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Hört auf, die Schweiz mit Oktoberfest-Zelten zuzupflastern

Was fasziniert euch so an blau-weissen Tischtüchern, abgestandenem Bier und DJ Ötzi?
Foto: Thomas sauzedde

Nennt mich eine Spassbremse, aber ich mag das Oktoberfest nicht. Wieso müssen wir an gefühlt jedem Flecken der Schweiz, an dem sich irgendwie ein Bierzelt hinquetschen lässt, ein Bierzelt hinquetschen? Die Event-Kalender finden im Oktober dementsprechend ihren Zenit beim Buchstaben „O", in jeder Ecke von Hinterpfupfingen bis Zürich werden Festbänke mit blau-weissen Tischtüchern bedeckt und Bierfässer mit einem „O'zapft is!"-Schrei angestochen. Ich verstehe das nicht.

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Ich war bisher einmal auf einem Oktoberfest. Das war zu einer Zeit, in der man bekanntermassen ziemlich viel Unsinn treibt: Meinem ersten Semester an der Uni. Damals habe ich mir—noch etwas überfordert vom Leben in der Stadt—an Erstsemestrigen-Partys mit mindestens so billigen wie fuseligen Longdrinks die grössten Studenten-Party-Hits ertragbar getrunken. Ich war gerade dabei, zu lernen, dass die Uni quasi geschafft ist, sobald man endlich mal kapiert hat, wie das mit den ganzen ECTS-Punkten funktioniert. Und dass die wahre Kunst des Studierens darin liegt, möglichst nicht in Vorlesungen aufzutauchen und trotzdem das Gewissen der Eltern mit einem „Bestanden" beruhigen zu können.

Irgendwann in dieser Orientierungslosigkeit strandete ich also auch am Oktoberfest im Zürcher HB. Und ich hatte Spass! Zusammen mit ein paar wenigen Freunden und sehr viel Bacardi-Cola (eine weitere Erstsemestrigen-Sünde) habe ich meinen Geist optimal auf das Happening im HB vorbereitet. Im Festzelt drinnen tranken wir weiter und weiter und weiter und hatten immer mehr und mehr und mehr Spass.

Foto: Thomas sauzedde | Flickr | CC BY 2.0

Trotzdem gibt es da ein Problem: Das Oktoberfest ist eine Party, die ich nur betrunken gut finde. Und Partys, die man nur erträgt, wenn man betäubt genug ist, sind meistens keine sonderlich guten Partys. Das habe ich beim Aufwachsen auf dem Land gelernt, wo wir uns Wochenende für Wochenende die Langeweile weggetrunken haben. Und heute in Zürich ist das nicht anders. Wenn du eine Party nüchtern nicht mindestens OK findet, liegt das Problem vielfach nicht bei dir, sondern eben bei der Party. Klar, Alkohol kann viele, wenn nicht alle Partys besser machen. Er hilft, offener und euphorischer zu werden. Aber er macht eben auch Orte, an denen man nüchtern nie sein möchte zu einem Paradies.

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Irgendwie erinnert mich das auch an die Fasnacht, den grossen Bruder der Schweizer Oktoberfeste. Auch dort geht es vielen Menschen darum, sich verkleidet möglichst viel Alkohol hinter die Binde zu kippen und sich möglichst daneben zu benehmen. Ich mag mich aber nicht verkleiden, wenn ich an eine Party gehe. Ich finde, das hat vielfach etwas Erzwungenes: „Hey, wir haben uns extra lustige Kostüme angezogen, jetzt müssen wir aber auch wirklich, wirklich Spass haben!" Mir kommt das oftmals so vor, als würden sich Menschen eine Parallelwelt zu ihrem Alltag als KV-Angestellte aufbauen. Sozusagen ein Refugium zur Flucht aus ihrem bürgerlichen Leben.

Foto: eric yeargan | Flickr | CC BY 2.0

Trotzdem ist dieses Refugium mindestens so geregelt wie der eigentliche Alltag. Schon bevor du an die Wiesn gehst, weisst du, wie der Abend im Zelt abläuft: Du passt dich mit Lederhose oder Dirndl dem Dresscode an, setzt dich an deinen reservierten Tisch, der irgendwann zum wackligen Dancefloor wird, grölst „Ein Prosit" und reitest „Das rote Pferd", du füllst deinen Magen mit Brezeln und Weisswürsten und bestellst eine Mass nach der anderen.

Dass das Bier in den unhandlichen Ein-Liter-Krügen nach den ersten Schlucken und Anstoss-Orgien schon abgestanden ist, ist dir in diesem Moment schon so egal, wie die Tatsache, dass du es in deiner Stammbar für die Hälfte des Preises bekommen würdest. Ohne den ganzen Zirkus drumherum.

Das macht es natürlich auch für den Veranstalter einfach. Er weiss genau, was die Oktoberfest-Besucher von ihm erwarten und kann dementsprechend auch genau das liefern. So steckt hinter einem im Grunde geselligen Anlass schnell mal ein liebloses Business. Bier, Brezeln und gute Laune werden zu Geld—und das Oktoberfest zu einer Marke. Einer Möglichkeit, mit möglichst wenig Kreativität, möglichst viel Geld zu machen.

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Das Absurde an dieser Marke ist, dass es in der Schweiz gesellschaftlich absolut OK ist, Deutsche prinzipiell nicht zu mögen—und trotzdem feiern alle dieses Fest, das wohl für Millionen von Menschen auf dieser Welt die erste Assoziation mit Deutschland ist (OK, die zweite nach dem berühmten Oberlippenbartträger). Noch paradoxer wird es, wenn du schliesslich realisierst, dass die Brezeln und Weisswürste am Münchner Original eben doch besser schmecken als im zum Oktoberfest umfunktionierten Hinterpfupfinger Feuerwehrzelt.

Grundsätzlich hat ja jeder seine eigene Vorstellung von einer guten Party. Das finde ich auch OK. Meine ist eben eine andere, als die der Dirndl- und Lederhosen-Fans. Aber ich möchte nicht einen Monat lang durch die Stadt schlendern und an jeder Ecke „Heeeeey, heeeey Baby!"-grölende Lederhosen begegnen müssen.

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Titelfoto: Thomas sauzedde | Flickr | CC BY 2.0