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Drogen

Becherovka ist besser als Hustensaft

Ursprünglich als Medizin gedacht, ist der bittere Kräuterlikör das Gegenteil von allem, was nur annähernd angenehm schmeckt. Viele lieben ihn dennoch!
Eine Flasche Becherovka, die genauen Zutaten bzw. Inhaltsstoffe sind geheim

Während des 19. Jahrhunderts und bis zu dem Weltkriegen war Westböhmen für seine Spa-Städte bekannt. Die heilenden Kräfte der Quellen in Carlsbad (heute Karlovy Vary) und Marienbad (Mariánské Lázne) zog Aristokraten aus ganz Europa an. Säulengänge, neoklassizistische Bauten und Pavillons schmückten die Innenstädte. Giorgio Albertazzi verführte Delphine Seyrig in den Gärten einer dieser luxuriösen Paläste—zumindest behauptete er das. Dann setzten die Kriege, das kommunistische Regime und das Potsdamer Abkommen der goldenen Ära ein Ende.

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Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks sind zumindest die Touristen zurückgekommen. Und in Karlovy Vary—„der Stadt der 12 Quellen"—ist Wasser nicht die einzige Flüssigkeit mit heilenden Eigenschaften. Du willst dir etwas Gutes tun? Dafür musst du gar nicht mit einem überteuerten Porzellan-Tässchen aus dem Spa durch die Stadt laufen, dir den Weg mit den Ellbogen an den russischen Touristen, die verzweifelt versuchen, ihre Lebenserwartung zu verlängern, vorbei bahnen und trübes, lauwarmes Wasser trinken, das nach faulen Eiern riecht. Es gibt schließlich auch noch Becherovka, früher auch als 13. Quelle von Karlovy Vary bekannt. Aber sei gewarnt: Es ist nicht unbedingt das geringere Übel.

Man kann nur annehmen, dass es in einem Land, das sich unter den Top 10 der Länder mit dem höchsten Alkoholkonsum pro Kopf befindet, einen gewissen Reiz hatte, sich nach Anweisung des Doktors sternhagelvoll zu saufen.

Die Entstehung von Becherovka

Becherovka war im frühen 19. Jahrhundert als verdauungsanregendes Medikament bekannt—einer Zeit, in der Medikamente noch beschissen schmecken mussten, damit man an ihre Wirksamkeit glaubte. Das Getränk wurde nach seinem Erfinder, Jan Becher, benannt. Obwohl … eigentlich nicht. 1805 besaß ein gewisser Pharmazeut namens Josef Becher ein Haus im Zentrum von Carlsbad. Als Graf Maximilian von Plettenberg-Wittem zu Mietingen mit seinem persönlichen Physiker, dem Engländer Dr. Christian Frobrig in die Stadt kam, übernachtete er in Bechers Haus. Der Pharmazeut und der Doktor wurden Freunde und spielten gerne gemeinsam Alchemist, weil sie beide ein Interesse an mit Kräutern versetzten alkoholischen Getränken hatten. Als es an der Zeit war, nach Hause zu gehen, gab Frobrig Becher ein Rezept für einen Magenlikör, den er selbst kreiert hatte. Becher verbrachte zwei Jahre damit, die Rezeptur zu verbessern und fing schließlich 1807 an, sein Gebräu unter dem Namen Becher's English Bitter zu verkaufen. Ich schätze, wir sollten einfach dankbar sein, dass das Elixir nicht Plettenberg-Wittem-zu-Mietingenovka hieß.

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Von der Medizin zum Kräuterlikör

Ein paar Jahrzehnte später wurde aber das eigentliche Wunderwerk vollbracht, als Josefs Sohn, der Geschäftsmann Johann „Jan" Becher, das medizinische Gebräu zu einem Kräuterlikör verwandelte, das sowohl Besucher als auch Einheimische trinken wollten, auch wenn sie nicht krank waren. Wie genau ihm dieses Kunststück gelang, bleibt ein Geheimnis. Man kann nur annehmen, dass es in einem Land, das sich unter den Top 10 der Länder mit dem höchsten Alkoholkonsum pro Kopf befindet, einen gewissen Reiz hatte, sich nach Anweisung des Doktors sternhagelvoll zu saufen. Wie dem auch sei, Becherovka wie wir es heute kennen war geboren und der Rest ist Geschichte. Die Nachfrage wurde immer größer, in der Zwischenkriegszeit schaffte es der Likör in Supermarktregale des Auslands und die geheime Formel wurde von der einen Becher-Generation zur nächsten weitergegeben bis die Kommunisten die Fabrik verstaatlichten. Das Unternehmen wurde in den frühen 1990ern wieder privatisiert und einige Jahre später von Pernod-Ricard aufgekauft.

Das Becherovka Museum; Eingangsschild mit stilisierten Becherovka-Flaschen

Das Becherovka-Museum in Karlovy Vary, Tschechische Republik.

2010 wurde die Fabrik an einen Standort außerhalb der Stadt verlegt und das Gebäude, in dem fast eineinhalb Jahrhunderte lang die Produktion stattfand, wurde zu einem Museum umgewandelt. Als ich meine Führung buchte, erwartete ich mir antike Aufnahmen, Abfüllungsanlagen aus der Zeit des Eisernen Vorhangs und andere Destillationsutensilien aus längst vergangenen Epochen. Vielleicht eine kleine, noch funktionierende Produktion, die begeisterte Touristen oder Schwarzbrenner belehren könnte. Die Besitzer verfolgten aber einen völlig anderen Ansatz und verwandelten die Räumlichkeiten in eine Art Madame Tussaud's.

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Die Herstellung von Becherovka

An ein paar Bildern und alten Flaschen vorbei, erklärt der Führungsleiter mit Hilfe einer kleinen Ausstellung mit lebensgroßen Wachsfiguren wie Becherovka hergestellt wird. Nur zwei Personen kennen das Geheimnis des gesamten Produktionsprozesses. Jeden Mittwoch betritt eine von ihnen die drogikamr, wo sie 1,5 Tonnen Kräuter und Gewürze von Hand mischt, alles gemäß der Originalrezeptur aus dem Jahr 1807. Im Rezept stehen ungefähr 20 verschiedene Kräuter, einige aus der Umgebung von Karlovy Vary, der Großteil aber aus Zentraleuropa und einige wenige werden aus Südamerika und Südafrika importiert. Die Mischung, zusammen mit dem Alkohol, wird eine Woche in einen temperaturgeregelten Edelstahltank gelagert, dann werden die restlichen Zutaten (Wasser, Zucker, Weindestillat und scheinbar Orangenöl) hinzugefügt und der Likör wird vier Wochen lang zum Reifen in Eichenfässern gelagert. Das Getränk wird geklärt, eingefroren und gefiltert und schließlich in die typischen grünen Becherovka-Flaschen abgefüllt. Wenn man wirklich auf Wachsfiguren steht, wird einem das Herz bei diesen Bonusszenen aufgehen: Dr. Frobrig in seinem Labor, und Johann Becher, wie er sich unter dem Vorwand der Qualitätskontrolle einen hinter die Binde kippt. Dann ist es Zeit für die Verkostung. Die russischen Touristen jauchzen vor Freude.

Selbst gemachter Fernet

Becherovka ist verwandt mit Fernet, Unicum, Jägermeister und Chartreuse. Es ist ein bitterer Kräuterschnaps und das komplette Gegenteil von allem Angenehmen und Wohlschmeckendem. Der Geschmack erinnert mich an Hustensaft. Mag das eigentlich jemand? Ich habe schon gehört, dass sich Leute mit Hustensaft betrinken, aber hat es dieser Likör wirklich verdient, in einem erstklassigen Restaurant in einem Kristallglas serviert zu werden?

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Die unterschiedlichen Sorten

Wie Hustensaft gibt es Becherovka mittlerweile in einigen verschiedenen Geschmacksrichtungen. Das Original, in all seiner kräuterigen Pracht mit Zimtnote, 38 Prozent Alkohol und 10 Prozent Zucker ist definitiv die beliebteste Variante. Becherovka Lemond hat weniger Alkohol, die Kräuter werden von einer Zitrusnote ergänzt (soll heißen: übertönt). Cordial ist ein unfassbar süßes Getränk mit 40 Prozent Zucker und Limettenblütenextrakt, das für Tee, Kaffee, Eisbecher oder Fruchtsalate empfohlen wird. Dann gibt es noch den Newcomer KV14 , der mit seinen 40 Prozent Alkohol, 10 Prozent Rotwein und ohne Zucker ziemlich beängstigend ist—eine Mischung, so bitter und so widerlich, dass die Produzenten dem Konsumenten ans Herz legen, es nicht alleine zu trinken.

Becherovka - die erste Flasche

Die erste Flasche Becherovka.

Während der Verkostung lief ein Kurzfilm, der die Geschichte um Becherovka noch einmal detailreicher nachzeichnete. Die amüsanteste Szene zeigte den Erfolg des Getränks bei der Weltausstellung 1967 in Montreal, wo die damalige Tschechoslowakei einer der fünf beliebtesten Pavillons betrieb mit acht Millionen Besuchern (der beliebteste? der der Sowjetunion). Speziell für diesen Anlass wurde ein Cocktail kreiert. Becherovka und Tonic, kurz Beton (so ein Zufall). Anscheinend sollen die Expo-Besucher von dieser simplen Mischung in Ehrfurcht erstarrt sein, vielleicht weil sie über den lächerlichen Namen lachten, aber ganz bestimmt weil sie sich des garantierten Effekts auf den Geruch ihrer Körperflüssigkeiten nicht bewusst waren.

Ich sehe es so: Wenn ich wirklich Becherovka trinken muss, dann bleibe ich doch lieber bei der ursprünglichen Verschreibung. Zwei Esslöffel pro Tag einnehmen, das Gesicht vor Ekel verziehen und hoffen, dass man davon gesund bleibt.