Flüchtlinge? Welche Flüchtlinge?
Foto: Imago/Ralph Peters

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Flüchtlinge? Welche Flüchtlinge?

Wir haben Oktoberfest-Besucher gefragt, was sie über Flüchtlinge denken.

Hier in München war es das Thema der vergangenen Wochen: Was wird bloß passieren, wenn am Hauptbahnhof Tausende feierwütige Oktoberfest-Besucher auf Tausende Flüchtlinge treffen? Wie wird die Stadt damit klarkommen? Nun, so viel sei gesagt: München ist München ist München. Pünktlich zum Wiesn-Beginn gab's am Hauptbahnhof vor allem Dirndl und Lederhosen zu sehen. Kaum ein Flüchtling weit und breit. Die Strategie der Staatsregierung ist aufgegangen. Der im bayerischen Innenministerium angesiedelte „Koordinierungsstab Asyl/Oktoberfest" hat dafür gesorgt, dass Züge mit Flüchtlingen an Bord an der bayerischen Hauptstadt vorbeigeleitet werden. Die Migranten sammeln sich nun nicht mehr in München, sondern an der bayerischen Grenze. Aus den Augen, aus dem Sinn? Wir haben uns auf dem Oktoberfest umgehört. Wie präsent ist das Elend auf der größten Volksparty Deutschlands?

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Moritz, 25 und Verena, 26

VICE: Seid ihr auf dem Weg hierhin Flüchtlingen begegnet?
Verena: Nein, nicht, dass ich wüsste.

Was sagt ihr dazu, dass München die Flüchtlinge pünktlich zum Oktoberfest „wegorganisiert" hat?
Verena: Puh, das ist schwierig. Natürlich vereinfacht das die Sache, aber es hat auch was von „Hauptsache weggeschafft und wir haben keine Probleme mehr". Das ist halt eine Moralfrage. Ich will da jetzt nicht sofort drüber urteilen, weil ich keine Ahnung habe, wie viele Probleme das bereitet hätte, aber es hat schon einen miesen Beigeschmack.

Wie ist das, jetzt hier zu feiern?
Moritz: Es ist natürlich schwierig für die Leute, die jetzt hier ankommen. Aber warum sollten wir nicht feiern dürfen? Natürlich hat man im Hinterkopf, dass es denen schlecht geht, aber mir leuchtet nicht ein, warum wir deshalb nicht feiern sollten.

Scott, 32 und Liam, 30

VICE: Sind euch auf dem Weg hierhin Flüchtlinge begegnet?
Scott: Ja, wir sind mit dem Zug gekommen und da sind an irgendeinem Bahnhof Polizisten reingestürmt und haben so circa 50 Flüchtlinge aus dem Zug geholt. Auch die, die gültige Tickets hatten. Keine Ahnung, wo das war. Auf jeden Fall auf dem Weg zum Münchner Hauptbahnhof.

Was haltet ihr von so einer Aktion?
Scott: I love you, mom.
Liam: Idiot. Diese Menschen sind verzweifelt und brauchen Hilfe. Ich weiß zwar nicht, wie das funktionieren soll, die alle zu integrieren, aber die westlichen Regierungen müssen sich um diese Menschen kümmern.
Scott: Sorry, war Spaß. Ich weiß nicht genau, was ich von so einer Aktion halten soll. Generell würde ich sagen, wenn sie ein gültiges Ticket haben, dann lasst sie weiterfahren. Wenn nicht, dann nicht.

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Wie ist es jetzt, hier zu feiern, nachdem ihr das gesehen habt?
Scott: Ganz ehrlich? So schlimm das jetzt auch klingt: Ich denke nicht darüber nach. Wir sind hier auf dem Oktoberfest. Ich denke an Bier, Mädchen und noch mehr Bier. Aber dann, wenn du nach Hause kommst und die Nachrichten siehst, dann realisierst du, wie schlimm es anderen geht.
Liam: Ich bin einfach dankbar dafür, wie viel Glück ich hatte. Die Flüchtlingskrise beeinflusst nicht unbedingt mein Leben, aber sie beeinflusst, wie ich denke. Sie zeigt mir, wie gut wir's haben.

Nicola, 27

VICE: Was sagst du zur aktuellen Flüchtlingslage?
Nicola: Ich finde es erschreckend, was hier zum Teil passiert. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte kann ich nicht fassen, dass es hier Leute gibt, die Flüchtlingsheime in Brand setzen. Das ist traurig. Diese Leute fliehen vorm Krieg, wir sollten ihnen helfen.

München hat ja jetzt geregelt, dass hier kaum noch Flüchtlinge ankommen. Was sagst du dazu?
Nun, es war zu erwarten, dass sie versuchen, das Oktoberfest so ruhig wie möglich zu gestalten. Ich fand die Idee ganz schön, dass die Zelte nachher für Flüchtlinge bereitgestellt werden, aber die ist ja jetzt vom Tisch. Schade. Hier steht ja alles, Zelte, WCs, etc. Das hätte man doch gut nutzen können, um den Leuten zu helfen.

Helmut, 73

VICE: Wie bewertest du die momentane Lage in Bayern?
Helmut: Ich bin da ganz beim Oberbürgermeister Dieter Reiter. Der sagte, wir haben in den 90ern die ganzen Flüchtlinge aus Jugoslawien verkraftet, da war die ganze Theresienwiese eine einzige Zeltstadt, und dann werden wir das jetzt auch schaffen. Aber irgendwann sind die Grenzen natürlich erreicht.

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Wie findest du es, dass hier in München jetzt kaum noch ein Flüchtling ankommt?
Ach, wie die das geregelt haben, ist schon in Ordnung. Sonst hätte es ein Chaos gegeben.

Was stört dich an der aktuellen Situation?
Die Politik hat diese Katastrophe verschlafen. Sie hat verpasst, das Problem an der Wurzel zu packen. Es ist doch so: Niemand verlässt gerne seine Heimat. Man muss in den Ländern, aus denen die Flüchtlingen kommen, für Ordnung und Frieden sorgen. Dann kehren sie auch wieder zurück. Weil jeder will wieder in seine Heimat zurück.

Aidan, 27

VICE: Hast du auf deinem Weg hierhin Flüchtlinge gesehen?
Aidan: Nein, keinen.

Nun, dafür hat man gesorgt. Wie findest du das?
Keine Ahnung. Ich bin verkatert.

Was sagst du denn dazu, dass Tausende von Menschen so sehr um ihr Leben fürchten, dass sie aus ihrer Heimat fliehen?
Keine Ahnung. Die brauchen wohl Hilfe. Aber wer ist dafür verantwortlich, ihnen zu helfen? Ich habe keine Ahnung.

Und wie fühlt es sich an, jetzt hier zu feiern?
Keine Ahnung. Ich kann das nicht beantworten. Wenn einer vor meiner Tür steht, helfe ich ihm. Sonst: echt keine Ahnung.

Cornelia, 50

VICE: Wie bewertest du die aktuelle Lage, hinsichtlich der Flüchtlinge, die in Bayern ankommen?
Cornelia: Es beängstigt mich. Es sind mir zu viele. Ich helfe immer gern, keine Frage. Aber diese Masse, die da auf uns zukommt, die macht mir Angst.

Was daran macht dir Angst?
Wir können das nicht mehr steuern. Ich habe selbst zwei jugendliche Kinder, die noch in der Schule sind, in Lenggries, wo jetzt auch gerade die Turnhalle für Flüchtlinge bereitgestellt wird. Und da wurde gesagt: Wenn ihr helft, dann bekommt ihr eine positive Bemerkung ins Zeugnis. Da habe ich mich fürchterlich drüber aufgeregt. Wenn sie helfen wollen, sollen sie helfen. Aber das muss ich nicht ins Zeugnis hineinschreiben. Es kann doch nicht sein, dass da so ein Druck aufgebaut wird. Das ist nicht in Ordnung. Wir helfen gern, aber es darf kein Muss werden.

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Mmmh.
Was ich auch noch ganz wichtig finde ist, dass man seine Meinung sagen darf. Jetzt sollen gerade alle still sein und lächeln und sagen „Alles ist gut", doch das ist es ja nicht. Wir haben alle Zukunftsängste, Wohnungen sind kaum noch zu bezahlen, auch ohne Flüchtlinge. Da zahlst du hier in München für ein Wohnklo 500 Euro. Wie sollen unsere Kinder das noch finanzieren? Das geht ja gar nicht. Also, da kriegst du echt Angst.

Mmmh.
Also, mir tun die alle leid, ja. Mir tun die wirklich alle leid. Und dass die weg wollen, ich verstehe das. Ich würde es wahrscheinlich genauso machen, aber wir können nicht allen helfen. Das ist einfach so.

Sarkavt, 27

VICE: Wie nimmst du die momentane Situation wahr?
Sarkvat: Oh, es sind so viele nach Deutschland gekommen. Klar, in Syrien und in Irak, wo ich herkomme, da ist gerade Katastrophe. Da ist es nicht wie früher. Klar, Deutschland hilft, aber ich hoffe, es kann noch ein bisschen mehr. Weil alle wollen in Deutschland leben, nicht in Ungarn oder in Rumänien. Verständlich. Weil Deutschland ist schön. Schöner als jedes andere Land.

Wie sollte Deutschland mit den vielen Flüchtlingen umgehen, deiner Meinung nach?
Das muss Deutschland entscheiden. Aber es wäre natürlich schön, wenn Deutschland viele aufnimmt. Ich kann die Menschen verstehen. Ich fände auch schön, wenn meine ganze Familie hier wäre. In anderen Ländern wäre das schwer. Hier wäre es schön.

Was denkst du, wenn du hier feierst und die auf der Flucht sind?
Schade. Hier feiern, dort sterben. Einfach so, ohne Grund. Das ist schon bedrückend, natürlich.


Titelfoto: Imago/Ralph Peters