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Popkultur

Das ‚Homeland‘-Casting war eine einzige Verarschung

Für die Dreharbeiten zum US-Serienhit wurden ‚südländisch' aussehende Komparsen gesucht. Wir haben beim Casting in Berlin-Kreuzberg mitgemacht.

Obwohl die Topgarde von Hollywood meines Wissens nach noch nie breit lächelnd in eine Kamera gesagt hat, dass ihre Ausnahmekarriere damals dadurch gestartet wurde, dass sie bei irgendeiner Produktion im Hintergrund durchs Bild gelaufen ist, scheint sich das Gerücht, durch Komparsenrollen irgendwann mal ganz groß rauszukommen, hartnäckig zu halten. Die US-Serie Homeland gab ihren eingefleischten Fans am 23. Mai dieses Jahres nun genau diese Chance—als menschliche Requisite Teil des Erfolgsformats zu werden. Und das nicht irgendwo in Hollywood, sondern mitten in Berlin-Kreuzberg.

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Die Macher hatten sich für die neue Staffel nämlich die Region Berlin-Brandenburg als Drehort ausgesehen—ein Umstand, der von den hiesigen Medien euphorisch bis hysterisch aufgenommen wurde. Da ich mir auch durchaus vorstellen könnte, ein Ein-Zimmer-Appartement im Berliner Norden gegen ein Penthouse in L.A. einzutauschen, beschloss ich, mein Glück beim groß angekündigten Casting zu versuchen. Außerdem hatte ich nichts Besseres vor.

Die Tatsache, dass ich bisher keine einzige Folge der US-Serie gesehen hatte, sollte dabei kein Hindernis sein. Schließlich wusste ich grob, dass es irgendetwas mit der CIA und Terrorismus zu tun hatte, erfüllte die optischen Anforderungen (es wurden ausschließlich Komparsen mit südländischer Herkunft gesucht) und glaubte zudem fest an mein Improvisationstalent.

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Das Casting sollte in Kreuzberg direkt neben dem Eingang eines Clubs, in dem sich normalerweise die ach so hippe Party-Prominenz die Nacht um die Ohren schlägt, stattfinden. Als ich bei meiner Ankunft feststellen musste, dass die Schlange der Komparsen-Bewerber von der Location bis zur nahegelegenen U-Bahn-Station reichte, schwante mir bereits Übles. Um die zweihundert Menschen versperrten mir den Weg zu Ruhm und Geld—und das waren nur die, die ich von meiner Position aus sehen konnte. Natürlich überwiegend Südländer, auch wenn sich einige eindeutig blonde, blauäugige Personen in der Menge vorfanden, die anscheinend einfach hofften, dass die gesamte dort beschäftigte Casting-Crew entweder farbenblind ist oder einfach über Nacht vergessen hatte, welche Kriterien man erfüllen musste, um mitspielen zu dürfen. Auch ein paar superaufgestylte Mädchen standen vor mir, die mich in regelmäßigen Abständen versuchten, durch ihre Blicke zu töten. Endlich verstand ich, was die Leute meinten, wenn sie vom ach so harten Showbusiness sprachen.

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Die Konkurrenz wollte Krieg, ich war darauf nicht vorbereitet und überlegte mir, ob ich nicht vielleicht doch ernster an die Sache hätte rangehen sollen, indem ich mir vielleicht die Nacht vorher wenigstens die erste Staffel reingezogen hätte. Dafür war es jetzt aber zu spät. Immerhin hatte meine Begleitung sich den Wikipedia-Artikel zur Serie durchgelesen und konnte so den ein oder anderen Informationshappen einstreuen. Da standen wir nun, zwischen Hunderten aufgeregten Homeland-Fans, absolut ratlos, was uns bei diesem Casting genau erwarten würde.

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Immerhin: Nicht nur die Laiendarsteller schienen aufgeregt, auch die Presse vor Ort war überaus hektisch und versuchte, möglichst viel Glanz und Glamour abzugreifen. So viel Glamour eine Schlange voller immer hysterisch werdender Serienfans eben ausstrahlen konnte. Fotografen drückten sich die Finger wund und Journalisten befragten die Wartenden, die nicht gerade am Telefon hingen (telefonierten sie mit ihren Managern? Haben Statisten Manager?) oder sich in fremden Sprachen aufgeregt unterhielten.

Ein hochmotivierter Homeland-Fan, der alles einfach unfassbar super fand und mich stark an Bushido erinnerte, stand direkt vor mir in der Schlange und keuchte aufgeregt in diverse Diktiergeräte: „Wenn ich auch nur eine Sekunde im Fernsehen zu sehen bin, dann hat sich der ganze Aufwand gelohnt!" Aufwand war vielleicht das falsche Wort, tatsächlich fing das ereignislose Warten aber langsam an, mir auf die Nerven zu gehen. Nach über einer Stunde war nicht einmal einer der Mitarbeiter aufgetaucht, um uns über den genauen Ablauf zu informieren. Wir hätten auch in einer Schlange ins nirgendwo (oder vor dem nächstgelegenen Dönerstand) stehen können und hätten es nicht gewusst. Und niemand außer mir fand das irgendwie bedenklich.

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Nach eineinhalb Stunden, die Grundstimmung der Fans war mittlerweile deutlich weniger euphorisch, erreichten wir schließlich die Unterführung, die auf das Clubgelände führte. Unzählige Abende war ich diesen Weg angetrunken entlang geschlendert, heute fühlte ich mich allerdings meiner sämtlichen Menschenrechte beraubt. Ich hatte Durst, meine Beine schmerzten vom stundenlangen Stehen und selbst das Tageslicht hatten sie mir genommen. Ich überlegte kurz, ob das die erste Stufe des Castings war und wir auf die Folter der Terroristen in der Serie vorbereitet wurden. Doch endlich, nach einer weiteren halben Stunde, sah ich Licht am Ende des Tunnels. Zwar auch wortwörtlich, aber es kam ein offensichtlich für irgendetwas zuständiger Mensch auf uns zu. Prophetengleich hielt er grinsend einen Stapel Zettel in der Hand und verteilte sie an das hungrige Volk. Auf deren Rückseite stand jeweils eine Nummer. Anscheinend unsere Wartenummer. Ich war die 980.

Ich füllte den Fragebogen aus, der mich an eine Tinder-Anmeldung erinnerte (Größe, Augenfarbe, Haarlänge, Schuhgröße etc.). Bei der Frage, meines derzeitigen Berufes war ich kurz davor, mit „Chirurg" zu antworten. Das stundenlange Warten hatte mich derart überreizt, dass ich es mir wahrscheinlich selbst geglaubt hätte. Ich war frustriert. Diese ganze Aktion wirkte nicht ansatzweise so professionell und durchgeplant, wie ich es bei einer großen Serie wie Homeland erwartet hätte. Kurz vor dem Eingang fiel mir schließlich ein Zettel auf, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Schwarz auf Neongrün stand da, dass man sich die ganze Sache auch hätte sparen und einfach ein Foto auf der Website der Casting-Agentur hätte hochladen können.

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Warum davon zweieinhalb Stunden vorher nicht die Rede war, warum einem das beim Casting-Aufruf nicht mitgeteilt wurde, warum sich eigentlich niemand fürchterlich aufregte und den Laden in Brand steckte, warum nur ein einziger Zettel mit dieser durchaus wichtigen Information irgendwo in eine Eckwand geklebt wurde—all das konnte mir niemand erklären. Es war ja auch niemand da, der dafür zuständig war. Nicht mal mehr der nette, ältere Herr mit den Zetteln. Mich überkam der Verdacht, dass diese gesamte Veranstaltung eigentlich nur ein Trick der Agentur war, um möglichst viele neue Gesichter in ihre Kartei aufzunehmen und sie anscheinend als Statisten für Verbotene Liebe zu missbrauchen.

Die Flyer, die uns Informationen über den Ablauf des Castings geben sollten, enthielten nicht einmal im Ansatz den Begriff Homeland und überhaupt hätte das ein Casting für alles mögliche sein können. Die Stimmung war auf dem Höhepunkt. Meine Begleitung und mich überkam der niederträchtige Wunsch, die Situation für jede andere Person im Umkreis ebenso deprimierend zu machen, und so tauschten wir uns laut über den Unsinn von Komparsenrollen im Allgemeinen aus und das einen sowieso niemand erkennen würde, wenn man eine halbe Sekunde im Hintergrund dabei zu sehen war, wie man gerade in einen Bus stieg. Zu allem Überfluss konnten wir nun auch die Leute sehen, die das Casting gerade hinter sich hatten und auf dem Weg nach Hause waren. Sie sahen sehr verbittert, nahezu wütend aus und kämpften sich aggressiv durch die Menge. Ich traute mich nicht, nachzufragen, ich hatte ein Stadium erreicht, in dem ich noch mehr Frust nicht ertragen konnte. Außerdem war es jetzt sowieso zu spät. Wir durften endlich das Gebäude betreten.

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Nicht einmal das Innere des leeren Raums löste das unausgesprochene Versprechen von Ruhm und Glamour ein. Die einzigen anderen Personen waren drei Fotografen, die mit leeren Augen auf den nächsten Schub Bewerber warteten. Sie sahen alle drei aus wie Studenten, die zu Weihnachten ihre erste Canon bekommen haben und den netten alten Opa mit den Zetteln gefragt hatten, ob sie mitspielen dürfen. Sporadisch waren Lichter aufgestellt, anscheinend um das alles professioneller wirken zu lassen. Insgesamt zwei Fotos wurden von jedem Komparsenanwärter gemacht. Eins mit Nummernschild in der Hand (ja, wie bei der Polizei), eins ohne. Das war es dann auch schon. Ohne, dass irgendeiner der anwesenden Mitarbeiter ein Wort mit uns gewechselt hätte, wurden wir wieder nach draußen geschickt. Ich war so wütend, dass ich beinahe auf dem Absatz kehrt gemacht und mir das Foto gespart hätte.

Wäre da nicht eine ältere Dame, scheinbar ein Hardcore-Homeland-Fan, gewesen, die mir mit irren Augen zuraunte: „Aber ihr MÜSST das Foto machen, sonst können sie euch nicht in die Kartei aufnehmen!" Also machte ich das Foto. Lächelnd. Wie der Joker. Die Fans, die zuvor noch so euphorisch darauf gewartet hatten, endlich an die Reihe zu kommen, verließen größtenteils gebrochen die Location. Müde, frustriert und mit dem Gefühl, ziemlich verarscht worden zu sein.

Auf dem Weg Richtung Ausgang stellte sich mir eine Frau, die mich stark an meine Deutschlehrerin aus der Volksschule erinnerte, in den Weg und fragte mich, ob sie mit mir ein Interview über den Casting-Ablauf führen dürfte. Ich war mittlerweile so wenig dazu in der Lage, mich weiterhin gegen irgendetwas zu wehren, dass ich etwas zu übereifrig einwilligte. Bevor ich über die Konsequenzen meiner Handlung nachdenken konnte, sah ich mich gefangen in einem minutenlangen Radiointerview über eine Serie, von der ich nicht den blassesten Schimmer hatte. Sie stellte mir die Frage, was mich dazu bewogen hatte, hier mitzumachen und ich beantwortete die Frage damit, dass ich der größte Homeland-Fan der Welt sei. Eventuell war es der Sonnenstich oder ich war einfach so frustriert, dass ich nun versuchte, mich selbst zu bespaßen.

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Die Journalistin reagierte allerdings so glücklich auf meine Antwort, dass ich nicht anders konnte, als mich immer weiter in mein Lügennetz zu verstricken. Somit erzählte ich im Laufe des Gesprächs, dass mich der Tod eines anscheinend sehr wichtigen Protagonisten in Staffel 3 emotional zerstört hätte, dass ich lügen würde, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht geweint hätte, und gab weitere völlig sinnfreie Antworten auf in meinen Augen noch sinnlosere Fragen von mir. Erst ihre Abschlussfrage holte mich abrupt wieder in die Realität zurück.

Als sie wissen wollte, wie ich als Türkin dazu stehe, dass in der Serie die islamische Welt ja offensichtlich als böse hingestellt wird und die westliche als gut, antwortete ich zwar sehr souverän mit „Ich finde, man sollte das mehr aus dem künstlerischen Aspekt sehen und nicht zu viel hineininterpretieren", begann jedoch, innerlich nervös zu werden. Wenn ihre Behauptung stimmte, dann hatte ich mich unwissentlich als Rolle einer Terroristin beworben, die die westliche Welt zerstören wollte. Was würden meine Großeltern sagen?

Als ich mich verabschiedete, bedankte sich die Reporterin für das „tolle Interview" und rang mir das Versprechen ab, mich bei ihr zu melden, falls ich als Komparsin genommen werden würde. Wenigstens einmal an diesem schon jetzt viel zu langen Tag konnte ich mir die Bestätigung abholen, nicht der schlechteste Schauspieler der Welt zu sein.

Alles in Allem war es ein wirklich ernüchterndes Erlebnis, was ungleich schlimmer für die Leute gewesen sein muss, die wirklich Fans der Serie sind. Nichts an diesem Casting hatte explizit irgendetwas mit Homeland zu tun, stattdessen schien es sich um eine publikumswirksame Massen-Akquirierung der zuständigen Komparsen-Agentur zu sein. Falls ich demnächst Anfragen für mittelklassige deutschsprachige Serien bekomme, werde ich sie ablehnen. Wütend. Meinen Traum von unendlich viel Geld und unfassbarem Ruhm würde ich wohl erst einmal begraben müssen.