Wie mir der Schwarzwald das Kochen beibrachte

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Kochschule

Wie mir der Schwarzwald das Kochen beibrachte

Aufgewachsen in einem Dorf in Baden-Württemberg hat Andreas Roller schon früh gelernt, das ganze Tier als Produkt und die Zutaten aus seiner unmittelbaren Umgebung wertzuschätzen. Und genauso macht er es jetzt in seinem Restaurant in L.A.

Wenn man ein Tier erschießt, wird das Fleisch meist sehr hart. Ähnlich wie beim Menschen die Totenstarre einsetzt. Deshalb muss Wild- oder Rindfleisch reifen. Beim Abhängen verändert sich die Eiweißstruktur und das Fleisch wird zart und entfaltet einen vollen Geschmack.

Diese und noch mehr Weisheiten haben ich aus meiner Kindheit im Schwarzwald mitgenommen. Ich bin im kleinen Schwarzwalddorf Baiersbronn aufgewachsen, wo es zwar nur eine Handvoll Restaurants gibt, aber immerhin acht Michelin-Sterne. Jagen war Teil meiner Kindheit, da mein Vater Jäger war. Dadurch habe ich gelernt, das ganze Tier wertzuschätzen.

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Ursprünglich ging es beim Essen immer um das ganze Tier, wenn man mal drüber nachdenkt. Und dessen musst du dir bewusst sein, wenn du in die Gastronomie willst. Du solltest wissen, dass ein zylinderförmiges Stück zartes Fleisch von einem ganzen Tier stammt, das dafür getötet wurde. Viele vergessen das und ich versuche das mit meiner Kochreihe zu ändern. Bei diesen Veranstaltungen in meinem Restaurant Nick and Stef's Steakhouse servieren wir ein ganzes Tier, letztes Mal gab es gegrillte Ziege, Ziegenmilch-Macchiato und Panna cotta mit Ziegenmilch. Das ist meine persönliche Definition des Nose-to-tail-Ansatzes.

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Andres Roller in seinem Restaurant

Wenn man wie ich aus einer ländlicheren Gegend kommt, schätzt man das ganze Tier, glaube ich, mehr, das steckt vermutlich in der Kultur. Für mich war es ganz normal, wenn auf meinem Schulweg durch den Wald plötzlich ein Wildschwein vor mir stand. Meine Familie besitzt immer noch ein Restaurant im Schwarzwald, eine kleine Pension, wo Einheimische, aber auch Touristen hinkommen. Dort habe ich meine Kindheit verbracht: Meine Mutter hat den Service übernommen, mein Vater die Küche. Auch meine Großeltern, Tanten und Onkel und Cousinen arbeiten in Restaurants. Das gehörte also schon von kleinauf zu mir.

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Escabeche

Mit 14 habe ich in meinem ersten Zwei-Sterne-Restaurant gearbeitet. Als ich 17 war, habe ich mich in einem Drei-Sterne-Restaurant als Praktikant probiert. Meine Hausaufgaben habe ich also entweder in der Küche oder später dann an den Bars der Restaurants, in denen ich gearbeitet habe, gemacht. Die langen Schichten, der Stress und auch die ganzen Schikanen—an alles, was irgendwie zur Gastronomie gehört, habe ich mich also schon früh gewöhnt. Später bin ich dann nach L.A. gezogen und habe bei den Patina-Restaurants angefangen.

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Tomahawk-Steak

Viel Englisch habe ich nicht gesprochen, ich wurde aber langsam die rechte Hand von Joachim Splichal, dem Gründer der Patina-Gruppe. Zu meinen Stationen gehörten Australien, Dubai, London, Japan und Österreich, die verschiedenen Formel-1-Rennstrecken und sogar das Restaurant des einzigen Sieben-Sterne-Hotels der Welt. Zu den Herstellern meiner Zutaten habe ich aber immer ein enges Verhältnis behalten.

Wir haben immer gut zwei Tonnen Rindfleisch im Haus, das gerade bei uns reift, insgesamt im Wert von über 40.000 Euro.

Denn der wahre Star der Küche ist nicht der Koch, sonderndas Produkt. Gutes Essen hat immer dieselbe Grundidee: Man arbeitet mit dem, was man in unmittelbarer Umgebung findet. Pasta zum Beispiel—egal ob Soba-Nudeln, Spaghetti oder Spätzle—hat sich international durchgesetzt, indem je nach Region aus anderen Zutaten eine Version kreiert wurde. Das Gleiche gilt beim Reis und so weiter.

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Wagyū-Fleisch

Wenn man sich einmal anguckt, woher die ganzen Techniken der Kochausbildung kommen—wie macht man Confit, wie muss man Fleisch pökeln und räuchern und so weiter—, dann sieht man, dass das alles aus praktischen Gründen erfunden wurde. Konfieren und Pökeln war notwendig, weil es keine Kühlmöglichkeiten gab, daher musste man die Dinge anders haltbar machen. Das machen wir heute noch, weil es einfach lecker ist, aber die Wurzeln der Kochtechniken verraten dir einiges über Essen im Allgemeinen. Ähnlich ist das auch beim Dry-Aging, der Trockenreifung. In L.A. findet man wohl keinen Ort, wo mehr Rindfleisch trocken gereift wird als bei mir.

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Irgendwie ist das Reifen zu einem Hobby geworden. Bisher haben wir dieses Jahr 200 ganze Tiere verkauft—Kühe, Schafe, Schweine, Ziegen. Das muss man sich mal bildlich vorstellen.

Wir haben immer gut zwei Tonnen Rindfleisch im Haus, das gerade bei uns reift, insgesamt im Wert von über 40.000 Euro. Das ist schon riskant: Bei einem Stromausfall könnte alles verderben. Aber ein bisschen Risiko liebe ich eben. Ich wiege jedes Stück, hänge es auf und führe eine Art Tagebuch über den Reifeprozess. Die finanzielle Verantwortung, die mit unserer eigenen Trockenreifung einhergeht, macht mir keine Sorgen; auch nicht der Gedanke, dass ich gerade ein Stück Kobe-Rind der Qualitätsklasse A5 im Wert von mehreren Hundert Euro zubereite. Übrigens geht es dabei nicht um strenge Regeln: Mann muss es nicht exakt fünf Minuten auf jeder Seite bei einer speziellen Temperatur scharf anbraten, es geht mehr um ein Gefühl für jedes Stück Fleisch.

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Um zu überprüfen, ob das Fleisch gar ist, steche ich mit einer dünnen Nadel in das Fleisch und lasse sie dort für ein paar Sekunden. Dann hält man sich die Nadel über die Oberlippe—hier ist die Haut besonders empfindlich für Temperaturen. Damit kann man das Fleisch natürlich und ganz unverkrampft kochen.

Und um genau diesen natürlichen, unverkrampften Umgang mit dem Essen geht es doch.

Aufgezeichnet von Javier Cabral

Andreas Roller ist Chefkoch im Nick and Stef's Steakhouse in L.A. Auf der Website erfährst du mehr über trockengereiftes Fleisch und ihre besonderen Dinner-Veranstaltungen.