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Geschmackswahrnehmung

Warum du verrottetes Haifischfleisch magst und ich nicht

Kann man Geschmacksvorlieben von seinen Eltern erben? Warum mögen Geschwister nicht immer das gleiche Essen? Wir sprachen mit Dr. John Prescott, ein Experte menschlicher Geschmacks- und Geruchswahrnehmung, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Was hat es eigentlich mit den Geschmäckern auf sich? Wieso esse ich gerne Senf auf meinen Crackern, während dir dabei das Kotzen kommt? Und warum hasse ich Orangenfruchtfleisch, während du dich von nichts anderem ernähren könntest?

Dr. John Prescott, ein Spezialist der menschlichen Geruchs- und Geschmackswahrnehmung, hat sein Leben genau dieser Frage gewidmet. In seinem kürzlich erschienen Buch Taste Matters erkundet Dr. Prescott die Wurzeln unserer Essensvorlieben—seien es genetisch oder kulturell bedingte oder gelernte.

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Wir setzten uns mit Dr. Prescott in Verbindung, um ihn zu fragen, warum manche Leute gewisse Dinge leckerer als andere finden und ob frischgeborene Babys schon auf Chilis stehen.

MUNCHIES: Hallo, Dr. Prescott. Zu allererst: Wenn wir beide ein Stück Schokolade essen, schmecken wir dann das Gleiche? Dr. John Prescott: Sehr gute Frage. Das ist eigentlich eine philosophische Diskussion. Das ist, als würdest du sagen: „Ist das Rot, das du siehst, das gleiche, das ich sehe?" Natürlich gibt es nicht nur eine richtige Antwort.

Deshalb lautet meine Antwort: Wahrscheinlich—mit relativ geringen Unterschieden. Du reagierst auf dunkle Schokolade oder die Bitterkeit anders als ich. Du findest sie vielleicht süß, weil du nicht so oft Schokolade isst. Das liegt daran, wie unser Gehirn Erfahrungen vergleicht.

Wenn ich also etwas hasse, das jemand anders mag, liegt dann der Unterschied in unseren Gehirnen und Mündern? Alles passiert im Gehirn. Wenn wir darüber reden, was wir mögen und was nicht, dann geht es eigentlich immer darum, wie sehr wir diesen Dingen ausgesetzt sind. Meine Frau beispielsweise mag kein Lammfleisch wegen des Lammgeruchs. Sie hat in ihrer Kindheit nie Lamm zu essen bekommen. Ich hingegen schon und deshalb mag ich den Geschmack.

Das ist eigentlich der Grund für die meisten Unterschiede in den Geschmacksvorlieben. Es gibt ein paar wirkliche Unterschiede—im Hinblick auf die Empfindlichkeit für Bitterkeit—aber die sind nur sehr gering.

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Wenn also alles im Kopf passiert, kann man sich selbst beibringen, was man mag und was nicht? Viele Leute haben schon einmal die Erfahrung gemacht, dass sie anfangs etwas nicht mögen, aber es trotzdem essen, weil ihre Freunde es auch tun und am Ende mögen sie es auch wirklich. Das ist nicht ungewöhnlich. Genau das ist der Grund, wieso sich Geschmäcker ändern: Wie oft man etwas konsumiert.

Was ist mit den Leuten, für die Koriander nach Seifenwasser schmeckt? Was hat es damit auf sich? Das ist einer der winzigen Unterschiede zwischen verschiedenen Menschen. Es gibt eine genetische Variation, die sich so auswirkt, dass Koriander für diese Leute anders schmeckt. Sie ist relativ verbreitet, ziemlich viele Leute finden Koriander widerlich.

Gibt es noch andere Nahrungsmittel wie Koriander? Manche Leute mögen kein Schweinefleisch, weil es für sie nach Bauernstall schmeckt. Das ist eine weitere genetisch bedingte Variation. Diese Leute reagieren sehr sensibel auf Andrestenon, ein Sexuallockstoff der Schweine.

Wenn der Geschmack teilweise genetisch bedingt ist, kann man ihn von seinen Eltern erben? Ja, kann man. Um die 50 Prozent der Essensvorlieben sind vererbbar. Deine Vorlieben werden besonders von der Ernährung deiner Mutter während der Schwangerschaft geprägt durch die Geschmäcker im Fruchtwasser, denen du im Uterus ausgesetzt bist. Es lässt sich nachweisen, dass Kinder sogar ein paar Jahre nach dem Abstillen noch eine Vorliebe für diese Geschmäcker haben.

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Wenn ich also kein heikles Kind haben will, muss ich einfach während der Schwangerschaft alles essen? Genau. Du könntest deinem Kind bestimmte Vorlieben „verpassen". Wenn du willst, dass es Karotten mag, dann iss viele Karotten. Wenn du dich vielseitig ernährst, wird es dein Kind später wahrscheinlich auch tun. Das ist vermutlich der größte Einfluss, den du auf dein Kind haben kannst.

Viele Leute verlieren mit der Zeit ihre Vorliebe für Süßigkeiten. Wieso ist das so? Wir sind uns nicht ganz sicher. Ich glaube, anfangs mögen wir mehr oder weniger alle süße Sachen. Aber mit der Zeit erfahren wir Süße in gewissen Kontexten und mögen auch Essen, das nicht süß ist.

Werden thailändische Babys mit einer stärkeren Vorliebe für Fisch und Chilis geboren als beispielsweise ein Kind aus Äthiopien? Chili wahrscheinlich nicht, aber beim Fischgeschmack ist das der Fall. Wenn die Mutter sich während der Schwangerschaft viel davon ernährt, ist der Fischgeschmack für das Kind nicht mehr neu.

Aber mit Chili ist es nicht so? Nein. Chili ist im Grunde ein Paprikagemüse mit Schärfe. Für den Geschmack der Paprika gilt das Gleiche, wie für alle anderen Geschmäcker. Schärfe hingegen ist kein Geschmack, sondern ein Bestandteil, den man als Capsaicin bezeichnet—ein chemischer Reizstoff. Durch die Schärfe der Chili werden einfach Schmerznerven aktiviert, aber das kann man natürlich lieben lernen.

Die Leute werden also nicht mit einer Vorliebe für Chili geboren, sie entwickeln sie erst? Ja, ich glaube schon. Wir wissen nicht wirklich genau, ob der Chiligeschmack oder die Schärfe ins Blut oder ins Fruchtwasser einer schwangeren Frau gelangen. Aber ich glaube nicht.

Sagen wir mal, ich würde in der Zukunft leben und mir die Zunge transplantieren lassen. Würde ich die Geschmacksvorlieben des Zungenspenders erben? Nein. Das wäre, als würdest du fragen: Wenn ich eine Augentransplantation hätte, würde ich mich an alles erinnern, was der Spenders je gesehen hat? Der Geschmack passiert nicht in der Zunge, es passiert alles im Kopf. Unsere Zunge ist nur das Hilfsmittel, das Chemikalien in elektrische Signale verwandelt. Mehr macht sie nicht.

OK, habe ich eigentlich auch nicht erwartet. Was ist der meistgehasste Geschmack der Welt? Hm, das ist schwierig zu sagen. Alles, was vergammelt ist—Gemüse und Fleisch entwickeln bestimmte Geschmäcker, wenn sie vergammeln aufgrund der Enzyme, die das Gewebe zersetzen. Aber selbstverständlich gibt es tolle Gegenbeispiele von Leuten, die Lebensmittel absichtlich vergammeln lassen und sie dann essen. Mein Buch beginnt mit einem Beispiel von verrottetem Haifischfleisch, das die Isländer sehr gerne essen. Für mich ist das das Schlimmste, was ich mir vorstellen könnte. Aber egal, was es ist, es gibt fast immer irgendwo irgendjemanden, der es lecker findet.