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Fußball

Gertjan Verbeek—das Arschloch, das der deutsche Fußball braucht

Gertjan Verbeeks gestrige Wutrede gegen die Bild ist jetzt schon Kult. Der Niederländer ist aber mehr als ein authentischer Quertreiber. Er ist ein Fußball-Fachmann, der nicht viel labert, sondern anpackt. Nürnberg-Fans vermissen ihn heute noch.
Foto: Imago

„Wie waren die Trainingseinheiten, wer ist fit, wer spielt?"—Pressekonferenzen sind meist unspektakulär. Nicht so mit Gertjan Verbeek, Trainer des Zweitliga-Spitzenreiters VfL Bochum. Er ist wohl der letzte eigenwillige Brödler, der sagt, was er wirklich denkt—immer.

Ein Journalist der „Ruhr Nachrichten" wollte in der gestrigen PK vor dem Spiel der Bochumer gegen Arminia Bielefeld wissen, ob Verbeek den Meistertitel in der zweiten Liga als offizielles Ziel ausgegeben habe. Seine Antwort: „Das ist so unglaublich kindisch von Bild." Es folgte eine Wutrede mit Erklärungen und Beleidigungen im schönsten niederländischen Dialekt. Hintergrund war ein Titel der Boulevardzeitung: „Verbeek spricht vom Meistertitel". Die Aussage von Verbeek war aber: „Wir sind angetreten, um Meister zu werden. Die Ambition muss immer sein, raus aus der zweiten Liga und aufsteigen in die erste, aber das wird schwer." Die Änderung, frei aus dem Kontext gerissen, gefiel dem Coach nicht. Seine Ansage gegen den Reporter des ohnehin schon kritisierten Mediums, die zweimal quer durchs Internet ging, ist jetzt schon Kult. (ab Minute 3:30 im Video)

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Gertjan Verbeek ist aber mehr als nur ein maulender Stinkstiefel, der gegen die Bild wettert. Der Querkopf ist unbequem, streitbar und authentisch. Das lieben vor allem die Fans an dem ehemaligen Verteidiger, der mit seiner Art immer wieder für Kontroversen sorgt. Die Menschen lechzen nach dieser Authentizität in der glattgebügelten und glitzernden Welt des Profifußballs. Während seine Kollegen den Schein nach außen wahren, um die echte eigene Meinung vor klickscharfen Medien und sensationslüsternen Zuschauern zu schützen, ist Verbeek ein wahrer Idealist. Er sagt alles, was er gerade denkt. Der Mister Cojones unter den Kens der deutschen Fußballszene.

Schon zwischen 2013 und 2014 sorgte Verbeek bei seiner ersten Station im Ausland beim 1. FC Nürnberg für Unruhe. So rasierte er sich in einer historischen und monatelangen Negativserie bis zum ersten Sieg nach der Winterpause gegen Hoffenheim nicht. Zudem legte er sich im Abstiegskampf mit einigen Kollegen in der Bundesliga an. „Wie Streich mit mir geschimpft hat, wie er mich angegangen ist, war brutal, unverschämt, unglaublich, respektlos. Wie ein Verrückter", sagte Verbeek über Freiburgs extrovertierten Coach Christian Streich. Streich hat den Streit noch nicht immer nicht vergessen und reichte Verbeek vor wenigen Wochen beim Spiel gegen Bochum nicht die Hand. Sein ehemaliger Nürnberger Boss Martin Bader, der ihn am Telefon feuerte, kann Verbeek laut eigener Aussage bis heute nicht in die Augen schauen.

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Privat sucht Verbeek hingegen nach Ruhe. Seine Freizeit verbringt er in Nordholland, wo er ganz alleine eine Blockhütte in den Wald baute. „Ich habe in meinem Beruf so viele Leute um mich herum. Da genieße ich die Einsamkeit meiner Hütte", sagte er mal in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung". In der turbulenten Zeit in Nürnberg nutze er jede freie Minute in der Abgeschiedenheit: „Ich fahre abends von Nürnberg los, übernachte in der Hütte, zimmere dann einen Tag und fahre abends wieder zurück nach Nürnberg. Herrlich entspannend!"

Aber auch der Ruf des eigentümlichen Kerls mit dem losen Mundwerk wird Verbeek nicht gerecht. Verbeek ist mehr. In Nürnberg bereut man bis heute Verbeek nur drei Spiele vor Schluss gefeuert zu haben—der Club gewann kein Spiel mehr, stieg ab und spielte nie mehr so offensiv wie unter Verbeek. Der 53-Jährige machte anschließend aus dem Abstiegskandidaten aus Bochum innerhalb eines halben Jahres den heutigen ungeschlagenen Tabellenführer der zweiten Liga. Seine Marschroute: „Ich will immer nach vorne spielen. Und ich rede lieber darüber, was zu holen ist —nicht, was zu verlieren ist." Das graue Mäuschen aus dem Pott galt im Schatten von Schalke und dem BVB, verdrängt von neureichen Dorfvereinen in der Republik, schon als überholt. Jetzt spielt sich der VfL mit dem attraktiven und offensiven Powerfußball wie zu Verbeeks Zeit beim AZ Alkmaar wieder in die Herzen der Zuschauer.

Dabei scheint Verbeek bei der Arbeit ein Freak zu sein, ein Sportfreak. Er ist nicht nur ausgebildeter Fußballlehrer, sondern besitzt als Diplom-Sportlehrer auch Trainerscheine im Boxen, Handball, Judo, Schwimmen, Volleyball und ist zudem lizensierter Fitness- und Athletiktrainer.

Seine Leidenschaft sind vor allem das Boxen und Judo. Im Judo besitzt er sogar einen schwarzen Gürtel. „Judokämpfe gewinnt man mit Überlegung, mit Intelligenz. Die Kraft des Gegners für eigene Aktionen auszunutzen—so etwas geht auch im Fußball", erklärt mal der andere Verbeek, der Visionär. In Bochum hielt er erstmals seit Jahren ein Team zusammen und konnte neben den Leistungsträgern um Simon Terodde mit vielen talentierten Spielern den Kader qualitativ aufwerten. Auch am heutigen Abend wird er wie in den sieben Spielen zuvor mit genau der gleichen Mannschaft auflaufen.

Verbeeks Ziel mit dem VfL Bochum ist die Meisterschaft, aber er weiß auch, dass es schwer wird. Zur Not wird er sich durchboxen: „Meine Verletzungen im Gesicht habe ich alle beim Fußball erlitten: Dreimal die Nase gebrochen, Platzwunden, Zähne weg—immer Fußball, nie Boxen." Der Bundesliga würde so ein Kerl auf jeden Fall gut tun.

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