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Popkultur

#SmearforSmear und warum sich Krebs nicht mit Hashtags bekämpfen lässt

Sexy Lippenstift-Selfies gegen Gebärmutterhalskrebs—das Internet hat seine neue Ice Bucket Challenge gefunden.
Foto: Helga Weber | Flickr | CC BY-ND 2.0

Es ist nicht immer ganz einfach, bei all den Hashtags, Internet-Initiativen und Social Media-Trends auf dem Laufenden zu bleiben. Oft genug fühle ich mich wie meine eigene Großmutter, wenn auf Twitter Themen wie #askherzibaerchenLP auftauchen und ich googlen muss, was zur Hölle das bedeuten mag. Spoiler Alert: Im Großteil der Fälle hat es irgendetwas mit YouTube-Stars zu tun. Insbesondere Social Media Challenges, die unsere „Awareness" für bestimmte Themengebiete „raisen" sollen, erfreuen sich zunehmend großer Beliebtheit.

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Dementsprechend sollte es relativ klar sein, dass die Selfies von Frauen mit verschmiertem Lippenstift, die jetzt die sozialen Netzwerke fluten, natürlich ebenfalls die Aufmerksamkeit auf irgendeine wichtige Sache lenken sollen. Leute, die Hashtags verwenden, meinen es schließlich in aller Regel mit irgendetwas ziemlich ernst. Hinter dem kryptischen #SmearforSmear verbirgt sich eine Kampagne zur Gebärmutterhalskrebs-Vorsorge, die Initiative selbst stammt vom britischen Jo's Cervical Cancer Trust und wurde im Rahmen der Gebärmutterhalskrebs-Präventionswoche in Großbritannien gestartet.

Ziel ist es, mehr Frauen dazu zu bringen, sich bereits frühzeitig auf mögliche Krebszellen testen zu lassen. An Gebärmutterhalskrebs sterben laut Statistiken der AOK in Deutschland rund 1500 Frauen pro Jahr. Insbesondere wenn die Erkrankung in seinem frühen Stadium festgestellt wird, liegen die Überlebenschancen sehr hoch (bei über 90 Prozent), umso wichtiger ist es also, in regelmäßigen Abständen einen Zellabstrich vom Gebärmutterhals machen zu lassen.

Das wissen viele nicht und flächendeckende Information als solche ist grundlegend immer erst einmal positiv. Denkt Ingeborg Mustermann an Krebs, wird sie bisher wohl vor allem Chemotherapie, ausfallende Haare und Walter White vor ihrem inneren Auge gesehen haben. Vielleicht ist es auch deshalb gerade gut, dem Krebs ein weniger offensichtliches Gesicht zu geben und dadurch klar zu machen: Womöglich solltest du einen Termin zur Vorsorgeuntersuchung vereinbaren, anstatt über die Anschaffung eines Selfie-Sticks nachzudenken. Diese furchtbare Krankheit trifft nämlich nicht nur alte Menschen.

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Trotzdem kann und sollte man sich auch die Frage stellen, wie pietätvoll es ist, Krebs durch sexy Rehaugen-und-Schmollmund-Selfies zu visualisieren. Schon bei der Ice Bucket Challenge hatte man mitunter den nicht unbegründeten Verdacht, dass es bei der ganzen „Awareness"-Generierung—und es ist schade, dass der deutschen Sprache ein Wort fehlt, dass den Kern dieser Kampagnen genau so gut auf den Punkt bringt—gar nicht so sehr darum geht, ein Bewusstsein für eine lebensbedrohliche Krankheit zu schaffen, sondern vor allem sich selbst als sozial integre und am Wohl seiner Mitmenschen interessierte Person zu stilisieren. Verwischter Lippenstift auf dem Schmollmund—das ist deutlich mehr selbstverliebte Inszenierung, als sich einen Kübel Eiswasser über den Kopf zu kippen.

„Smear" als Synonym für verschmierten Lippenstift und den Vaginal-Abstrich, Lippenstift für den Muttermund—immerhin erschließt sich bei dieser Initiative zumindest ansatzweise der Zusammenhang zwischen Kampagnen-Inhalt und Kampagnen-Aufgabe. In aller Regel werfen diese Aufrufe zur Krankheits-Vorsorge nämlich mehr Fragen auf, als sie beantworten. Warum ist es wichtig, mir Wasser über den Kopf zu kippen, wenn es mir doch eigentlich darum geht, über Amyotrophe Lateralsklerose zu informieren? „Absurde Aktion + catchy Hashtag = gesundheitliche Aufklärung" mag im Meetingraum einer Werbeagentur als sinnvollste Marketingstrategie für lebensverändernde Krankheiten gelten. Aber ab welchem Ausmaß wird dieser Aktionismus grenzwertig? Tittenfotos zum Aufruf zur Mammografie, weil man weniger Likes auf Instagram kriegt, wenn man die Knoten in der Brust übersieht und sich einen Teil seiner Weiblichkeit abnehmen lassen muss? Eine Neuauflage der #FireChallenge, um auf die Gefahr von Sonnenbrand in Hinblick auf Hautkrebs aufmerksam zu machen?

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Spreche ich mit Selfies wirklich die Leute an, die sich ernsthaft mit einer Krankheit auseinandersetzen? Zumindest kann man vielleicht die erreichen, die sich bisher mehr mit viralen Katzenvideos als Vorsorgeuntersuchungen beschäftigt haben. Und das ist etwas positives. Trotzdem bleibt dieser unangenehme Nachgeschmack und die Frage, warum man in der heutigen Zeit am einfachsten dann etwas zum Thema machen kann, wenn man es als Social Media-Event inszeniert. Wenn ich perfekt geschminkte—und dann kunstvoll verwischte—Lippenstiftmünder sehe, denke ich nicht an jemanden, der mir ein Stäbchen in die Vagina schiebt, um Proben meiner Gebärmutterschleimhaut zu nehmen. Genau darum geht es aber, deswegen ist es so wichtig, dass es nicht bei einem Mitläufer-Foto zu einer aktuellen Social-Media-Challenge bleibt. Wissen wir wirklich, dass jeder, der sich im #Movember begeistert einen Bart hat wachsen lassen, anschließend für die Prostatakrebs-Vorsorgeuntersuchung einen Finger im Rektum hatte? Information ist der erste Schritt, wenn darauf aber keine Taten folgen, müssen sich Kampagnen wie #SmearforSmear der Frage nach ihrem tatsächlichen Nutzen stellen.

Krankheiten sind nicht sexy. Krankheiten sind tragisch und lebensverändernd—sowohl für den Kranken, als auch für seine Freunde und Angehörigen. Sie sind ein Thema, das ernstgenommen werden muss. Bisher gibt es nämlich noch keinen Instagram-Filter, der Krebs heilt.

Mehr Informationen zu Gebärmutterhalskrebs und den möglichen Präventionsmaßnahmen findet ihr unter anderem bei der Österreichischen Krebshilfe.

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Header-Foto: Helga Weber | Flickr | CC BY-ND 2.0