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Unsere stärksten Antibiotika wirken nicht mehr

Ein Mittel namens Colistin war lange unsere letzte Verteidigung. Nun haben Forscher in China Bakterien mit Colistin-Resistenz gefunden, und sie sind sicher, dass sich die Resistenz ausbreiten wird.

Eine Petrischale mit Agar und Bakterien. Die kleinen Scheiben enthalten Antibiotika (wie Ceftazidim, ‚CAZ', und Cefoxitin, ‚FOX'). Man kann sehen, wie die Bakterien über die Ränder wachsen. Die Zahlen beziehen sich auf die Konzentrationen der Antibiotika. Foto von Dr. Patrick Harris

Letzte Woche haben Forscher verkündet, sie hätten Bakterienstämme gefunden, die resistent gegen das stärkste Antibiotikum der Welt, Colistin, seien. Doch es kommt noch schlimmer, denn das Gen für diese Resistenz lässt sich leicht unter verschiedenen Stämmen teilen. Es ist also eigentlich nur eine Frage der Zeit, bevor die Resistenz global wird.

Der Weg zu dieser Entdeckung begann 2011. Das chinesische Ministerium für Wissenschaft und Technologie gewährte einer Forschergruppe Mittel, um Fleischproben um die südchinesische Stadt Guangzhou zu testen. Ein Großteil des in China konsumierten Fleischs kommt aus der industriellen Massentierhaltung in dieser Region, in der die Landwirte den Tieren Antibiotika verabreichen, die eigentlich für Menschen gedacht sind, um Infektionen zu bekämpfen. Diese Methode bringt Landwirten und großen Agrar-Firmen zwar Geld ein, doch sie führt auch dazu, dass Bakterien mutieren, um gegen unsere besten Antibiotika anzukommen.

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Natürlich heißt das nicht, dass China allein daran schuld wäre. Antibiotika werden schon seit langer Zeit in der weltweiten Tierhaltung und vor allem in wohlhabenden westlichen Industrienationen eingesetzt. Nur müssen wir jetzt alle den Preis dafür bezahlen.

Lies auf Munchies, wie der weltweite Fleischkonsum einen geringeren Antibiotika-Einsatz unmöglich macht

Um dieses komplexe Thema besser zu verstehen, habe ich mich mit Dr. Patrick Harris unterhalten. Er ist Arzt für infektiöse Krankheiten und Mikrobiologe an der University of Queensland. Außerdem ist er Mitautor einer wissenschaftlichen Arbeit darüber, was es bedeutet, wenn unser letztes Antibiotikum versagt.

VICE: Hi, Patrick. Sind wir dem Untergang geweiht?
Dr. Patrick Harris: Ich denke, es ist ein wenig wie der Klimawandel. Wir sind noch nicht ganz an dem Punkt, aber wir werden dorthin gelangen. Wir hatten immer ein paar Sachen im Schrank, auf die wir im Notfall zurückgreifen konnten. Diese Mittel sind als Carbapeneme bekannt—das sind Breitspektrum-Penicilline für unsere kränksten Patienten—, doch seit Anfang der 2000er haben wir mehr und mehr Resistenzen gegen diese Mittel festgestellt.

Und in diesem Fall wurde bisher dann immer Colistin eingesetzt?
Genau. Wenn sonst rein gar nichts mehr wirkt, dann haben wir Colistin. Es ist in vielerlei Hinsicht ein wirklich altes, schlechtes Antibiotikum, weil es so toxisch ist. Es wurde in den 1950ern entwickelt und dann verworfen, weil es zu toxisch war, aber es existiert noch und wir kommen im Bedarfsfall an es heran. Colistin eliminiert in der Regel die meisten Gram-negativen Infektionen, doch es gibt jetzt ein neues Gen, das Bakterien dagegen resistent macht, und dieses Gen heißt MCR-1.

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Ich weiß, dass diese Resistenz unter den Bakterienarten übertragen werden kann. Wie funktioniert das?
Es funktioniert, weil sich das Gen MCR-1 an einen Plasmiden gehängt hat. Ein Plasmid ist ein bewegliches DNA-Paket. Es ist wie ein kleiner Werkzeugkasten, in dem sich alle möglichen Resistenzgene befinden können. Krankheitserreger sind sehr schlau. Sie haben eine primitive Art von Sex und teilen diese Gene über Plasmide. Wenn du also antibiotikaresistente E. coli in deinem Verdauungstrakt hast, die einen solchen Plasmiden haben, dann kann dieser Plasmid an all die anderen Bakterienstämme in deinem Darm weitergegeben werden. Und so breitet sich diese Resistenz sehr, sehr schnell aus.

Gehen wir mal davon aus, dass die Colistin-Resistenz global wird. Wie sieht eine solche Zukunft aus?
Vorweg sollten wir anmerken, dass die Leute diese Erreger nicht mit Händeschütteln übertragen werden. Die Sorge ist mehr, dass damit die Medizin auf einen historischen Stand zurückgeworfen wird. Vor Penicillin hatte man bei einer Blutinfektion eine 80-prozentige Sterblichkeitsrate. Nach Penicillin ist sie auf 10 Prozent gesunken. Im Moment haben Patienten, die mit einem dieser Erreger infiziert werden, eine 50/50-Überlebenschance, und zwar noch mit dem Einsatz von Colistin. Wenn wir also Colistin aus der Gleichung entfernen, dann sind wir wieder bei der 80-prozentigen Sterberate, die wir vor Penicillin hatten. Das würde bedeuten, dass wir die moderne Chirurgie vergessen könnten. Wir könnten keine Transplantationen oder orthopädische Operationen durchführen, und jede Menge anderer Dinge, die wir heute als selbstverständlich erachten. Wir werden plötzlich sehr begrenzte Optionen haben.

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Es ist absolut nicht vertretbar, Tieren in der Landwirtschaft Antibiotika für Menschen zu geben.

Ich finde das alles sehr deprimierend.
Ich denke, es ist noch nicht ganz der Weltuntergang. Was ich stattdessen betonen möchte, ist, dass es absolut unvertretbar ist, Tieren in der Landwirtschaft Antibiotika für Menschen zu geben.

Ja, lass uns darüber sprechen, wie wir an diesen Punkt gelangt sind.
Selbst in den 1950ern war bereits bekannt, dass Tiere schneller wachsen, wenn man ihnen Antibiotika verabreicht. Niemand weiß so recht, warum. Die andere Sache ist, dass Massentierhaltung dazu führt, dass die Tiere viel mehr zu Infektionen neigen, also werden dem Futter als eine Art vorbeugende Maßnahme Antibiotika beigemischt. Die meisten scheinen zu finden, dass wir Tieren einfach durchgehend die stärksten Antibiotika geben sollten, die wir haben. Für jemanden, der eine Legebatterie betreibt, ergibt das vielleicht Sinn, aber diese Leute denken nicht an die Folgen.

Wird selbst jetzt noch Colistin an Tiere in der Landwirtschaft verfüttert?
Absolut. In den USA zum Beispiel macht Colistin etwa 60 bis 70 Prozent der Antibiotika in der Agrarwirtschaft aus. Und natürlich ist die Landwirtschaftslobby sehr mächtig. Die Schweineindustrie von Iowa produziert jährlich Milliarden Packungen Speck und reagiert mit großem Widerwillen, wenn sie aufgefordert wird, mit den Antibiotika aufzuhören. Eigentlich ist diese Forderung schon eine Forderung danach, die gesamte industrielle Landwirtschaft zu ändern.

Und warum machen wir nicht Kampagne gegen dieses Problem, so wie wir es beim Klimawandel machen?
Ich will ehrlich sein, wir Ärzte für infektiöse Krankheiten warnen davor jetzt schon seit 20 Jahren. Es ist nur schwierig, die Leute dazu zu bringen, sich diese Dinge wirklich vorzustellen.

Macht dich das wütend?
Es ist nicht so, als würden die Leute nicht zuhören. Ich glaube, es gibt einfach viele Menschen, die es nicht verstehen. Es hat viel mit Fachwissen zu tun und ich glaube, viele Leute kennen nicht einmal den Unterschied zwischen einem Bakterium, einem Virus und einem Parasiten. Es ist schwierig, die Leute zum Nachdenken anzuregen, wenn sie das Problem nicht verstehen.

Hat die Geschichte auch eine Moral?
Das hier sollte uns wachrütteln. Es ist nicht die Apokalypse, aber es ist absolut nicht vertretbar, wichtige Antibiotika als Wachstumsbeschleuniger bei Tieren einzusetzen. Das ist weder ein logisches noch ein ethisches Vorgehen.