foto: imago | Ralph Peters

In Deutschland über Geld zu sprechen, ist nicht einfach. Kaum jemand in diesem allgemein als wohlhabend geltenden Land erzählt dir, was er oder sie verdient. Nicht mal Freunde reden gern darüber. Geld ist hierzulande Privatangelegenheit. Besonders wenn es um viel Geld geht. Aber auch wenn es um verhältnismäßig wenig Geld geht, hält sich die Gesprächsbereitschaft in Grenzen. Und so wird auch das Thema Armut gerne unter den Tisch gekehrt. Dabei ist Armut nicht nur ein persönliches, sondern vor allem ein gesamtgesellschaftliches Problem.

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Erst gestern meldete die WAZ, dass jeder dritte Arbeitslose nicht ausreichend Geld habe, um mindestens jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit einzunehmen. In Zahlen bedeutet das, dass 1,07 Millionen Menschen in Deutschland zu wenig Geld für vernünftige Nahrung haben. 48.000 mehr als noch im Jahr zuvor. Jeder fünfte habe sogar Probleme damit, die Miete rechtzeitig zu bezahlen. Manch einer wird jetzt die Gelegenheit sehen, die „faulen Arbeitslosen" zu verteufeln. Doch wer Armut vor allem auf individuelles Versagen zurückführt, der irrt.

Denn auch viele erwerbstätige Menschen in Deutschland gelten als arm. Nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes lebten 2013 insgesamt 12,5 Millionen Deutsche unter der Armutsgrenze. Ein Single-Haushalt wird dabei als arm bewertet, wenn er weniger als 892 Euro pro Monat zur Verfügung hat. (Einige Studenten dürften sich gerade wundern.) Eine Familie mit zwei Kindern gilt bis zum einem monatlichen Einkommen 1.872 Euro als arm.

Hinzu kommt außerdem, dass die Vermögen in keinem anderen Land der Eurozone ungleicher verteilt sind als in Deutschland. Einer DIW-Studie zufolge gehört dem reichsten Prozent ein Drittel des Nettogesamtvermögens. Der unteren Hälfte nur 2,5 Prozent! In den kommenden Jahren wird die Kluft zwischen Arm und Reich voraussichtlich noch größer werden. Klaus Ernst, Stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion Die Linke, schrieb dazu kürzlich in der Huffington Post, dass 2014 fast 39 Prozent aller abhängig Beschäftigen in Teilzeit, Leiharbeit oder Minijobs tätig gewesen seien. Ein großer Teil der Bevölkerung sei deshalb akut von Altersarmut bedroht.

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So hat sich Armut also längst zum gesamtgesellschaftlichen Problem entwickelt. Deutlich macht das unter anderem auch die immer weiter abnehmende Wahlbeteiligung. Denn Menschen mit geringem Einkommen zeigen laut einer Analyse der Bertelsmann-Stiftung weniger Bereitschaft, wählen zu gehen. Besonders drastisch zeigte sich das bei der diesjährigen Bremer Bürgerschaftswahl. Laut taz lag die Wahlbeteiligung im armen Stadtteil Blumenthal mit vielen Hartz-IV-Empfängern bei nur 31 Prozent. Im reicheren Villenviertel Bremen-Horn hätten 77 Prozent aller Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei nur 50,2 Prozent. Robert Vehrkamp, Demokratie-Experte der Bertelsmann-Stiftung, sagte der taz daraufhin: „Nicht die Zufriedenen oder politisch besonders Kritischen verzichten auf ihr Wahlrecht, sondern vor allem sozial benachteiligte Menschen aus den Milieus der Unterschicht und der unteren Mittelschicht der Gesellschaft."

Je ärmer und unzufriedener Menschen sind, desto seltener beteiligen sie sich also am politischen Leben. Dabei ist gerade ein freier und demokratischer Staat auf aktive Mitwirkung all seiner Bürger angewiesen—nicht nur auf die vermögenden und mächtigen, die die Politik in diesem Land ohnehin maßgeblich zu bestimmen scheinen.