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Was tun, wenn man Opfer eines Hasspostings oder einer Internetkampage wird?

Ein Jurist gibt Antworten.
Screenshot via Twitter

Die Falter-Titelgeschichte über Hass im Netz hat die überfällige breite öffentliche Debatte zu diesem Thema gebracht. Eigentlich sind es zwei Bereiche, um die es geht: einerseits Hate Speech, also Hasspostings auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken und unter Onlinetexten (etwa unter Artikeln von Onlinemedien). Nicht selten wird da Flüchtlingen gewünscht, dass sie "alle im Mittelmeer ersaufen sollen", oder Journalistinnen, dass sie vergewaltigt werden sollten. Zunehmend werden Berufsgruppen wie Lehrer, Ärzte oder Beamte Opfer von Hasskampagnen im Netz; unzufriedene KlientInnen machen sich so Luft.

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Zum anderen geht es um Cybermobbing: Jugendliche versenden oder posten Nacktfotos von SchulkollegInnen, Arbeitnehmer verunglimpfen Kollegen. Es geht beim Cybermobbing darum, jemanden online fertigzumachen. Gerade unter Jugendlichen hat der Druck solcher Attacken bereits zu Selbstmorden geführt.

Wie geht man nun gegen Hetze und Mobbing im Internet vor? Und ist es überhaupt empfehlenswert, sich zu wehren? Letzteres ist mit einem klaren Ja zu beantworten: Gegenwehr ist nötig und empfehlenswert. Die Erfahrung zeigt, dass Täter immer dreister werden und immer brutalere Methoden einsetzen, wenn sie auf keinen Widerstand stoßen. Die Rechnung, man könne bei Hasskampagnen durch Ignorieren deeskalieren, geht nicht auf; Polizei und Justiz können diese Erfahrung bestätigen. Bundeskanzler Kern hat Recht damit, dass der Gewalt der Worte oft die Gewalt der Taten folgt. Man sollte auf Übergriffe im Netz also reagieren, als Opfer genau so wie als Beobachter von Hassreden gegen Dritte. Wenn Prominente, Medien und Parteien wie die Grünen hier vorangehen, ist das wichtig.

Was kann der/die einzelne Betroffene tun?

Es ist ein Phänomen, dass viele Menschen Äußerungen im Internet treffen, die sie face to face, also etwa bei einer Betriebs- oder Schulversammlung, bei einer Gerichtsverhandlung oder auch im Gasthaus, nie wagen würden. Das unterschiedliche Verhalten ist aus der Rechtsordnung heraus nicht nachvollziehbar. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Was sonst als Beleidigung oder Verleumdung strafbar ist, ist als Social Media-Inhalt ebenso strafbar. Aus jüngster Zeit gibt es zudem noch rechtliche Sonderbestimmungen, die auf das Netz zugeschnitten sind. Freilich bestehen in der Rechtsverfolgung bei Onlinedelikten dieselben Schwierigkeiten wie auch sonst: die Rechtslage ist undurchschaubar, Infos fehlen, mitunter besteht ein Kostenrisiko.

Was tue ich nun, wenn ich Opfer eines Hasspostings oder einer Internetkampage bin? Die erste wichtige Regel ist die Beweissicherung. Gerade im Netz gehen Beweise schnell verloren: Postings können gelöscht, Seiten geschlossen werden. Daher sollten Hasspostings und sonstige herabsetzende Inhalte durch Ausdrucke, Screenshots, Fotos sofort gesichert werden. Die Dokumentation sollte Datum, Uhrzeit, Nutzernamen und Bezeichnung der website enthalten. Zudem empfiehlt sich die Beiziehung und Besprechung mit einer Vertrauensperson, um die nächsten Schritte zu besprechen.

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Das Feld möglicher rechtlicher Reaktionen ist breit und vom jeweiligen Inhalt abhängig. In vielen Fällen kommt man wohl ohne Hilfe von JuristInnen nicht aus. Schwerwiegende Ausfälle können strafrechtliche Tatbestände erfüllen, die dann in der Regel mit Geld- und Gefängnisstrafen bedroht sind. Hasspostings können ganz unterschiedliche Straftatbestände wie Üble Nachrede, Beleidigung, Kreditschädigung, Gefährliche Drohung, Cybermobbing, Stalking oder Verhetzung erfüllen.

Die Äußerung 'ich werde mich freuen, wenn dir was passiert', kann, muss aber rechtlich nicht als Drohung gewertet werden.

Manche, wie etwa Verhetzung, gefährliche Drohung oder Cybermobbing (§ 107c StGB), sind so genannte Offizialdelikte; das heißt, Polizei und Staatsanwaltschaft müssen aktiv werden, wenn sie vom Delikt durch eine Anzeige oder eigene Wahrnehmung erfahren. Das ist für das Opfer günstig: Die Polizei muss dann den Täter ausforschen, was bei anonymen Postings ja nicht so einfach ist. In solchen Fällen genügt es also, den Sachverhalt bei Polizei oder Staatsanwaltschaft schriftlich anzuzeigen oder in der nächsten Polizeiinspektion die Anzeige zu erstatten.

Im Einzelnen sind die in Frage kommenden Delikte komplex: nicht jeder Aufruf zu Verachtung und/oder Gewalt gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen lässt sich strafrechtlich als Verhetzung qualifizieren, und auch nicht jede hässliche Drohung ist eine gefährliche Drohung im strafrechtlichen Sinn. Die Äußerung "ich werde mich freuen, wenn dir was passiert", kann, muss aber rechtlich nicht als Drohung gewertet werden. Das so genannte Cybermobbing (§ 107c StGB) ist erst seit 2016 strafbar; strafbar macht sich, wer einen anderen im Wege einer Telekommunikation in seiner/ihrer Lebensführung unzumutbar über eine längere Zeit beeinträchtigt; in einfacheren Worten: wer gegen einen anderen im Netz eine Kampagne führt beziehungsweise ihn/sie einige Zeit lang mobbt.

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In allen diesen Fällen von Offizialdelikten ist die Strafverfolgung allein in der Hand des Staates. Man erstattet also eine Anzeige bei Polizei und Staatsanwaltschaft, die dann Ermittlungen aufnehmen. Als Opfer hat man hier kein Kostenrisiko zu tragen. Anders ist es bei Beleidigungen oder einer Üblen Nachrede: Egal, ob im Netz oder außerhalb, es handelt sich um ein Privatanklagedelikt. Zwar bewegt man sich im Rahmen des Strafverfahrens, das Opfer muss aber selbst (an Stelle der Staatsanwaltschaft) die Anklage führen und damit auch den Täter ermitteln. Das wirft oft große Probleme auf und kann mit Kosten verbunden sein.

Als Opfer eines Onlinedelikts ist man aber nicht nur auf das Strafrecht angewiesen. In vielen Fällen wird ein zivilrechtlicher Anspruch gegen den Betreiber der Website und gegen den Täter bestehen, das Hassposting zu löschen. Vielfach existieren Unterlassungsansprüche: der Täter muss erklären, dass er die inkriminierte Äußerung künftig unterlassen wird. Auch Schadenersatzansprüche können in vielen Fällen erfolgreich geltend gemacht werden. Bei all diesen zivilrechtlichen Schritten kommt man ohne anwaltliche Unterstützung als Durchschnittsmensch nicht aus.

Was jede/r selbst tun kann, sind aber Aufforderungsschreiben und Löschungsanträge an Websitebetreiber, Hasspostings zu entfernen. Nach der Sicherung der Beweise sollte das einer der ersten Schritte sein—damit das Posting möglichst schnell gelöscht wird, agiert man am besten über Telefon oder E-Mail. Eine schnelle erste Reaktion besteht selbstverständlich auch darin, den Belästiger zu sperren beziehungsweise zu blockieren. In den meisten sozialen Netzwerken geht dies auf einfache Weise.

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Man sieht: für den einzelnen ist die Gegenwehr nicht so einfach. Ist man im beruflichen oder schulischen Kontext Opfer von Hetze, dann sollte man rasch Arbeitgeber beziehungsweise Schule informieren. Arbeitgeber und Schulen haben Fürsorgepflichten und können und müssen Betroffenen helfen. Jugendliche finden kostenlos und auch anonym Hilfe beim Notruf Rat auf Draht. Eine EU-Initiative bietet auch einiges an Infos.

Die einzelnen Schritte noch einmal in Kürze zusammengefasst:

1. Beweise sammeln (Screenshot, Ausdruck, Foto, …),
2. Vertrauensperson heranziehen,
3. Betreiber zur Löschung des postings/Texts auffordern,
4. rechtliche Schritte:
- kostenlos: Strafanzeige an Polizei oder Staatsanwaltschaft; Schreiben an Betreiber oder namentlich bekannten Täter, bestimmte Äußerungen zu entfernen und in Zukunft zu unterlassen
- kostenpflichtig: zivilrechtliche Klage (Unterlassung, Löschung, Widerruf, Schadenersatz), (strafrechtliche) Privatanklage

Angesichts der Komplexität der Rechtsverfolgung ist es gut, wenn Frauenministerin und Justizminister nun neue Maßnahmenpakete ankündigen. Vier Schwerpunkte bieten sich dabei an:

  • Bewusstseins- und Informationsarbeit, die das Unrecht von Cybermobbing und Hetze verdeutlicht und Betroffene zur Gegenwehr ermutigt
  • Schaffung niederschwelliger Anlaufstellen, die Betroffenen Arbeit und Kostenrisiko abnehmen und ähnlich der bereits bestehenden Prozessbegleitung psychologische und rechtliche Beratung anbieten,
  • die Schaffung von sensibilisierten und spezialisierten Spezialabteilungen in Polizei und Justiz,
  • rechtliche Anpassungen: Umwandlung einiger Straftatbestände von Privatanklage- zu Offizialdelikten; für Betroffene brächte das ganz wesentliche Erleichterungen.

Dr. Oliver Scheiber ist Richter in Wien; er gibt hier seine persönliche Meinung wieder.