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Wie die Polizei jetzt versucht, die Pressefreiheit zu schützen

Nach dem Anschlag in Paris stehen jetzt weitere Redaktionen unter Polizeischutz. Angeblich auch in Deutschland.

Notre-Dame unter Militärschutz, 8. Januar 2015. Foto: Étienne Rouillon

Lest hier alles rund um den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris: #JeSuisCharlie

Am Mittwoch, den 7. 1., hat Charlie Hebdo einen hohen Preis für unsere Meinungsfreiheit gezahlt. Obwohl sie in den vergangenen Jahren mehrfach Opfer von Angriffen und Drohungen geworden sind, weigern sich die Redakteure und Zeichner des Satiremagazins zu schweigen. Sie arbeiteten genauso weiter wie bisher.

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Nachdem im Jahr 2006 zwölf Mohammed-Karikaturen veröffentlicht wurden, hielten Polizisten regelmäßig Wache vor den Türen der Redaktion. Am Mittwoch erklärte Richard Malka, Anwalt der Zeitschrift, bei Radio RTL: „Seit acht Jahren lebt Charlie Hebdo mit den Drohungen. Natürlich gibt es Sicherheitsmaßnahmen, aber gegen Barbaren mit Kalaschnikows kann man nichts ausrichten."

Im November 2011 wurden nach mehreren Drohungen und einem Brandanschlag, der die Räumlichkeiten der Zeitschrift verwüstete, der Herausgeber Charb, der beim Attentat ermordet wurde, der Karikaturist Luz und der Redaktionsleiter Riss unter Personenschutz gestellt.

Als die Redaktion angegriffen wurde, stand nur Charb immer noch unter dauerhaftem Polizeischutz durch zwei Beamte des Sicherheitsdienstes der französischen Police Nationale. Franck Brinsolaro, einer der vier Beamten, die mit dem Schutz des Karikaturisten beauftragt waren, wurde ebenfalls getötet. Zusätzlich zum Personenschutz fuhr die Polizei weiterhin regelmäßig Streife in der Nachbarschaft der Redaktion. Gestern waren vor den Angriffen insgesamt dreimal Polizeistreifen an der Redaktion vorbeigefahren. Laut Le Monde waren während des gestrigen Angriffs keine Polizeibeamten dauerhaft vor dem Gebäude postiert, wie das zuvor bereits der Fall war. Stattdessen griff man auf „dynamische" Sicherheitsmaßnahmen zurück.

Im Gespräch mit Le Figaro erklärte Laurent Nunez, Leiter des Polizeipräsidiums von Paris, dass die dauerhafte Bewachung dennoch immer wieder angeordnet wurde, wenn eine „etwas heiklere Ausgabe" veröffentlicht wurde. „Es schien so, als ob das Bedrohungspotential abgenommen hätte", erläutert Nunez weiter. Diesen Eindruck teilten auch die Mitarbeiter des Satiremagazins, so unter anderem der Chefredakteur Gérard Biard: „In der letzten Zeit waren die Drohungen nicht so präsent."

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Kurz nach dem Angriff auf Charlie Hebdo wurden für den Fall, dass weitere Angreifer sich zu anderen Zeitschriften auf den Weg machen würden, auch andere französische Medien unter Polizeischutz gestellt. Laut Sophie de Ravinel, Korrespondentin beim Figaro, durchsuchten etwa zwei bewaffnete Polizisten in kugelsicheren Westen die Taschen am Eingang zur Redaktion. Auf Anfrage von VICE erklärte Christophe Crépin, Vertreter der Polizeigewerkschaft UNSA, dass „bis auf weiteres jedes Presseorgan in Frankreich rund um die Uhr von schwerbewaffneten Polizeibeamten in kugelsicheren Westen" bewacht wird. Weil die Sicherheitsmaßnahmen so kurzfristig verschärft wurden, hängt die Anzahl der Polizisten, die in den Redaktionen postiert werden, nach Angaben des Gewerkschaftsvertreters von der Zahl der verfügbaren Polizisten in den benachbarten Revieren ab. Er fügte hinzu: „Selbst wenn das Ziel des Angriffs eine Pariser Redaktion war, werden auch die Büros von Regionaltageszeitungen bewacht."

Auch außerhalb von Frankreich ist die Situation angespannt. Nach Drohungen, die Online geäussert wurden, kam es zu verschärften Sicherheitsmaßnahmen bei der Tageszeitung Der Standard und beim Staatsfernsehen ORF. Laut Der Standard-Geschäftsführer Wolfgang Bergmann wurde ein Posting im Forum von derstandard.at zur Anzeige gebracht, auf welches die Exekutive mit Gebäudeüberwachung reagiert hat.

In Deutschland sprach Bundesinnenminister de Maizière in einer offiziellen Stellungnahme davon, dass es „keinen konkreten Hinweis auf vergleichbare Anschlagsplanungen in Deutschland" gäbe, das Landeskriminalamt in Berlin ist trotzdem alarmiert. „Die Lage wird laufend beobachtet und die Schutzmaßnahmen den Entwicklungen angepasst. Grundlegend kann man davon ausgehen, dass satirische Zeitungen und Magazine gefährdeter sind als eine Lokalzeitung", heißt es von der offiziellen Pressestelle der Polizei.

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Laut Hélène Kohl, freischaffende Journalistin in Berlin, standen auch Redaktionen in Berlin unter Polizeischutz. Gleichzeitig brachten sie die Zeichnungen von Charlie Hebdo in Umlauf:

Protection policière devant et dans les rédactions berlinoises ce matin. La presse allemande solidaire reprend des dessins de — Hélène Kohl (@helkohl)8. Januar 2015

Bestätigen will das LKA das allerdings nicht: „Zu Schutzmaßnahmen äußern wir uns grundsätzlich nicht. Wir teilen weder den Umfang der Maßnahmen mit, noch wer darin einbezogen ist." Dadurch soll verhindert werden, potentiellen Tätern Informationen über mögliche Gefährdungssituationen zuzuspielen und die Schutzmaßnahmen der Polizei öffentlich „ausrechenbar" zu machen. Die Gefährdungsbewertung in derartigen Situationen fällt dem deutschen Staatsschutz zu, der von Fall zu Fall individuell entscheidet.

„Unabhängig davon klären wir in Gefährdetengesprächen mit den Betroffenen auch, welche selbstinitiierten Maßnahmen sie ergreifen können. Da geht es beispielsweise darum, seine Personalien auf öffentlich zugänglichen Portalen zu sperren, sein Auto zukünftig an einer anderen Stelle zu parken oder einen Wachdienst für das Gebäude anzuheuern. Einen Automatismus kann und soll es bei solchen Vorfällen nicht geben."

Pas de protection policière visible devant Les Echos jeudi à 10h. Deux policiers armés en en gilets fouillent les sacs à l'entrée du Figaro.

— sOphie de Ravinel (@S2RVNL)8. Januar 2015

Die Sicherheitsmaßnahmen wurden auch bei anderen europäischen Zeitungen verstärkt, besonders in der Redaktion des Jyllands Posten, einer dänischen Tageszeitung, die wie Charlie Hebdo 2006 Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte. 2010 war Kurt Westergaard, Urheber der kontroversesten Karikaturen, einem Mordanschlag in seiner Wohnung entkommen. In einem internen Memo hat die Redaktionsleitung ihre Mitarbeiter darüber informiert, dass „die Überwachung und das Sicherheitsniveau in und um unsere Büros in Kopenhagen und Viby (dem Stadtteil von Aarhus, in dem die Zeitung ihren Sitz hat) erhöht wurden". Die Sprecherin der Zeitung wollte keinen Kommentar abgeben.

Und noch jemand genießt jetzt Polizeischutz: Der Autor Michel Houellebecq, dessen dystopischer Roman über Frankreich als muslimischer Gottesstaat am Mittwoch in die Buchläden kam. Wegen seines neuen Buches hatte Charlie Hebdo sich auf der Titelseite des Tages über den selbsternannten Propheten Houellebecq lustig gemacht. Tagsüber wurden die Pariser Büros seines Verlags Flammarion komplett evakuiert. Auf Anfrage erklärte ein Vertreter des Verlagshauses, diese Entscheidung sei „in Abstimmung mit der Polizei" als Präventivmaßnahme getroffen worden.

„Immer mehr Prominente und Journalisten leben angesichts der politischen Spannungen und erhöhten Terrorismusgefahr mit Schutz", erklärt der Vizepräsident der französischen Personenschützer-Föderation Jean-Pierre Diot. „Sobald man heutzutage in der Öffentlichkeit auftritt—vor allem, wenn die eigene Meinung bestimmte Befindlichkeiten verletzen könnten—, setzt man sich einem Risiko aus. Das Bedrohungsniveau wird bei jedem Prominenten analysiert. Unglücklicherweise wird oft gewartet, bis etwas passiert, bevor solche Maßnahmen angewendet werden."

Diot hat allerdings Zweifel am Nutzen der Polizeimaßnahmen. „Man kann sich ja vorstellen, dass diese Verrückten und ihre Freunde jetzt erst einmal abtauchen, bis die Sache sich beruhigt hat", erklärt er. Wir kommen langsam in eine Zeit, in der bessere Sicherheitsvorkehrungen nötig sein werden, um das erhöhte Terror-Risiko einzudämmen."