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So hoch sind die medizinischen Risiken für die werdende 65-jährige Vierlingsmutter

Die Reproduktionsmedizin verschiebt die Grenzen der Biologie in einer alternden Gesellschaft. Medizinisch birgt der Fall große Risiken, aber politisch muss eine liberale Gesellschaft den Kinderwunsch der 65-Jährigen aushalten.
​Bild: Shutterstock

Waltraut R. hat am Montag, den 13.5., bei RTL Extra verkündet, dass sie nach einer künstlichen Befruchtung durch eine Samenspende im Alter von 65 Jahren mit Vierlingen schwanger sei. Der Fall ist nicht nur eine medizinische Besonderheit, sondern hat auch eine große Debatte um die Extreme und Ethik der Reproduktionsmedizin in einer alternden Gesellschaft provoziert. Gegenüber dem ​Spiegel erklären nun auch Politiker wie der SPD-Gesundheitsexperte Dr. Karl Lauterbach, dass hier „aus ärztlicher und ethischer Sicht eine Grenze überschritten" werde.

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Familienplanung ist, wie uns die Debatte um das vielleicht bald gekippte Betreuungsgeld gerade wieder vor Augen führt, Privatsache und sollte es auch bleiben. Genau deshalb gibt es die pränatale Diagnostik, mit der Müttern die Gelegenheit gegeben wird, in der Schwangerschaft potentielle Komplikationen so frühzeitig zu erkennen, dass sie sich für einen Abbruch entscheiden können.

Nicht nur manche Fachleute, sondern vor allem viele Forumskommentatoren verurteilen die Mutter von 13 (und wenn alles gut geht, bald 17) Kindern seit Tagen als verantwortungslos und werfen ihr einen „Egotrip" oder „Kindersammelleidenschaft" vor—während die Reproduktionsmediziner gar ihre gesamte Forschung in Verruf geraten sehen. Für solche Standpunkte mag es medizinisch und auch ethisch viele gute Gründe geben, allerdings müssen wir politisch akzeptieren, dass die Wahl über den eigenen Körper in einer modernen, liberalen Gesellschaft letztlich jedem selbst überlassen ist. Selbstbestimmte Reproduktion ist ein Menschenrecht.

Wenn wir Menschen vorschreiben wollen, wie alt und wie gesund sie sein müssten, um Kinder in die Welt zu setzen, landen wir schnell bei denselben Argumenten, die Ultrakonservative gern vortragen, die die Moral der Familienplanung gesetzlich bestimmen wollen. Folgt man dieser Logik, würde auch im Raum stehen, ob Drogensüchtige Kinder bekommen dürfen.

Es ist tatsächlich eine verdammt blöde Idee, seinen Körper im hohen Alter so zum Hochleistungssport zu zwingen, genauso wie es eine verdammt blöde Idee ist, an der Nadel zu hängen und sich suchtkrank fortpflanzen zu wollen. Aber wer mag sich hier aufschwingen, um die Grenze zu ziehen, wie proper Frauen zur erfolgreichen und gesellschaftlich akzeptierten Reproduktion zu sein haben? Wenn unsere Gesellschaft und unser medizinisches System der Gesundheitsversorgung solidarisch aufgebaut ist, dann müssen wir auch akzeptieren, dass Menschen in verschiedenen Phasen ihres Lebens gefährlichen Quatsch machen. Und sie bei Bedarf auffangen.

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Nach der Befruchtung gibt es jedenfalls keine rechtliche Handhabe mehr gegen die Schwangerschaft Waltraut R.s—und das ist auch gut so. Mit Bestimmungen, die im Nachhinein durch Zwang in die Unversehrtheit des menschlichen Körpers eingreifen wollen, weil die Schwangere sich unverantwortlich verhält, stünde man letztlich in einer Reihe mit der Regulierungswut derjenigen, die gesetzlich regeln wollen, was für Schwangere als natürlich gilt. Mit ähnlichen Moralvorstellungen sind auch Abtreibungsgegner unterwegs, die schwangeren Frauen die Hoheit über ihren Körper am Liebsten verbieten würden.

Fakt ist, dass die moderne Medizin die Grenzen des Alterns verschieben kann und das auch tun wird. Selbst, wenn es nicht in Deutschland passiert, fährt die geneigte Mutter im Oma-Alter bei Bedarf einfach in die Ukraine wie Waltraut R., um sich dort die in Deutschland nicht zugelassene Eizelle einsetzen und befruchten zu lassen. Wird in einem Land die Gesetzgebung strenger gehandhabt, steigt proportional der Reproduktionsmedizins-Tourismus eines Landes, in dem die Mediziner oder bestimmte Praktiker ethisch umstrittene Fragen pragmatisch sehen: Wenn es geht, wird es gemacht—Ausgang ungewiss, solange das Geld stimmt.

Ist es deshalb die Verletzung eines Menschenrechts, wenn in Deutschland die Leihmutterschaft und Eizellenspende nach dem Embryonenschutzgesetz verboten wurde und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr der Mutter eine künstliche Befruchtung auch nicht mehr von der Krankenkasse bezuschusst wird?

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Nein, denn für die objektive Risikobeurteilung haben wir zum Glück die Wissenschaft.

Während die Medizin unsere Moral und die Grenzen der Biologie gleichermaßen rasant verändert, ist das gesündeste, was wir in der jetztigen Situation tun können, eine aufgeklärte und informierte Debatte, aber auch Zurückhaltung und Rücksicht gegenüber der werdenden Mutter und dem entstehenden Leben.

Abseits aller Verurteilung und Bevormundung hat der Bundesverband der Frauenärzte die enorm hohen Gefahren der Vierlingsschwangerschaft im hohen Alter noch einmal Pressemitteilung ​prägnant zusammengefasst und bestätigte uns noch einmal, dass das Risiko für die Kinder tatsächlich sehr hoch sei. Hier ein Überblick über die Faktoren:

Risiken für die Kinder:

  • Problematisch ist, dass nicht nur ein Kind, sondern vier über die Plazenta versorgt werden müssen. Aufgrund der knappen Nährstoff- und Sauerstoffversorgung kann das eine erhebliche Beeinträchtigung in der frühkindlichen Entwicklung bedeuten. Anders gesagt: Die Kinder werden während der Schwangerschaft unterernährt. 
  • Das lebenslange Risiko für Herzkreislauferkrankungen und Bluthochdruck steigt rapide an, und nicht selten kommt es vor, dass ein oder mehrere der Mehrlinge noch vor der Geburt sterben. 
  • Der begrenzte Platz in der Gebärmutter schränkt das Wachstum der Kinder ein. Weil sich die Gebärmutter gleichzeitig extrem dehnt, können Wehen viel früher einsetzen und sich der Gebärmutterhals vorzeitig öffnen. 
  • Vierlingsgeburten sind immer Frühgeburten—im Durchschnitt kann eine solche Schwangerschaft nicht länger als 31 Wochen erhalten werden. Die viel zu leichten Babys müssen wochenlang in der Klinik bleiben und haben dort ein erhöhtes Risiko für Hirnblutungen, für Lähmungen, Seh- und Hörschäden und für eine verzögerte Entwicklung durch die gesamte Kindheit hindurch. Sie bleiben lebenslang krankheitsanfälliger als reif geborene Kinder.

Für die Mutter sind folgende Faktoren von Bedeutung:

  • Die Gefahr einer Überdehnung der Gebärmutter besteht: Nachdem sich die Plazenta löst, können schwere Blutungen auftreten. 
  • Die Hormone, die die Plazenta produziert, um die Schwangerschaft aufrecht zu erhalten, erhöhen gleichzeitig das Risiko für Thrombosen—und die können tödlich enden. Vier Kinder bedeuten auch mehr produzierte Hormone, dazu kommt, dass das Thromboserisiko mit dem Alter ebenfalls erheblich ansteigt. 
  • Für Bluthochdruck und für Schwangerschaftsdiabetes bei Mehrlingsschwangerschaften steigt.
  • Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder ihre Mutter noch nach ihrem 20. Lebensjahr haben, ist gering. Gleichzeitig bedeutet die intensive Fürsorge für Vierlings-Frühchen eine Menge Arbeit.

Eine Schwangerschaft bei einer Frau über 60 Jahre birgt folgende Probleme:

  • Waltraut R. ist nicht die biologische Mutter ihrer Kinder, denn ihr eigenen Körper produziert keine Eier mehr, die befruchtet werden könnten. Sie muss sich die eingefrorenen Eizellen einer anderen Frau einsetzen lassen, wenn sie nicht zuvor ihre eigenen Eizellen kryokonserviert hatte. Diese Eizellenspende ist in Deutschland verboten. 
  • Die werdende Vierlingsmutter muss über mehrere Wochen Hormone zu Beginn der Schwangerschaft schlucken, um ihre Gebärmutter auf harte Arbeit vorzubereiten. Die hohen Hormondosen werden deutliche Nebenwirkungen haben—ob sie die Schwangerschaft aufrecht erhalten können, ist dabei nicht gesagt. 
  • Und natürlich ist eine Schwangerschaft eh schon Extremsport für den Körper und Kreislauf—der Gynäkologenverband resümiert daher, was gesunder Menschenverstand eigentlich eh diktieren sollte: „Von einer Schwangerschaft in diesem Alter, die nicht spontan entstanden ist, sondern durch Samen- und Eizellspende und Hormonbehandlung herbeigeführt wurde, kann deshalb nur abgeraten werden."