Die Mathematik des Hipster-Effekts
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Die Mathematik des Hipster-Effekts

Ein französischer Statistiker wählte die wohl allgemeinste Variable des modernen Großstadtlebens, um den unwiderlegbaren Zyklus aus Distinktion und Anpassung zu erklären.

Wenn jeder anders aussehen will als die anderen, sehen irgendwann alle gleich aus. Das ist die bahnbrechende Erkenntnis einer kürzlich veröffentlichten Studie. Mit Hilfe des wohl allgemeinsten Typus des modernen Großstadtlebens erklärt der französische Mathematiker Jonathan Touboul den unwiderlegbaren Zyklus aus Distinktion und Anpassung.

Mit den wohlfeilen Worten statistischer Schönheit beschreibt die Studie das Phänomen des unfreiwilligen Nonkonformismus: „Der Hipster-Effekt ist ein nicht-koordiniertes emergentes Phänomen übereinstimmenden Aussehens, das auftritt, wenn Menschen versuchen, sich anders anzuziehen."

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Bevor wir uns jedoch nun der Arithmetik von Hornbrillen und Skinny Jeans widmen, möchten wir euch noch einmal stilsicher daran erinnern, dass der Begriff des Hipsters nichts weiter als eine aufgeblasene Worthülse ist, die ungefähr so viel bedeutet, wie das Adjektiv „nett" oder die Floskel „Lass uns bald mal auf einen Kaffe treffen." Wir möchten daher nun für den Rest dieses Artikels von der Verwendung des sinnentleerten H-Wortes absehen. Im Sinne des Erkenntnisgewinns kommen wir genauso gut mit der Beschreibung „Lieberhaber kleiner Hamster" für die Variable Hipster aus—außerdem klingt das nach einem ähnlich knuffigen Phänotypen.

„Der Hipster-Effekt ist ein nicht-koordiniertes emergentes Phänomen übereinstimmenden Aussehens, das auftritt, wenn Menschen versuchen, sich anders anzuziehen."

Touboul selbst können wir die Verwendung des Begriffs allerdings nicht verübeln. Schließlich sucht der Wissenschaftler lediglich nach einer passenden, griffigen Analogie, um seine Theorie zu erklären. Und da kam ihm der Begriff Hipster, mit dem von Riga bis Palermo schließlich jeder etwas anfangen kann, sehr gelegen. Touboul gibt dabei gerne zu, dass für seine Entdeckung kein spezifisches Vorwissen nötig war. „Ich habe nie zuvor über Hipster geforscht, deshalb weiß ich nicht viel über ihre Mode, ihre Musik und ihre Kultur", erklärte er unseren niederländischen Kollegen im Interview. Von einer scharfsinnigen statistische Gegenwartsdiagnose hielt ihn das dennoch nicht ab.

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Dem Modell zufolge beschränken sich die Ähnlichkeiten bei den Liebhabern kleiner Hamster vor allem auf zwei Dinge: Erstens wollen sich die Liebhaber kleiner Hamster immer anders kleiden als andere Hamster-Liebhaber und zum anderen brauchen sie ziemlich lange, um einen Trend treffsicher zu diagnostizieren. Sie merken also erst, wenn wirklich alle mit Vollbart herumlaufen, dass Vollbärte im Moment scheinbar angesagt sind. Dann nehmen sie sich endlich Zeit für eine gründliche Rasur. Sowohl für den urbanen Distinktionsgewinn als auch für das mathematische Modell ist es diese Aktion, die zählt.

Auf der Basis der verzögerten Reaktionszeiten kann Touboul mit seinen Formeln berechnen, dass es zu gewissen Zeitpunkten ein Gleichgewicht gibt, in dem alle Liebhaber kleiner Hamster das gleiche tun. Und zwar, indem sie versuchen, genau das Gegenteil von allen anderen zu erreichen. Das Diagramm verdeutlicht diese Annahme:

Ok, die Grafik wirkt auf den ersten Blick ein wenig kompliziert, aber mit Hilfe einiger Erklärungen wird das Ganze schnell verständlicher. In Abbildung C ist kein Trend eingebaut. Es handelt sich lediglich um eine Art Rauschen, in dem keine Ähnlichkeiten auffällig sind. Alle, die sich jetzt ein schniekes Fixie-Rad zulegen denken, dass sie die einzigen mit dieser spitzenmäßigen Idee sind. Falls sie jemanden treffen, der ebenfalls ein metallikfarbenes Rennbike vorbeischiebt, verorten sie diesen Umstand als zufällige Begegnung der Dritten Art.

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In Abbildung D ist eine gewisse Reaktionszeit zu beobachten. Es ist zu sehen, dass sich der allgemeine Nonkonformismus in einem langsamen Gleichgewicht einpendelt. Wenn also dein Nachbar ein schwarzes Rennrad hat, dann kaufst du dir ein weißes. Hauptsache anders und individuell. Die Reaktionszeit sorgt dafür, dass nun im Folgenden weitere Peaks entstehen, die auf einen Trend hinweisen. Schließlich erkennen die Menschen, dass sie Teil eines Trends geworden sind, weil sie plötzlich in einer Masse von Personen schwimmen, die sich genau gleich verhalten, wie sie selbst.

Bild: Grey Hutton

Es gibt also einen klaren Wendepunkt, an dem alle Liebhaber kleiner Hamster erkennen, dass alle anderen auch Clarks tragen. Es dauert dann noch eine kleine Weile, bis sich die Betroffenen entscheiden, mit ihren Füßchen nun in weiße Segelschuhe zu schlüpfen. Dieses Vorgehen ähnelt einer Art Aktionismus, in dem jeder massiv versucht, seinen Stil zu wechseln.

Touboul wählte letztlich nun einen ziemlich komplizierten Weg, um etwas mit mathematischer Bestimmtheit zu beschreiben, was eh jeder kennt. Das Interessante dabei ist jedoch, dass er so gleichzeitig ein recht anspruchsvolles Modell verständlich, unterhaltsam und sogar für Personen mit einer ausgeprägten Abneigung gegen jede Art von Mathematik durchaus interessant dargestellt hat.

Sein Modell lädt zu intensiverer Studie ein, weil wir die Schlussfolgerung verstehen und sogar auf der Straße beobachten können. Ein nachvollziehbares Phänomen in der distinguierten Sprache der Mathematik.

Wir geben gerne zu, dass wir eigentlich gar keinen Artikel über dieses Paper geschrieben hätten. Zum einen, weil wir nicht wirklich verstehen, was uns der Autor mit dem „Sherrington-Kirkpatrick Spinglas-System" der „Hopf Bifurkation" hätte sagen wollen und zweitens, weil abstrakte Mathematik außer Mathematikern einfach kein Schwein interessiert. Es sei denn, die Erkenntnisse der Studie sprechen das moderne Großstadtleben so unwiderlegbar präzise an, wie es hier der Fall ist. Da werden auch die Liebhaber kleiner Hamster hellhörig.