Nick Kyrgios und das Problem mit sich selbst
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Australian Open

Nick Kyrgios und das Problem mit sich selbst

In der zweiten Runde der Australien Open verschenkte Kyrgios den Sieg und wurde mit Buhrufen vom Platz gejagt. Das exzentrische Supertalent ist einer der destruktivsten Charaktere der Tennis-Welt.

Jedes Spiel eine neue Frise, dicker Brillant im Ohr und ein Tattoo auf dem Unterarm. Klingt nach einem durchschnittlichen Fußballspieler, ist aber Nick Kyrgios, Australiens größtes Tennis-Talent, das momentan allerdings auf dem besten Weg ist, niemals über diesen Status hinauszukommen. Bei seinem Heimspiel, den Australian Open, ist Kyrgios kürzlich ausgeschieden. Das Besondere: Die eigenen Fans verabschiedeten ihn nach seiner Niederlage mit Buhrufen.

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Der in Canberra geborene Sohn eines Griechen und einer halb-malaysischen Mutter polarisiert. Wikipedia widmet Kyrgios gar ein eigenes Kapitel „Verhalten auf dem Platz", das allerdings alles andere als vollständig ist. Deshalb hier in aller Ausführlichkeit.

Gegenspieler Stan Wawrinka flüsterte er laut und deutlich „Kokkinakis banged your girlfriend" ins Ohr, einen Referee fragte er, ob er sich „mächtig und stark" in seinem Hochsitz fühle, und er schaffte es, gleich drei Tennisschläger in wenigen Sekunden zu zerschmettern. Auf Youtube finden sich bereits jetzt zahlreiche Best-Of Compilations zu Kyrgios' Ausrastern. Zur Erinnerung: Der Junge geht gerade erst in seine fünfte Profi-Saison. Nicht gerade die beste Eigenwerbung.

Nun ist die Nummer 13 der Welt also mal wieder bei einem großen Turnier ausgeschieden. In der zweiten Runde. Nach einer 2:0-Satzführung. Gegen den um 76 Ränge schlechter platzierten Italiener Andreas Seppi.

Und erneut beschleicht einen das Gefühl, Kyrgios stand sich dabei selbst im Weg. Auf eine Verwarnung wegen lautstarken Fluchens folgte der erste Satzverlust. Im Anschluss zelebrierte er das obligatorische Schläger-Zertrümmern, woraufhin Kyrgios mit einer 0:15-Rückstand-Strafe in den nächsten Satz ging. 2:2-Ausgleich. Mit zwei dummen Aktionen hatte sich das Wahnsinnstalent um seinen Lohn gebracht. Dass er die Partie nicht mehr würde drehen können, war zu diesem Zeitpunkt längst klar. Wie sehr er das Spiel bereits abgehakt hatte, zeigt besonders eine Szene. Bei Satzrückstand retourniert er lässig zwischen seinen Beinen hindurch. Geiler Trick-Shot, aber in dieser Situation ziemlich unangebracht.

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Erschreckend deutlich zeigen die Match-Highlights die zwei Seiten des Bad Boys. Hier das Jahrhunderttalent, da der lustlose und zickige Teenager. Kyrgios scheint auch mit 21 noch in seiner Trotz- und Kein-Bock-Phase zu stecken. Besonders pikant: Kyrgios wurde wegen eines Lustlos-Auftritts erst kürzlich für drei Wochen gesperrt.

Die Wut seiner Fans ist verständlich. Jeder, der sich für Tennis begeistert, weiß, dass man auch als Zuschauer am nächsten Tag Muskelkater in der Schlaghand haben kann. Arbeitsverweigerung auf dem Platz kommt da nicht sonderlich gut an. Die Pfiffe und Buhrufe waren verständlich. Das tut allein beim Zusehen weh, auch aus 15.972 Kilometer Entfernung. Wie weh es einem 21-jährigen Sportler tun muss, kann man sich nicht vorstellen.

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Schimpft mich Küchenpsychologe, aber wie jeder Mensch dieses Planeten auch, sehnt sich Nick Kyrgios wahrscheinlich nur nach Liebe und Zuneigung. Und ist dabei in einem Teufelskreis gefangen. Klassischer Fall von „harte Schale–weicher Kern". Er verschanzt sich hinter der coolen Bad-Boy-Fassade und das Publikum interpretiert das als Teilnahmslosigkeit. Wie groß die Verunsicherung und Gleichgültigkeit beim jungen Profi ist, zeigte die Pressekonferenz im Anschluss der Partie.

Selbstkritik suchte man bei Kyrgios vergebens, stattdessen wurde Tennislegende John McEnroe scharf angegangen. Dieser hatte Kyrgios vorgeworfen, nicht alles gegeben zu haben. Kyrgios' Reaktion: „McEnroe? John McEnroe? Schön für ihn, tolle Karriere, wirklich schön für ihn."

Ob er Schmerzen gehabt hätte, wurde er gefragt. „Fragen Sie John McEnroe. Er weiß alles", lautete die Antwort.

Für ein weiteres Negativ-Highlight sorgte ein italienischer Journalist, der nach dem Grund für Kyrgios' Lustlos-Aufritt in den Sätzen drei und vier fragte: „Verzeihen Sie mir, was genau ist passiert? Sie lagen zwei Sätze, 3:2 und 15:0 in Führung, als Seppi einen Stoppball spielte, den Sie nicht erreichen konnten. Sie machen den Fehler und schreien den Referee an, der Ihnen eine Verwarnung gibt. Im Anschluss war es nicht mehr das gleiche Spiel. Was ist passiert? Warum sind Sie so ausgeflippt?"

Die schlichte Antwort: „Ich weiß es nicht"–natürlich inklusive verdrehter Augen.

Kyrgios hat ein Problem. Er ist ein exzentrisches Genie in einem weichgespülten Sport. Tennis lebt von seiner ewigen Tradition. Von Höflichkeitsformeln, Floskeln und Dresscodes. Nick Kyrgios sucht noch nach seinem Platz in diesem Anstandszirkus. Und das übrigens ohne Trainer—als einziger Top100-Spieler. Mit einem erfahrenen Coach an seiner Seite könnte es vielleicht gelingen, die Karriere des Youngsters endlich zum Positiven zu wenden.