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Wie Schweinsteiger plötzlich zum Lebensretter von Babak Rafati gemacht wurde

Bastian Schweinsteiger schrieb einen rührenden Brief an Ex-Schiedsrichter Babak Rafati nach seinem Selbstmordversuch. Weltweit verbreitet sich nun die Fake News, dass Schweinsteiger für seine Genesung verantwortlich war.
Foto: Imago

„Bastian Schweinsteiger praised by formerly suicidal ref for stopping him from killing himself", titelte die englische Zeitung The Sun. Das heißt so viel wie, „Bastian Schweinsteiger wird von ehemals selbstmordgefährdetem Schiri dafür gelobt, dass er ihn davon abbrachte, sich umzubringen", und machte den Deutschen in der Boulevard-Zeitung zum „HERO Bastian Schweinsteiger". Zu Recht, könnte man meinen, aber die Meldung und auch die Überschrift des Blattes sind schlichtweg falsch.

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Bastian Schweinsteiger ist ein guter Kerl. Das wissen wir spätestens seit dem Wochenende. Da veröffentlichte die Schweizer Tageszeitung Blick ein Interview mit dem ehemaligen Bundesliga-Schiedsrichter Babak Rafati. Rafati sprach nach fünfeinhalb Jahren über seinen damaligen Selbstmordversuch in einem Hotel vor dem Bundesliga-Spiel zwischen dem 1. FC Köln und dem FSV Mainz 05. Und Rafati erzählte auch von einer rührenden und großen Geste von Schweinsteiger.

Im Interview wird der ehemalige Schiedsrichter gefragt, wer sich nach seinem Selbstmordversuch aus der Fußballwelt alles gemeldet hat. Seine Antwort: „Alle Schiris. Und Bastian Schweinsteiger schrieb mir einen Brief, was mich sehr berührt hat. Da war null Berechnung dabei, er wusste ja, dass ich nach diesem Vorfall nie mehr pfeifen kann." Anschließend schilderte er, was Schweinsteiger ihm schrieb: „‚Herr Rafati, im Leben fällt man oft. Man muss einmal öfter aufstehen. Ich wünsche Ihnen alles Gute.' Eine wahnsinnig große menschliche Geste. Aber Depressionen sind immer noch ein großes Tabu im Fußball. Ich betreue inzwischen drei Bundesliga-Profis als Mental-Trainer." Zitat Ende.

Anschließend erläuterte Rafati, wie er auch nach seinem ersten Selbstmordversuch weiterhin mit dem Gedanken spielte, sich das Leben zu nehmen. Der Sun war diese große Schweinsteiger-Geste scheinbar zu wenig und sie erklärte den United-Spieler in ihrem Text einfach mal zum Lebensretter. Das Blatt brachte mit seiner Headline einen Stein ins Rollen und zahlreiche Medien schrieben ab – besonders reichweitenstarke Portale wie The Sport Bible (9,6 Millionen Follower auf Facebook) oder Unilad (26 Millionen Follower (!)) kopierten die Fake News und verbreiteten Überschriften wie „A Letter From Bastian Schweinsteiger Stopped A Former Referee From Committing Suicide" oder „Touching Letter From Bastian Schweinsteiger Stopped Referee From Committing Suicide". Den Facebook-Post von The Sport Bible teilten über 400 User, über 9.000 likten ihn.

Die Leser und Fans fielen voll auf diese falsche Headline rein. Sie checken diese Neuigkeiten und Behauptungen natürlich nicht auf ihren Wahrheitsgehalt gegen – scheinbar ebenso wenig wie viele Redakteure und Journalisten. Von Portugal („Schweinsteiger verhinderte Selbstmord von deutschem Schiedsrichter") über Frankreich bis nach Honduras verbreitete sich die Nachricht vom „Lebensretter Schweinsteiger". Das ist keine Neuheit: Fake News im Fußball sind schon länger nicht mehr nur bei wahnwitzigen Transfergerüchten zu finden. Vor allem reichweitenstarke Facebook-Seiten und Clickbait-Portale scheinen oftmals gezielt Informationen zu erfinden oder so zu interpretieren, dass sie noch heftiger wirken. Erst nach dem Flugzeugabsturz des brasilianischen Teams von Chapecoense verbreiteten sich wilde Informationen über angebliche Millionen-Spenden von Cristiano Ronaldo und Co.

Im Fall von Rafati und Schweinsteiger scheint die Fake News-Geschichte noch halbwegs glimpflich auszugehen, weil niemand der Buh-Mann ist. Nicht auszudenken, wenn aber mal eine erfundene Negativ-Meldung die Runde macht. Ausgerechnet der Selbstmordversuch von Rafati und der Druck der Öffentlichkeit sollten besonders die Medien – aber auch die Leser – sensibilisieren. Denn Rafati selbst weiß am besten: „Depressionen sind immer noch ein großes Tabu im Fußball."

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