"Inshallah kriegt ihr alle Aids" – Ein Rapper kommt fast ums Leben und alle lachen

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"Inshallah kriegt ihr alle Aids" – Ein Rapper kommt fast ums Leben und alle lachen

Am Montag verlor Dr. Knarf infolge einer Explosion beide Hände, seitdem überschlagen sich die Gag-Kommentare. PA Sports und Kool Savas finden das dagegen überhaupt nicht witzig. Ein Kommentar.

Fotos im Header: Groove Attack | Screenshot von Facebook aus dem Video von Das Gespenst

Irgendwie waren die Reaktionen ja zu erwarten. 2017, Deutschrap ist vorläufig durchgespielt, wirklich unberechenbar sind meist nur noch die Memes, Cartoons oder eben die unzähligen Kommentare von mehr oder minder begabten Rap-Komikern. Auch wenn Journalisten gerne von 2016 als "dem besten Jahr für Deutschrap" schwafeln, muss man es eben genau so sagen, wie es ein anonymer Freund feststellte: "Die besten Alben des Jahres kamen halt von RAF Camora, Fler und zwei Ossis (MC Bomber und Shacke One). Das sagt doch alles über den Zustand der Szene." Alle vier Alben sind herausragend. Und dennoch steckt in dieser überspitzten Polemik mehr als nur Ironie oder Sarkasmus. Die angebliche Vielfalt hat nicht verhindern können, dass sich 2016 eine gewisse Eintönigkeit eingestellt hat. Auch der sagenumwobene "Cloudrap" schien größtenteils ziemlich berechenbar. "Lalalala, ich hab noch was da, komm ich zieh dein Haar." Lit, Mois!

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In solchen Zeiten muss man sich selber helfen. Trolls in den Kommentarspalten sind auf vielen Plattformen der einzige Grund, die Artikel noch anzuklicken. Keine Schlagzeile scheint zu absurd, wenn einer der großen Click-Player (187, Fler, Böhmermann, usw.) im entferntesten Teil der Story ist. ("Umfrage: Wie findet ihr, dass Fler zum Neo Magazin Royale geht?") Also direkt runter scrollen, bis zu den Top-Troll-Kommis. Da, wo die eigentliche Party stattfindet. Besonders auf RapUpdate findet sich vom obligatorischen "Toony ist ein Hurensohn" bis zu großartigen Schätzenwie "'Yo, ich bin Bushido, ich bin in Costa Rica, mache noch ein paar Tage Urlaub' - Anis, sitzt im Keller und levelt seinen Nachtelfirokesen" alles, was das gelangweilte HipHop-Herz begehrt.

Immer wieder werden dabei, bewusst oder unbewusst, zu Phrasen verkommene Fragen wie "Darf Satire alles??!!" in den Raum geworfen. Der vorläufige Höhepunkt dieses Treibens: Die Meldung über den Rapper Dr.Knarf, der bei einer mutmaßlich selbst herbeigeführten Explosion beide Hände verlor. Laut Polizeiangaben gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Dr. Knarf und mehrere Komplizen in dem Tonstudio ein Drogenlabor betrieben haben. Von Marihuana und Ecstasy ist die Rede. Die Explosion wurde wohl durch mehrere Propangasflaschen ausgelöst. Neben dem Musiker wurde ein weiterer Mann schwer verletzt. Die Reaktionen darauf waren, vorsichtig ausgedrückt, für einige an der Grenze des Erträglichen. Nur besonders verkommene Subjekte, wie der Autor dieses Textes, konnten sich das ein oder andere Schmunzeln nicht verkneifen.

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Dazu muss man auch ehrlicherweise sagen, dass Dr. Knarf den meisten der eher jüngeren Hörern kein Begriff ist. Meine einzige Erinnerung an den Rapper stammt ebenfalls lediglich vom Splash 2007, als jemand auf die grandiose Idee kam, den MC als Ersatz für den kurzfristig unpässlichen Snoop Dogg einspringen zu lassen. Gerüchten zufolge lief die Stagemanagerin panisch durch den Backstage und rief einfach in die Runde, ob jemand auftreten könne. Knarf fühlte sich berufen. Die Reaktion des Publikums, welches zur Primetime vor der Hauptbühne bereits seit einer Stunde auf den Godfather aus Long Beach wartete, war dementsprechend verheerend.

Will sagen: Für 95% der Kommentierenden handelt es sich um eine abstrakte Kunstfigur, mit der sie keinerlei Erlebnisse verbinden. Die "Lieber Arm ab, als Arm dran"-Witze richten sich also eher unbewusst gegen das Opfer an sich. Ein Indiz dafür ist auch, dass erwartbar dämliche Kommentare à la "Er ist wenigstens real und lebt was er rappt" bisher ausblieben. Das macht die Tragödie für den Menschen nicht weniger dramatisch. Aber es erklärt zumindest ein wenig die komplett fehlende Anteilnahme.

Ähnlich wie Rapper, die sich dem Mainstream stellen müssen (Bambi-Rede von Bushido, never forget!) oftmals für sich in Anspruch nehmen, eine reine Kunstfigur darzustellen, deren Texte überspitzt und nicht ernst zu nehmen sind, wird hier lediglich ein für viele nicht greifbares (hier bitte keinen Dr. Knarf-Vergleich einfügen) Ereignis benutzt, um unterirdische Witze zu machen. Das ist kein Weltuntergang, sondern einfach nur geschmacklos. Und manchmal trotzdem lustig.

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Kurze Kostprobe gefällig? "Nicht zu fassen, wie alles für Dr. Knarf". Ok. "'Tut mir leid, da sind mir die Hände gebunden.' - Arzt zu Dr Knarf". Räusper. "Kriegt jetzt Schwerbehindertenausweis mit 100 % statt nur 70 %, weil sie seinen Künstlernamen gelesen haben." Oha! "Kaum verliert man seine Hände, schon kommt der Hype, geht doch." Aiaiai. "Konzert Dr. Knarf: *Mic drop* *Mic drop* *Mic drop* *Mic drop* *Mic drop* *Mic drop* -Konzert zuende." Schuldbewusster Schmunzelflip.

Die Reaktionen der  hauptberuflichen Rap-Prediger ließ nicht lange auf sich warten. Während Savas gewohnt trocken auf Twitter konstatierte "Sie reißen Witze über jemandem der ums überleben kämpft und fragen mich ernsthaft warum ich dieses Szene hasse" (sic!), widmete PA Sports dem Trollforum gleich eine ganze Snapchat-Story. In dieser wünschte er Menschen die solche Witze reißen, dass "ihre Mütter von Gorillas in Käfigen vergewaltigt werden sollen" und merkte an: "In den Arschlöchern der Hurentöchter, die euch großgezogen haben, sollen Propangasflaschen explodieren." Klingt ein wenig nach der WDR-Hobbythek mit Jean Pütz. Beendet wurde der Monolog von PA mit einem frommen "Inshallah kriegt ihr alle Aids." So geht Humanismus. Auge um Auge, Gorilla-Gangbang für Arm-Jokes.

Andere Experten wollten es gleich ganz genau ausdiskutieren und kritisierten im MZEE-Forum die Parteinahme für einen angeblichen Drogendealer.

"Das Crack wird nämlich an Junkiemütter verkauft die sich dann nicht um ihre Babies kümmern, weil sie lieber 24/7 basen. Und dass du der Meinung bist, jemand, der einen dummen Witz geschrieben hat, sollte eher vom Karma bestraft werden, als Leute, die andere ausgeraubt und in die Notaufnahme geprügelt habe, ist heuchlerisch." Es ist bisher übrigens weder bestätigt worden, dass in dem Studio Crack hergestellt wurde, noch konnte eine 24/7 Crack rauchende Mutter eines Säuglings präsentiert werden. Aber wir bleiben dran. (Auch hier bitte keinen naheliegenden Knarf-Joke einfügen).

Was bleibt am Ende übrig von dem ganzen Theater? Ein schwerverletzter Mensch, dem man nur gute Besserung wünschen kann und der sich hoffentlich wieder einigermaßen erholt.

Dass man trotz dieses Wunsches über den ein oder anderen Gag lacht, ist kein Widerspruch. Das muss man nicht so sehen. Kann man aber. Und jetzt beruhigen wir uns alle mal und hoffen das Beste.

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