FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Lust auf einen Chat mit einem westlichen Dschihadisten? Probier es auf Ask.fm

Selbsternannte Gotteskrieger stehen anonymen Fragestellern auf Ask.fm bereitwillig Rede und Antwort und geben einen Einblick in den Irrsinn des Einsatzes in Syrien.

Ask.fm bietet seinen weltweit 60 Millionen Nutzern eine Plattform, um sich gegenseitig Fragen zu stellen ohne sich dabei mit einem Nutzerprofil zu erkennen zu geben. Und genau diese vermeintliche Anonymität haben längst auch westliche Dschihadisten als Kommunikationskanal ihrer Wahl entdeckt—zum Beispiel als Propagandawerkzeug oder um für Sympathisanten ansprechbar zu bleiben.

„Ich bin nicht ausgebildet. Wäre ich eine Last oder soll ich mich zur Hijra entschliessen?" fragt ein anonymer Follower von Abu Usamah, einem beliebter nordamerikanischen Dschihadisten, der in Syrien kämpft. Und Usamah antwortet bereitwillig:

Anzeige

„Du würdest ein hartes Trainingscamp durchlaufen, um sicherzustellen, dass du vorbereitet bist, und wenn du es nach dem Camp nicht bist… haben wir einen anderen Job für dich."

Die Fragen an die selbsterklärten Gotteskrieger reichen von persönlichem (Hast du Angst im Kampf? Was esst ihr so?) bis zu hin zu logistischen Aspekten des heiligen Kriegs: Was kostet neue Rekruten die Reise von Kanada nach Syrien? Was sind die beliebtesten Waffen von Gotteskriegern: Kalashnikovs und Glocks?

Ask.fm hat schon durch Fälle von Cyberbullying und damit verbundenen Teenager-Selbstmorden Schlagzeilen gemacht. Da das Unternehmen aber in Litauen sitzen und der litauischen Justiz unterliegt ist es für internationale Strafverfolger schwer an die Nutzerdaten der Dschhadisten zu kommen. Wer seine Nutzereinstellungen zur Privatsphäre richtig wählt, kann also ungehemmt Informationen über den Dschihad verbreiten—bzw. seiner Neugier freien Lauf lassen und munter drauf los fragen.

Dennoch sind für Ask.fm natürlich die IP-Adressen der Besucher und Mitglieder sichtbar. Das bedeutet auch, dass Geheimdienste letztlich nur wenige Klicks und eine freundlich-vehemente Anfrage davon entfernt sind Nutzer aus Europa oder Nordamerika zu orten—sollten sie dann auch an ihre richtigen Daten kommen.

Ich habe Ask.fm gefragt, ob sie von den Aktivitäten der dschihadistischen Organisationen aus Syrien wissen, die ihre Seite als Kommunikationsinstrument nutzen. Die Sprecherin Liva Bieseniece erklärte mir gegenüber:

Anzeige

„In Fällen krimineller Inhalte kooperieren wir mit den Behörden, aber nur wenn es auch eine wirkliche strafrechtliche Ermittlung gibt. Wir kommentieren aber keine spezifischen Fälle. Dem sollen sich die Behörden annehmen."

Weil das Frage-Antwort-Spiel wie ein Rund-um-die-Uhr-AMA für Dschihadisten funktioniert, bekommst du hier gelegentlich auch die menschliche Seite von Typen wie Abu Muhajir zu sehen. So vermisst er beispielsweise McDonalds. Und die Chat-Plattform ermöglicht auch einen seltenen Blick in die harsche und üble Fratze des Dschihadismus, wenn du dich ein wenig durch die Unterhaltungen klickst.

„Die Brüder, die Märtyrer-Operationen übernehmen… sind das Freiwillige oder werden die vom Amir ausgewählt." fragt ein Follower Abu Muhajir, der sogleich eine stilsichere Antwort parat hatte:

„Freiwillige… aber wenn die Zeit kommt, werden sie gerufen werden."

Überwachung ist selbstverständlich eine ständige Sorge bei der offenherzigen Kommunikation. Viele Follower warnen westliche Dschihadisten im Chat nicht zu sehr ins Detail zu gehen, um laufende Operationen zu schützen oder weil Geheimdienste Profile überwachen könnten. Aber die Dschihadisten scheinen sich der Gefahr vollkommen bewusst zu sein.

„Bitte sag nichts über Hijra-Routen, mach es euren Brüdern nicht zu schwer," sagt ein besorgter Follower von Abu Usamah. Aber auch hierfür gibt es Kommunikationslösungen wie Usamah antwortete: „Natürlich kontaktieren mich Leute auf Kik und bitten mich um Hilfe."

Anzeige

Ask.fm ist häufig das Bindeglied für Kämpfer mit Online-Präsenz, die kostenlose mobile Chat-Plattformen anbieten, wie Kik Messenger. Diese dienen als Alternative, um privat mit potentiellen Rekruten zu reden oder sich mit interessierten Fans auszutauschen.

Evan Jendruck, Analyst beim IHS Jane Terrorism and Insurgency Centre, glaubt, dass die Nutzerprofile westlicher Dschihadisten auf Ask.fm vielfältige Zwecke erfüllen: „Es könnte gut für Propaganda oder zur Rekrutierung genutzt werden." sagt Jendruck. „Doch der wahrscheinlichere Grund ist, dass sie ihre Taten rechtfertigen wollen. Viele Nutzer wollen ihrer Familie, ihren Freunden oder anderen Interessentierten die Frage beantworten, warum sie das tun."

Jendruck glaubt, dass die Kämpfer Aufsehen erregen wollen, denn „sie mögen die Aufmerksamkeit und das Gefühl wichtig zu sein", dass in ihnen aufsteigt, wenn sie für einen illegalen militanten Einsatz im Ausland bekannt werden.

„Militante Gruppen in Syrien sind sich der Rolle bewusst, die soziale Medien in diesem Konflikt spielen. Dschihadisten auf Ask.fm könnten in der Tat eine besondere Erlaubnis erhalten haben, eine persönliche Seite zu zeigen", fügt Jendruck hinzu.

Zusammen mit der gut dokumentierten Nutzung von Twitter und Instagram bietet Ask.fm Einblicke in die Geisteshaltung von Militanten—besonders von jenen, die aus dem Westen kommen und die Kommunikation nicht abreissen lassen wollen. Vielleicht stellt ja auch einmal jemand, der sich auskennt, eine Frage, die einen der selbsternannten Gotteskrieger tatsächlich zweifeln lässt—wenn das überhaupt möglich ist.