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Popkultur

Das Verbot einer Neonazi-Plattform hat nichts mit der Beschneidung der Pressefreiheit zu tun

Das ehemalige Rechtsextremenportal Altermedia wurde nun offiziell verboten—und in sozialen Netzwerken ziehen Rechte Parallelen zu Charlie Hebdo.

Foto: Beny Shlevich | Flickr | CC BY-SA 2.0

Immer wieder war in den vergangenen Monaten von einer Gedanken- oder Gesinnungspolizei die Rede, wenn es darum ging, rechter Hetze im Internet keinen Raum zu bieten. Die Vorstellung einer Instanz, die einschränken und überwachen möchte, was der Mensch denkt, entstammt dabei aller Wahrscheinlichkeit nach dem Roman 1984 von George Orwell. Dem Autor, der einmal gesagt haben soll: „In der Zeit des Universalbetrugs ist die Wahrheit zu sagen eine revolutionäre Tat." Ein Zitat, das ganz zufälligerweise das Motto von Altermedia darstellt, einer Neonazi-Plattform, die am heutigen Mittwoch offiziell verboten wurde und damit erneut Leute auf den Plan ruft, die sich in ihren Grundrechten eingeschränkt fühlen, wenn ihnen die Plattform zur Leugnung des Holocausts entzogen wird.

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Der deutsche Ableger der ursprünglich aus den USA stammenden Seite existierte seit 2003 und stilisierte sich selbst als „Alternativpresse" und Nachrichtenportal für alle, „die keine Lobby" haben. Der Verfassungsschutz sah den redaktionellen Schwerpunkt der Seite eher im Bereich der Volksverhetzung, bewussten Fehlinformation und dem klaren Aufruf zu Straftaten. Deswegen wurden bereits 2011 der Betreiber der Seite, Axel Möller, sowie der ebenfalls involvierte Robert Rupprecht zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Nun ist die Seite, die zwischenzeitlich über einen russischen Server gehostet wurde, endgültig vom Netz genommen. In der Begründung von Innenminister de Maizière ist die Rede von der „Verbreitung übelster rassistischer und fremdenfeindlicher Kommentare" und „Beiträgen, in denen Straftaten gegen Ausländer verteidigt, zu Straftaten aufgefordert und Taten des Nationalsozialismus gerechtfertigt werden".

Ein weiterer wichtiger Punkt ist allerdings auch, dass sich über das Portal anscheinend bewusst zu ebenjenen „Straftaten" verabredet wurde. Altermedia war nicht nur eine Nachrichtenseite für Leute, die sich gesinnungsmäßig im Dritten Reich deutlich wohler gefühlt hätten als im 21. Jahrhundert, es diente auch als Kommunikationsplattform für Rechtsextreme in ganz Deutschland, über die man sich, weitab vom Mainstream, absprechen und organisieren konnte.

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Umso abstruser und ärgerlicher ist es demzufolge auch, wie sich die rechte Szene (oder zumindest deren Sympathisanten) nach dem Verbot über soziale Netzwerke in Szene setzen. Von einem modernen Äquivalent zur Bücherverbrennung wird da beispielsweise gesprochen, viele andere wähnen ihr Grundrecht (anscheinend das auf rassistische Hetzparolen) beschnitten.

Der absolute Höhepunkt der Heulsusigkeit ist allerdings folgender Tweet, in dem „Presse- und Meinungsfreiheit statt Gesinnungsjustiz!" gefordert werden:

Wir sind alle — §130 abschaffen (@Hanswurst19)27. Januar 2016

Das Symbol zum Aufstand gegen den Übeltäter Staat: Ein Peace-Zeichen, das sich aus einer Frau auf einem Scheiterhaufen (die Verbindung zur Hexenverbrennung verschließt sich mir vollends) und dem gebogenen Schriftzug „Wir sind alle Altermedia" zusammensetzt. Das erinnert in seiner Visualisierung nicht nur an die Solidaritätsbekundungen nach den Anschlägen in Paris und dem Attentat auf dieRedaktion von Charlie Hebdo, es ist in seiner bloßen Aussage abstrus. Wir sind Altermedia? Wir sind eine rechtsextreme Plattform, auf der Gewalt gegen Minderheiten propagiert und das Dritte Reich relativiert wird? Ich hoffe nicht.

Es gibt viele Fragen, die man sich zu diesem Verbot stellen kann und stellenweise auch muss. Die danach, wie sinnvoll das Verbot zum jetzigen Zeitpunkt ist, beispielsweise, wo die meisten Vertreter der Rechtsextremen Szene längst andere Kanäle nutzen dürften als eine veraltete Nachrichtenseite, die seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Was diese Entscheidung für andere Plattformen, über die volksverhetzendes Gedankengut geteilt wird, bedeutet, ist ebenfalls noch unklar. Erhöht das Verbot den Druck auf Plattformen wie Twitter und Facebook, fragwürdige und potentiell strafrechtlich relevante Inhalte schneller zu entfernen? Und: Wie geht man in diesem Zusammenhang mit Plattformen um, die ähnlich funktionieren wie Altermedia, aber im linksextremen Spektrum anzusiedeln sind?

Während altermedia-deutschland.info nicht mehr zu erreichen ist, findet man bei „Altermedia International" immerhin noch das Orwell-Zitat—dieses Mal allerdings auf Englisch: „In a time of universal deceit, telling the truth is a revolutionary act." Im Fall von Altermedia Deutschland scheint die „Revolution" (die Verbreitung rechter Propaganda, die mit der „Wahrheit" nicht so richtig viel zu tun hat) gescheitert.

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