Pilze, in Kaffeesatz und Bier gezüchtet

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Pilze, in Kaffeesatz und Bier gezüchtet

Urban Farming ist auch in Montreal ein Trend, der nicht aufzuhalten ist: Hier wachsen Pilze auf Bäumen aus Kaffee und Bier, ohne dass gierige Pilzsammler oder die eisige kanadische Kälte sie zerstören.

Wenn man sich die Zahl der Pilze um mich herum anschaut, könnte man meinen, ich stünde in einem Wald.

Normalerweise verstecken sie sich in den Tiefen der Wälder. Hier fressen diese nematophagen Pilze den lieben langen Tag während ihrer kurzen Zeit auf unserem Planeten.

Aber wir sind nicht im Wald, sondern in einem Fabrikgebäude im so gar nicht wäldlichen Stadtviertel Hochelaga-Maisonneuve im kanadischen Montreal.

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Lysiane Roy Maheu inspects the spores. Photos by Nick Rose.

Überall stehen weiße Türme mit Pilzen, diee Besitzerinnen von Blanc de Gris, Dominique Lynch-Gauthier und Lysiane Roy Maheu, inspizieren jeden einzelnen von ihnen. Bei der Pilzzucht achten sie auf jedes Detail, um waldähnliche Wachstumsbedingungen für ihre Austern-Seitlinge zu schaffen. Was ihnen dabei hilft: Kaffeesatz und Bierreste.

Pilze wachsen hier das ganze Jahr über, ohne dem harten Winter von Québec oder den gierigen Händen von Pilzsammlern ausgesetzt zu sein. Aber nur weil es diese natürlichen Feinde hier nicht gibt, heißt das nicht, dass es in den sterilen und sauberen Hallen von Blanc de Gris keine anderen Gefahren gibt.

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„Wir haben zwei Feinde: Schimmel und Fliegen. Pilze sind ja eigentlich Schimmel, das heißt, dass bei idealen Wachstumsbedingungen auch überall anders Schimmelpilze wachsen", erklärt Lysiane.

„Mit den Fliegen ist das wie in Breaking Bad, als Walter ausgerastet ist, als er eine einzige Fliege in seiner Meth-Küche gefunden hat: ,Das ist keine Fliege, das ist eine Kontamination'. Sobald wir hier eine Fliege sehen, rasten wir komplett aus, weil sie sich wie verrückt vermehren und natürlich niemand will, dass Fliegen auf seinem Essen umherschwirren. Wir müssen da wirklich vorsichtig sein, weil die Fliegen unser Substrat echt lieben."

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Das Substrat ist der Nährboden der Pilze. In der freien Natur sind das feuchte Holzstämme oder eben Bäume in den Wäldern. Bei der Pilzzucht ist das Substrat entscheidend. Und der Firmename ,Blanc de Gris' (Weiß aus Grau) spielt auf das weiße Zeug an.

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„Einige Pilzexperten meinen, wenn sie ,das Weiße' sagen, das Substrat. Das kann alles sein, auf dem das Myzel wachsen kann, zum Beispiel auch Getreide. Das Myzel ist die Urform des Pilzes. ,Grau' spielt auf die Stadt an, aber auch auf den Hut der Seitlinge."

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Wenn man in einer Stadt Pilze züchten will, muss man zuerst bei den örtlichen Cafés und Brauereien vorbeischauen, um Kaffee- und Bierreste zu sammeln. Als nächstes werden diese Abfälle mit Holzspänen, die die Stadt liefert, zusammengemischt und dann bei hohen Temperaturen komplett keimfrei gemacht.

Übrig bleibt das Substrat, auf das dann das Myzel übertragen wir, es wird sozusagen geimpft. Das Substrat mit Myzel kommt dann zwei Wochen lang in Inkubationsräume. Dann geht es ins Gewächshaus, wo die junge Brut wachsen kann. Lysiane sagt auch „gedeihen".

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Nirgendwo in Kanada wird mehr Kaffee getrunken als in Québec. Ungefähr drei Viertel aller Erwachsenen in der Provinz trinken Kaffee, täglich werden hier schätzungsweise 6 Millionen Tassen Kaffee geberüht. Dann kommt noch hinzu, dass es in Montreal immer mehr ernstzunehmende Kleinbrauereien gibt. Dominique und Lysiane haben also ordentlich Gratismaterial für ihr Substrat.

Lysiane meint, dass sie den ganzen Hype um Pilze nie so richtig verstand hat und wieso Köche eine regelrechte Pilzsammelsucht entwickelt haben—bis sie sich mit Dominique, die sie schon seit der Kindheit kennt, zusammengetan hat.

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„Dominique liebt Pilze. Sie findet sie schön und redet immer darüber. Ich habe Pilze vor unserem Projekt überhaupt nicht gemocht. Ich hab mich eher gefragt: ,Ist das Geschäftsmodell gut? Gibt es eine Nachfrage für das Produkt?'"

Und die Nachfrage nach frischen, fleischigen Austern-Seitlingen bei den Köchen der Stadt reißt das ganze Jahr über nicht hab. „Köche lieben sie. Wenn sie unsere Pilze sehen, meinen sie immer: ,Wow! Genauso muss ein Seitling aussehen!' Die meisten Menschen kennen es gar nicht, dass Pilze so fest und fleischig sind. Wenn sie im Supermarkt ankommen, sind sie meist durchnässt und schlaff."

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Zu den Kunden von den beiden gehören Lokalgrößen wie das Pastaga, das Toqué und Les 400 Coups. „Die Austern-Seitlinge von Blanc de Gris sind ein echtes Juwel des Urban Farming", schwärmt Louis-Philippe Breton, Koch und Besitzer von Pastaga und ein paar anderen Geschäften und Restaurants in Little Italy. „Ihre Pilze sind wirklich einmalig mit einer wunderschönen blauen Färbung und immer frisch. Wir sind stolz drauf, bei ihnen Kunde sein zu dürfen."

Für Lysiane war das entscheidende Argument aber der Umweltaspekt des Projekts.

„Die Umweltvorteile waren für mich am wichtigsten, wichtiger noch als das Geschäftliche oder die Pilze selbst. Aus Dingen, die normalerweise auf dem Müll landen, wird Essen für eine ganze Stadt gemacht", meint Lysiane. Wenn alles nach Plan geht, werden in ihrer Farm in Zukunft wöchentlich 50 Tonnen Biomüll genutzt, um am Ende 300 Kilo Pilze ernten zu können.

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Da Breaking Bad ja vorhin eh schon gefallen ist, frage ich mich, ob man so nicht auch andere Pilze züchten könnte. Lysiane akzeptiert meine kurze Abweichung vom Thema, aber erinnert mich höflich daran, dass ich ja eigentlich über Essen schreiben will.

„Es ist wohl ganz einfach, Magic Mushrooms zu züchten. Ich glaube nicht, dass das hier schwer wäre, aber wir wollen das in nächster Zeit erstmal nicht versuchen. Wahrscheinlich wäre ich sonst reicher, aber wir konzentrieren uns lieber auf Seitlinge."