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DIE GLUTEUS MAXIMUS ISSUE

Besser als echte Babys?

Der Markt für Reborn-Puppen ist groß. Für manche Sammler sind die lebensechten Vinylversionen auch ein Kinderersatz.

Eine Babyauswahl bei der Messe in Eschwege.

Die amerikanische Puppenmacherin Joyce Moreno hat Ende der 80er Jahre beschlossen, ihre Spielpuppen so zu perfektionieren, dass sie auf den ersten Blick nicht mehr von einem echten Kind zu unterscheiden sind. Seitdem hat sich eine weltweite Szene mit schätzungsweise 20.000 Puppenmachern und unzähligen Sammlern entwickelt, die eine Vorliebe für die detailgetreuen Nachbildungen von Neugeborenen teilen. Deutschland liegt mit seinen rund 2.500 Reborn-Künstlern auf Platz drei, direkt nach den USA und England. Reborn-Babys kosten je nach Aufwand und Präzision zwischen 200 und 800 Euro. Die bisher teuerste Puppe wurde von der Künstlerin Romie Strydom angefertigt, ihre *Joelle* wurde für 22.000 Euro von einem Sammler ersteigert.

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Das erste Reborn-Baby begegnet mir in einem Filmseminar, in einer Kameraübung eines damaligen Kommilitonen. Ich erinnere mich an den Moment, in dem uns Mitschülern klar wird, dass es sich bei dem gefilmten Geschöpf nicht um ein echtes Baby handelt. Ein leichtes Raunen geht durch den Raum, als eine Hand in das Bild greift, um dem Baby ein Glasauge in die leere Augenhöhle zu klemmen.

Als ich letzten Sommer beschließe, einen Dokumentarfilm darüber zu drehen, interessieren mich hauptsächlich die Käufer dieser lebensechten Puppen und die Frage, was in aller Welt wohl Menschen mit den Plastikbabys anstellen. Im Laufe der Recherche spreche ich mit allerlei Reborn-Künstlern und -Sammlern und finde vor allem eins vor: eine zutiefst gespaltene Szene, die sich von den Medien aufs Korn genommen fühlt.

Ein Frühchen mit abgeklemmter Nabelschnur an einem Messestand.

Tatsächlich fördert eine erste oberflächliche Recherche erst einmal allerlei Gruselgeschichten zutage: Sammler, die sich ihre verstorbenen Kinder nachbauen lassen, Männer, die ihre eigene Babyversion ihrer einsamen Mutter schenken und Eltern einer verstorbenen Frühgeburt, die sich zur Trauerbewältigung eine Vinylversion ihres Frühchens in einem Inkubator ins Kinderzimmer stellen. Es überrascht nicht, dass sich die Medien auf das Thema stürzen und die Reborn-Szene zumeist als eine Horde Verrückter darstellen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass ich zunächst eine Absage bekommen, als ich Leokadia Wolfers, die Veranstalterin der Puppen- und Bärenmesse in Eschwege, um eine Dreherlaubnis bitte. Einige der Reborn-Künstler seien skeptisch, die Medien hätten viel Schaden angerichtet, man zweifle daher an unseren ernsthaften Absichten. Wir schaffen es dann doch nach Eschwege, auf eine von neun Messen in Deutschland, auf denen Reborn-Künstler ihre lebensechten Puppen verkaufen.

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Allerdings haben wir die Auflage erhalten, uns den betreffenden Zweiflern direkt vorzustellen und ihr Einverständnis für die Filmarbeiten einzuholen. Eine Reborn-Künstlerin namens Ursula Konhäuser und ihren Mann Henryk gilt es zu überzeugen.

Wir machen uns also mit gemischten Gefühlen auf die Suche nach dem Stand auf dem Messegelände. Eine der großen Hallen ist allein für die Reborn-Babys vorgesehen, in der anderen sollen Teddys und herkömmliche Puppen Platz finden, doch auch hier wimmelt es von künstlichen Babys und ihren Herstellern. Das Angebot ist groß, die Nachfrage auch. Auf aufwendig dekorierten Tischen tummeln sich starre Neugeborene, lachend, stumm schreiend, dem ein oder anderen ragt noch die Nabelschnur aus dem Plastikbäuchlein. Überwiegend Frauen drängeln sich zwischen den Tischen und Kleiderstangen mit Babykleidung hindurch, bücken sich neugierig über die kleinen Gesichter, verzückt von dem lebensechten Anblick. An einem gemütlich eingerichteten Stand finden wir Ursula Konhäuser in rotem Dirndl und weißer Rüschenbluse. Die Wände um sie herum sind mit Blumentapeten bezogen, an ihren Ohren baumeln Perlen. Wir stellen uns vor. Sie gewährt. Wir dürfen bleiben.

Eine Babyauswahl bei der Messe in Eschwege.

„Die USA sind ein sehr großer Markt. England ist ein großer Markt. Auch Deutschland ist mittlerweile ein großer Markt. Und jetzt kommen Frankreich, Polen und Russland dazu.“ Ursula Konhäuser nimmt die Kunst des Reborning sehr ernst. Auf ihrer Internetseite littlepearls.de verkauft sie ihre lebensechten Puppen und bietet Workshops und Online-Tutorials für interessierte Puppenmacher an. Konhäusers Ehemann ist auch auf der Messe und beäugt uns noch skeptisch. Henryk Konhäuser ist Geschäftsführer von ASINTRA, der Association of International Reborn Artists. In erster Linie hat ASINTRA sich die Qualitätssicherung der Herstellung der lebensechten Puppen auf die Fahne geschrieben. Im achtseitigen Kaufratgeber— „Damit ihre Traumpuppe nicht zum Albtraum wird“—empfiehlt ASINTRA den Käufern, folgende Kriterien beim Erwerb einer Babypuppe unbedingt zu beachten: „Güte und Unbedenklichkeit des Materiales, Sauberkeit und Korrektheit der Verarbeitung, Grad der ästhetischen Realistik und Qualifikation der Künstlerin, des Künstlers.“ „Die Qualität der verschiedenen Reborn-Babys schwankt“, sagt Henryk Konhäuser. Es gibt viele Anfänger in der Szene, viele, die meinen, sie könnten nach einem vierstündigen Kurs ein gutes Reborn-Baby erstellen, dabei handelt es sich um ein Kunsthandwerk, das gelernt sein will.

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Ursula Konhäuser mit einer ihrer Kreationen.

„Was denke ich wichtig ist, ist eine Zertifikation“, sagt Ursula Konhäuser. „Die hab ich gemacht. Da ist jemand aus dem medizinischen Bereich anwesend, sodass man nicht versehentlich Krankheitsbilder färbt, wenn die Puppe zum Beispiel sehr fleckig gestaltet ist oder eine bläuliche Färbung kriegt.“ Verwendet man die Materialien falsch oder hat man zu wenige Kenntnisse über die Anatomie und das Hautbild eines Neugeborenen, malt man dem Reborn-Baby offenbar im Handumdrehen die Symptome einer schweren Krankheit ins Gesicht. ASINTRA schlägt daher Reborn-Künstlern vor, sich zertifizieren zu lassen. Dafür muss man eine zweitägige Theorie- und Praxisprüfung durchlaufen, bei der man von einem Sammler, einer internationalen Reborn-Künstlerin und einem medizinischem Fachvertreter, z. B. einer Hebamme, auf Herz und Nieren getestet wird. Eine der Prüfungsfragen lautet beispielsweise: „Welcher Bohrer verbunden mit welcher Höchstdrehzahl empfiehlt sich beim Aufbohren der Nasenlöcher?“ Überschreitet man mit einem Steinbohrer oder einem Holzbohrer die Drehzahl von 500, beginnt das Plastik zu verbrennen, die Babynase stinkt und ist verfärbt. Der Stahlbohrer ist die richtige Antwort. Gibt es denn Kunden, die sich explizit wünschen, dass ihr Baby krank aussieht? Kann man so etwas machen? „Man kann. Wenn es ein Krankheitsbild ist, mach ich es aber nicht“, sagt Ursula Konhäuser. Die Konhäusers gehören zu einem Schlag der Reborn-Künstler, der bei ausgefallenen Wünschen der Sammler hellhörig wird. „Wenn eine Kundin anruft und darum bittet, ihr verstorbenes Baby nachzubauen, sollte man als Reborn-Künstler verantwortungsvoll genug sein, um wenigstens genauer nachzufragen. So ein Reborn-Baby ersetzt ja keinen Therapeuten“, sagt Henryk Konhäuser.

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Emily Emmler scheint das nicht ganz so eng zu sehen. Wir treffen die Reborn-Künstlerin draußen, kurz vor dem Parkplatz des Messegeländes. Frauen mit künstlichen Babys im Arm kommen uns entgegen, Ehemänner schieben Kinderwagen zum Auto und verstauen reglose Säuglinge auf Rückbänken. „Frühchen sind besonders süß, weil sie so klein und zart und feingliedrig sind“, sagt Emily. Frühchen sieht man häufig, sowohl im Internet als auch auf der Messe. Häufig kann man sie mitsamt abgeklemmter Nabelschnur und Inkubator kaufen. Emily hat sechs davon zu Hause. „Die liegen schön dekoriert in einem Bettchen.“ Eigentlich sind sie nur als Ansichtsexemplare gedacht, damit sich die Kunden ihre Arbeit anschauen können, verkaufen könne sie sie mittlerweile aber nicht mehr. Sie seien so süß, sagt sie.

Baby-Kits, verpackt in Plastik.

„Ich komme auf Kundenwunsch und dann fertige ich ein Reborn nach Babybildern an. Ein Porträtbaby sozusagen.“ Der Kunde kann wählen zwischen Geschlecht, Haarfarbe, Größe, Gewicht, mit oder ohne Babyduft, Herzschlag und Stimmmodul. Wenn man will, gibt es auch Zwillinge. Bausätze werden von Modellierern gemacht, eine bekanntere unter ihnen ist Elisa Marx. Sie stellt die Grundform her, die Arme, die Beine, den Gesichtsausdruck. Ein Rohling sozusagen, hergestellt aus Styropor und Modelliermasse. „Das kann man sich ein bisschen wie Knete vorstellen“, sagt Elisa Marx und wirkt ein wenig angespannt hinter ihrem Stand. „Ich arbeite mit Vorlagen von tatsächlichen Babys, aber ich bin kein Porträtmodellierer. Wenn mir z. B. die Nase bei dem Original nicht so gefällt, mache ich einfach meine eigene kleine Nase.“ An den jeweiligen Bausätzen sitzt sie eine ganz Weile. Wenn sie zufrieden ist, wird die Modelliermasse 50 Minuten lang bei 100 Grad gebrannt, und dann hat sie ein Unikat. Daraus wird dann ein Batzen Reproduktionen angefertigt, die ihr Mann in seinem Onlineshop verkauft.

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Der Bausatz Coco Malu ist gerade im Angebot. Inklusive aller Einzelteile kostet das Kit 82,70 Euro. Bestellt man eins, erhält man eine nackte Puppe in Einzelteilen, verpackt in eine Plastiktüte. Kopf, Arme und Beine sind meistens aus Vinyl und hohl. Die Reborn-Künstler füllen sie später mit Materialien wie z.B. Granulat auf, um den Sammlern ein möglichst echtes Tragefühl von Neugeborenen zu geben. Verbunden werden die Einzelteile am Rumpf. Der ist häufig aus weicherem Material, sodass die Puppen flexibel bleiben. Wenn es aber besonders echt aussehen soll, bestellt man sich eine Bauch- und Popoplatte dazu, die schnallt man dann um das weiche Material und schon hat das Baby Bauch, Popo und Geschlechtsteile. Wie viele Kits sie genau verkauft, will mir ihr Mann nicht sagen, das gehöre zum Betriebsgeheimnis, aber gut im Geschäft ist sie allemal. Elisa Marx ist der erste Name, der fällt, wenn man sich in der Szene umhört, und scheint so etwas wie Deutschlands Exportwunder zu sein. Weltweit kuscheln mehrere Tausend Sammler mit ihrem Bestseller Coco Malu. Insgesamt werden jährlich um die 60.000 Kits produziert, welche dann von Reborn-Künstlern zusammengebaut und bearbeitet werden.

Reborn heißt wiedergeboren. Joyce Moreno, die Pionierin der Szene, hat damals normale Spielpuppen entkernt und neugestaltet, ihnen die Plastikhaare vom Kopf gekratzt und stattdessen richtiges Haar eingestochen, Glasaugen eingesetzt und Farbe aufgetragen. Joyce hat also erst die eine Puppe umgebracht und dann die andere zum Leben erweckt. Reborn. Mit den Bausätzen von Modellierern wie Elisa Marx geht das jetzt leichter. In ihrem Onlineshop kann man sich alle nötigen Dinge bestellen: Haare, Augen, Füllmaterialien, Arbeitsutensilien und natürlich das Kit der Wahl. Die Reborn-Künstler setzen dann die Einzelteile zusammen, füllen die leere Form mit Gewichten, tragen bis zu 20 Schichten Farbe auf, setzen mundgeblasene Augen ein, malen Adern, tragen noch mehr Farbe auf, stechen feines Mohair für Kopfhaar und Wimpern ein, brennen das fertige Geschöpf im Ofen und stellen dem Ganzen am Ende eine Geburtsurkunde aus. Mit Gewicht, Datum und Name der Mutter.

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Bei dem Prozess trennt sich die Spreu vom Weizen. Ursula Konhäuser sitzt manchmal bis zu anderthalb Monate an einem einzigen Baby. Andere machen es in ein paar Tagen. Eine fertige Coco Malu kann also bei der einen Reborn-Künstlerin 250 und bei der anderen 800 Euro kosten. Je echter die Wirkung und je länger die Haltbarkeit desto teurer wird es.

„Es gibt auch Herrschaften, die damit prahlen, dass sie mehrere Puppen an einem Tag fertigstellen“, sagt Henryk Konhäuser und lässt durchblicken, dass das nun wirklich nichts ist, worauf man stolz sein kann. Wie zum Beispiel die Fernikorns, frage ich ihn. „Das haben Sie jetzt gesagt“, lacht er.

Die meisten Reborn Babys sind Mädchen. Weil es mehr Klamotten zum Anziehen gibt, vermutet Marcel Fernikorn.

Googelt man „Reborn Baby“ ist die Homepage puppen-wie-echt.de die erste Seite, auf die man stößt. Die Fernikorns, das sind Anette und Marcel, Mutter und Sohn, die gemeinsam in ihrer Einbauküche Babys machen. Als ich Anette in einem ersten Telefonat frage, ob sie sich auf der Messe in Eschwege blicken lassen werden, verneint sie. Sie würden sich aus der Szene raushalten, ist ihre einsilbige Antwort. Ich verabrede mich also mit den Fernikorns zu einem Interview bei ihnen zu Hause und poste auf ihrer Facebook-Seite eine Interviewanfrage für Sammler. Binnen weniger Tage trudeln haufenweise E-Mails anderer Reborn-Künstler bei mir ein und fast jeder versucht, mir von den Fernikorns abzuraten. „Da haben sie sich aber jemand Schlechtes ausgesucht, die macht nur mindere Qualität.“ Eine andere Stimme sagt: „Seit Jahren drängen leider immer mehr ‚Massenhersteller‘ auf den Markt. Sie [Anette Fernikorn] ist das unterste Maß in der Szene. Sie will damit nur Geschäfte machen.“ Eine weitere aufgebrachte Dame reklamiert im Fachjargon: „Auf ihrer Homepage sind Puppen abgebildet, die z.B. gerootete Wimpern haben, die dort, wo sie platziert wurden, einfach nicht hingehören, oder deren Haare weder im Mono-Rootingverfahren noch ordentlich in Wuchsrichtung gerootet wurden.“

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Die Haare sind offensichtlich ein großes Thema. Ursula Konhäuser braucht zum Beispiel zwischen 80 und 100 Stunden für einen Kopf, für große Köpfe 200. „Ich pflanze jedes Haar einzeln ein. Das heißt, aus jedem Follikel kommt auch nur ein Haar raus.“ Diesen Prozess nennt man dann Mono-Rooting.

Die Fernikorns mit ihren Babys Lea und Coco. Lea ist ein echtes Baby, Coco eine Puppe.

Zu der Kritik äußern sich die Fernikorns lieber nicht. Es lässt sich ja auch vermuten, dass der Grund für die andauernde Kritik nicht nur etwas mit der Laufrichtung der Haare zu tun hat, sondern auch mit der schicken roten Couch im Wohnzimmer und Marcels Mercedes vor der Haustür. Die Fernikorns haben ihre Abläufe so koordiniert, dass sie zwei bis drei Babys am Tag fertig bekommen und als einzige Puppenmacher Deutschlands einen Onlineshop und Handy-Apps haben. Sie haben das Puppenmachen zu einem florierenden Geschäft gemacht.

Die Fernikorns selbst sind es, die einem ihrer Kunden vorschlagen, sich bei mir zu melden, und so erhalte ich kurz nach meinem Facebook-Aufruf einen Anruf von Anasha, einer freundlichen Frau mittleren Alters, die sich bereit erklärt, mit mir über ihre Leidenschaft für die Rebornbabys zu sprechen. Wir besuchen sie und finden eine Welt vor, in der die Puppen eine ähnliche Behandlung erhalten wie sonst echte Kinder. Sie haben ein eigenes Zimmer, einen Haufen Klamotten, Schnuller und Spielzeuge. Sie werden warm angezogen, wenn sie nach draußen gehen, und bemitleidet, wenn man ihnen eine Weile zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Vier Reborn-Babys hat Anasha schon, bei der Adoption ihres fünften—einer Coco Malu—dürfen wir sie begleiten. Ich löchere ihr Fragen in den Bauch, was es ihr denn bringt, was es ihr gibt, warum so viele, wieso keine Adoption und so weiter. Sie erklärte uns, dass der Umgang mit den Kindern eine Art Eigentherapie ist—man pflege das innere Kind in sich. Anasha ist reflektiert. Ihr ist schon klar, dass Leute sie für verrückt halten, aber es ist ihr egal. „Willst du normal sein oder glücklich?“, verlautet sie ihr Lebensmotto und lächelt entwaffnend ehrlich.

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„Die Reborn-Babys sind für zwei Arten Kunden gedacht. Die einen sind reine Sammler, die sich die Babys hinsetzen und anschauen. Die anderen sind die, die sie wie echte Babys sehen“, sagt Marcel. Er wählt seine Worte vorsichtig, denn hier spalten sich die Geister. Die Konhäusers zum Beispiel wollen nichts von den Leuten wissen, die ihre Puppen wie echte Babys behandeln. „Wir sind nicht die Leute, die Puppen als Kinderersatz machen“, sagt Ursula. Sie wolle eigentlich nur dafür sorgen, dass die Puppen wie echte Babys aussehen, für ihre Sammler, die die Puppen in Vitrinen stellen. „Und neben den Sammlern gibt es ja auch noch weitere Absatzgebiete“, sagt Henryk Konhäuser. Zum Beispiel auch gerne im Altenbereich. Demenzkranken sollen die Reborn-Babys, unter therapeutischer Anleitung, zu einer verbesserten Kommunikation helfen. Auch Hebammen nutzen die lebensechten Puppen, um mit Eltern in Spee den Umgang mit Neugeborenen zu trainieren, und medizinischem Pflege- und Fachpersonal sowie Eltern, die eine Frühgeburt erwarten, wird zur Vorbereitung eine Frühchen-Imitation in die Hand gedrückt. „Die meisten Sammler haben Kinder, haben Enkel“, sagt Emily Emmler mit ihrer Mutterseelenruhe. „Aber die sind nicht immer da und werden größer.“ Emily versteht auch die Sammler, die ihre Puppen wie Babys behandeln, auch wenn sie es selber anders handhabt. Die Puppe wird zum Gegenüber, das umgezogen, gewickelt, frisiert und gebadet werden muss. Sie trifft Freunde, sie kann traurig sein, Hunger haben oder alleine sein wollen. Sie ist die perfekte Projektionsfläche.

Coco Malu trocknet im Ofen der Fernikorns.

„So ein Reborn-Baby hat ja nur Vorteile“, findet Anette Fernikorn. „Ich hab auch ganz viele Studentinnen, die mich anschreiben und sagen, ich will noch kein echtes Baby, ich hab keine Zeit, ich studier noch—die kaufen sich dann so eine Puppe. Ein Reborn-Baby wird nicht krank, man muss es nicht windeln. Wenn man Zeit hat, kuschelt man mit ihm, wenn man keine Zeit hat, legt man es ab, kann weggehen, kann lernen. Gibt ja welche, die setzen die mit an den Tisch und frühstücken gemeinsam, damit sie nicht so alleine sind“, sagt Anette.

Sie weiß, wovon sie redet. Als sie angefangen hat mit dem Rebornen, wollte sie am liebsten alle Babys behalten, aber ihr Mann hat sie vor die Wahl gestellt: Entweder sie hört auf, sich emotional an die Puppen zu binden, oder sie lässt es bleiben mit dem Geschäft. Sie hat sich fürs Verkaufen entschieden, aber sie hat trotzdem jedes Mal weinen müssen, wenn sie eins abgegeben hat. Ist das immer noch so?

„Nicht mehr“, sagt Marcel streng und Anette Kuckt ein bisschen wehmütig.

Geschäft ist eben Geschäft.

Fotos von Grey Hutton