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Die Forderung nach einem Grenzzaun ist unsere Bankrotterklärung

Egal, was Refugees unserer Gesellschaft bringen: Sie nehmen uns weniger als wir uns selbst, wenn wir uns vor der Welt einsperren.

Foto von Martin Valentin Fuchs

Ich bin eigentlich ein hoffnungsloser Kulturoptimist. Aber es gibt Punkte, wo ich mit meinem Kulturoptimismus anstehe. Und ich glaube, es sind die Punkte, wo auch unsere Kultur insgesamt an ihre Grenzen kommt und wo es nichts mehr gibt, demgegenüber man optimistisch sein könnte.

Jetzt ist so ein Punkt. Und die Kultur, die an ihre Grenzen kommt, ist unsere Grenzkultur—unser Umgang mit Menschen, die das Pech hatten, an einem Ort geboren zu werden, an dem heute Krieg herrscht.

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Innenministerin Johanna Mikl-Leitner will also eine „bauliche Maßnahme" an der steirischen Grenze zu Slowenien. Am Mittwochmorgen bestätigte sie die Befürchtungen, dass damit „natürlich ein Zaun" gemeint ist, wie sie im Ö1-Morgenjournal betont: „Aber nicht nur. Es geht auch um befestigte Anlagen im Bereich der Grenzübergänge".

Es ist die naive Fortsetzung ihrer polemischen Anti-Asylrhetorik (zur Erinnerung: Ende September redete Mikl-Leitner noch diffus von einem „Gewalteinsatz" an einer anderen österreichischen Grenze) und es ist die Ausweitung ihrer Politik der kurzsichtigen und mittelfristigen Lösungen (so wie auch die menschenunwürdigen Container, die das Innenressort zur Unterbringung von Refugees angekauft hat, oder die noch schlimmere Unterbringung in Zelten).

Das ist, mit einem Wort gesagt, dumm. Mit mehr Worten ist es auch ignorant gegenüber den Fakten und der Verantwortung, die wir in der Gesamtsituation haben: Auch ohne IS-Miliz und Assad schaffen wir mit einem Wirtschaftskrieg seit Jahrzehnten die Bedingungen für Krisen und Fluchtszenarios in der Region, von der wir jetzt am liebsten nichts wissen würden.

Dass dichtgemachte Grenzen das Problem nur verlagern und wie im Fall von Ungarn an anderen Orten sogar umso schwerwiegender machen, ist Mikl-Leitner offenbar egal—solange es sich nur von uns weg verlagert. Insofern stimmt der ansonsten etwas holprige Vergleich mit Orbán.

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Was wir an den Grenzen Europas und den Grenzen Österreichs erleben, ist so etwas wie ein Wasserrohrbruch der westlichen Gesellschaft, den wir mit Sandsäcken bekämpfen. Er war absehbar, weil die Rohre schon länger nicht gewartet wurden und trotzdem haben wir in unserer bewährt passiv-aggressiven Ignoranz lieber auf Verzögerungstaktik gesetzt und gehofft. Gehofft, dass das Rohr woanders bricht, dass es uns am Ende nicht trifft. Das ist auch Optimismus, aber der falsche. Es ist ein Optimismus gegenüber einer Unkultur aus Ignoranz und Passivität und Verantwortungslosigkeit.

Die Lösung für einen Wasserrohrbruch kann nicht nur eine kurzfristige Eindämmung sein; es muss einen langfristigen Plan geben, wie man den gesamten Kreislauf regelt und marode Elemente (wie in dem Fall die Asylpolitik der EU und Österreichs) repariert.

Das klingt vielleicht zuerst nach rechter Rhetorik, weil es die Fluchtthematik wieder einmal mit negativen Bildern von Katastrophen und die Geflohenen mit der Vorstellung von überschwappenden Massen verbindet. Aber bevor sich irgendwer zu einem Schnellschuss hinreißen lässt, sollte man eine Sache bedenken: Bei einem Wasserrohrbruch ist auch nicht das Wasser das Problem.

Wasser ist Leben und Wasser bringt Leben. Nicht nur im schwülstigen, übertragenen Sinn. Refugees bringen die Verjüngung, die Europa dringend braucht—und in den allermeisten Fällen bringen sie damit gleichzeitig einen Wirtschaftsaufschwung mit.

Aber selbst, wenn sie uns nichts brächten: Sie nehmen uns auch weniger als wir uns selbst nehmen, wenn wir uns mit einem Grenzzaun einsperren. Was wir jetzt noch besitzen, ist die Freiheit, mit Menschen menschenwürdig umzugehen und die Toleranz, die wir uns hart erarbeitet haben, nicht sterben zu lassen. Wenn wir diese Errungenschaften abgeben, geht am Ende das ganze Scheißhaus über. Mit oder ohne Refugees.

Markus auf Twitter: @wurstzombie