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Warum 'The Get Down' die Chance verpasst, eine richtig gute Serie zu sein

Eigentlich ist The Get Down zu perfekt. Und trotzdem eine große Enttäuschung.

2015 kündigte Netflix eine Serie an, die sich den Wurzeln von HipHop im New York der späten Siebziger widmen werde. Seit diesem Moment wartete ich hibbelig auf den August 2016. Die Prämissen der Serie sind in vielerlei Hinsicht spannend: The Get Down kommt zum einen mit einem von Hollywood kaum erschlossenen Setting daher, nämlich dem postapokalyptischen Trümmerhaufen der Bronx, den man aus klassischen HipHop-Dokumentationen oder B-Filmen wie The Warriors und Beat Street kennt. Für die Hauptrollen wurden beinahe ausschließlich unbekannte, junge Darsteller mit strahlender Zukunft verpflichtet, die in einem zweimonatigen Camp von HipHop-Gründervätern und -Müttern wie Grandmaster Flash, Kool Herc, Lady Pink und Crash im Meistern der vier Elemente unterrichtet wurden. Darüber hinaus gab es haufenweise qualifizierte Berater, Kostümdesigner und Make-Up-Artists, um absolute Authentizität zu gewährleisten. Dabei hilft das riesige Budget der Serie—mit 120 Millionen Dollar für 12 Folgen das meiste, das Netflix bisher für eine Serie ausgegeben hat. Klingt alles mehr als vielversprechend.

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Als ich dann die sechste und bisher letzte Folge von The Get Down beendet hatte, war ich ernsthaft erleichtert—denn jetzt musste ich diese Serie mindestens bis 2017 nicht mehr ansehen (dann erscheinen die verbleibenden sechs Folgen der ersten Staffel). Wie war es möglich, dass eine Serie mit so vielen so erfrischenden Ausgangspunkten eine Enttäuschung werden konnte? Was war geschehen? Vieles, aber ein großer Faktor ist Baz Luhrmann:

Der australische Regisseur, der als als "Creator" der Serie auftritt, ist bekannt für Filme wie Romeo + Julia, Moulin Rouge oder zuletzt sein The Great Gatsby-Remake. The Get Down ist sein erstes TV-Projekt und er soll es seit über zehn Jahren geplant haben. Sein theatralischer Stil ist maßgeblich für Ästhetik und Script und sein "maximalistischer" Anspruch prägt die gesamte Serie. Ich muss zugeben, dass ich eigentlich keinen seiner Filme leiden kann, aber ein polarisierender, ungewöhnlicher Regisseur ist ja erstmal eine gute Sache. Man muss auch direkt sagen, dass die spektakuläre, vollgestopfte erste Folge—die einzige, bei der Luhrmann Regie führte—die beste Episode der Serie ist. In halsbrecherischem Tempo geht es hier durch typisch unsubtile Einführungs-Szenen, der unverwechselbar überfüllte Look des Regisseurs treibt die Kamera durch 90 chaotische Minuten.

Klar, wer Luhrmanns Art nicht mag, dem wird auch hier vieles nicht gefallen: es wird praktisch kein Satz gesagt, dessen Bedeutung sich nicht direkt erschließt, und es werden mehr Klischees losgelassen als in einem Bildzeitungs-Artikel. Aber ist man erstmal über die erste Folge hinweg, sehnt man sich angesichts der ab Folge zwei fast zum Stillstand kommenden Handlung zurück nach der rasanten Erzählweise der ersten Folge zurück. Die Situation erinnert an Serien wie Lost, bei denen mit einer teuren Pilotfolge extrem hohe Standards gesetzt wurden, um die Serie an einen Sender zu verkaufen, nur um dann von enttäuschenden Folgen mit endlos in die Länge gezogenen trivialen Handlungssträngen abgelöst zu werden. Nur, dass The Get Down eine Netflix-Serie ist und es eigentlich gar keine Pilotfolge gibt—schließlich wurde die Serie komplett geordert. Vor allem drängt sich aber die Frage auf, warum Luhrmann eigentlich bei den anderen Episoden darauf verzichtete, Regie zu führen (es hatte bestimmt nichts mit Geld zu tun, ganz sicher!). Wenn man ein Projekt über zehn Jahre plant und laut eigener Aussage leidenschaftlich dahinter steht, warum sollte man dann die Hauptverantwortung auf den letzten Metern an jemanden abgeben, der offensichtlich weniger erfahren und qualifiziert ist?

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Der exzentrische Stil des Australiers ist wie gesagt Geschmackssache. Allerdings überschattet Luhrmanns pathetisches Auteur-Gehabe Unmengen an stimmigen, funktionierenden Elementen von The Get Down, obwohl es noch nicht einmal richtig funktioniert. Die Serie möchte eben alles auf einmal sein: eine Repräsentation von Luhrmanns Stil im Serienformat wie House Of Cards es für David Fincher ist; sie möchte mit einem totalitären Anspruch Sozialkritik auf allen Ebenen der Gesellschaft üben wie etwa The Wire; sie möchte in Musical-Form die klassische "Coming-Of-Age"-Geschichte auch für nicht-weiße Jugendliche erzählen und nebenbei auch noch einen Schöpfungsmythos für die wohl einflussreichste musikalische Bewegung unserer Zeit liefern. Klar, dass dabei etwas auf der Strecke bleibt.

Das ist umso ärgerlicher, wenn man bedenkt, wie viel grandios funktioniert! Die Sets sind perfekt, die Schauspieler leisten allesamt herausragende Arbeit und die Darstellung kreativer und handwerklicher Prozesse, war wohl noch nie so aufregend. Ein Problem der Serie ist, dass viele der langwierigen Sequenzen am Ende keine richtige Auflösung haben, es also keinen "Pay-Off" gibt, aber eine Szene in der zweiten Folge zeigt wie es geht: Man beobachtet den aufstrebenden DJ "Shaolin Fantastic" immer weiter dabei, wie er daran scheitert, einen aus zwei identischen Platten einen "Loop" zu erschaffen—so lange bis man "It takes two to make a thing go right" nicht mehr hören kann. Nach gefühlten zehn Minuten erlebt der DJ seinen Durchbruch, man freut sich umso mehr und ärgert sich nicht, gerade zehn Minuten nichts gesehen zu haben. Vor allem aber, und hier liegt der wohl größte Vorteil, sieht das Publikum wie der für uns zum Standard gewordene "Loop" entsteht. Das ist allemal besser als eine austauschbare Montage mit Trainingsszenen und vermittelt gleichzeitig Wissen.

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Die konstante Präsenz von Musik ist vor allem bei Blockbuster-Filmen wie Suicide Squad ein häufig angeführter Kritikpunkt—bei "The Get Down" ist die Mischung aus Disco, Jazz und Funk aber notwendig, denn auch Leute, die zum ersten Mal Breakbeats wie "Apache" hören, können verstehen, dass HipHop ohne diese Platten nicht hätte entstehen können. Natürlich macht die Serie auch musikalisch Kompromisse ("Set Me Free", der Disco-Hit von Protagonistin Mylene Cruz klingt mindestens genauso nach EDM wie nach Disco; die Freestyle-Raps der Get Down Brothers erinnern eher an Rakim als an King Tim III), aber das ist nörgeln auf extrem hohem Niveau—mit Ausnahme von Treme gibt es wohl keine Serie, bei der Musik so eine zentrale Rolle spielt. Zusammen mit den jungen, unverbrauchten Darstellern und dem frischen Setting ist das das Kapital der Serie.

Serienjunkies, für die die Ursprünge von HipHop unbekanntes Terrain sind, sollten sich mindestens die erste Folge ansehen anschauen, allein der liebevoll umgesetzten Ästhetik wegen. Und auch für Fans des Genres gibt es viel zu entdecken. Aber das hier ist kein Manifest á la Beat Street 2.0. The Get Down ist nicht perfekt, aber selbst in den enttäuschenden Momenten blitzt ein Haufen Potenzial hervor.

Verschleuder es nicht mit deiner Eitelkeit, Baz Luhrmann.

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