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Gesundheit

Wie es sich anfühlt, jedes Mal ohnmächtig zu werden wenn man lacht

Wir haben mit Frauen gesprochen, die unter sogenannten kataplektischen Attacken leiden—das heißt, dass starke Emotionen wie Lachen oder Wut dazu führen, dass sie einfach einschlafen.
Photo by BONNINSTUDIO via Stocksy

Schlaf ist für Alina Moser kein leichtes Thema. Während es für die meisten Menschen undenkbar wäre, nach einem guten Lacher einfach einzuschlafen, ist das für die 21-Jährige Alltag. Sie leidet an einer seltenen Störung, bei der starke Emotionen dazu führen können, dass sie einfach wegnickt.

„Mit 16 habe ich mit meiner Zimmergenossin Julia in einer Jugendherberge übernachtet. Wir saßen auf dem Bett in unserem Zimmer und haben gelacht und von einem Moment auf den anderen bin ich plötzlich zusammengesackt. Ich lag da, ohne mich zu bewegen, aber innerlich habe ich noch immer gelacht. Es hat ganze 45 Minuten gedauert, bis es wieder vorbei war."

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Viele von uns kennen Narkolepsie aus Dr. House oder irgendeiner anderen 08/15-Krankenhausserie. Dabei handelt es sich um eine neurologische Störung, bei der das Gehirn Probleme hat, den normalen Schlaf-Wach-Rhythmus zu regulieren. In Deutschland wird die Zahl der Betroffenen auf ungefähr 40.000 geschätzt. Das heißt, Narkolepsie ist generell eine sehr seltene Erkrankung.

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Moser gehört zu den Betroffenen, die zusätzlich unter einem Symptom namens Kataplexie leiden. Dabei verlieren die Betroffenen—ausgelöst durch starke Emotionen wie Lachen, Wut oder Überraschung—innerhalb von Sekunden vollständig die Kontrolle über ihre Muskeln, ihr Kopf fällt nach hinten und sie fallen innerhalb von Minuten in eine Tiefschlafphase. Es wird angenommen, dass 70 Prozent der Narkolepsiepatienten unter solchen sogenannten kataplektischen Attacken leiden. Das kann so schlimm sein, dass manche Betroffenen anfangen, soziale Situationen komplett zu meiden.

Menschen, bei denen die Narkolepsie weniger stark ausgeprägt ist, leiden häufig unter einer schwer gestörten Nachtruhe und einer ausgeprägten Tagesschläfrigkeit, wenn ihre Erkrankung nicht behandelt wird. Das macht die Störung aber auf keinen Fall einfacher oder erträglicher. Viele Betroffene berichten von nächtlichen Lähmungserscheinungen und chronischen Muskelschmerzen.

Kataplexie kann darüber hinaus auch ausgesprochen gefährlich werden. In Online-Foren findet man unzählige Betroffener, die vor ihrer Diagnose aufgrund der Attacken in lebensbedrohliche Situationen geraten sind, beispielsweise beim Tauchen.

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Da ein unregelmäßiger Schlafrhythmus meist auf Veränderungen des Lebensstils, Stress oder—wie in Mosers Fall—das klassische Verhalten eines Teeangers zurückgeführt wird, wird die Störung in vielen Fällen lange Zeit fehldiagnostiziert. Viele der Frauen, mit denen ich gesprochen habe, haben erzählt, dass es schwierig war, jemanden zu finden, der ihnen Glauben geschenkt hat. Eine Betroffene hat erzählt, ihr Arzt hätte sie einfach als „sehr müde Person" bezeichnet. Moser hatte Glück und hat die Diagnose bereits innerhalb eines Jahres bekommen. Bei der 27-jährigen Charlie* war es dagegen ein Martyrium, das 14 Jahre lang gedauert hat.

Die Verwaltungsangestellte aus London sagt, die Ärzte hätten ihre Beschwerden konsequent abgetan. „Ich wurde von so vielen Fachärzten einfach weggeschickt. Sie haben sich geweigert, Tests durchzuführen oder haben mir Medikamente gegeben, die einfach nicht wirkten."

Charlie hat beschlossen, einfach mit ihrer Erkrankung leben zu lernen. Obwohl sie versucht hat, ihr Leben so normal wie möglich weiterzuführen, sagt sie, hat sie 13 Jahre ihres Lebens verloren, die ihr niemand jemals wieder zurückgeben kann. „Ich konnte keine weiten Strecken fahren und es fiel mir schwer, arbeiten zu gehen." Erst nachdem sie Mutter geworden ist und Angst bekommen hat, dass ihr dreijähriges Kind, während einer ihrer kataplektischen Attacken unbeaufsichtigt sein könnte, hat sie einen erneuten Anlauf genommen, um herauszufinden, was ihr fehlte. Erst vor ungefähr einem Jahr hat sie sich dann in der Schlafklinik, in der sie arbeitet, eine zweite Meinung eingeholt. Seither lebt Charlie mit der korrekten Diagnose.

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Foto: Ethan Hickerson | Flickr | CC BY 2.0

Doch warum gibt es nur so wenige Menschen, die an dieser mysteriösen Krankheit leiden? Broadly hat mit Dr. Emmanuel Mignot gesprochen, dem weltweit führenden Experten für Narkolepsie.

Der Schlafforscher sagt, dass die Antwort in unseren Genen liegt: „Zuallererst braucht man den entsprechende genetischen Grundplan, insbesondere was die Gene betrifft, die das Immunsystem regulieren. Am Wichtigsten ist dabei ein Gen namens HLA."

Dr. Mignot sagt auch, dass Umweltfaktoren einen wichtigen Einfluss auf die genetische Prädisposition haben. Er vermutet, dass Betroffene in der Kindheit bestimmten Infektionen ausgesetzt gewesen sein könnten, die den Ausbruch der Krankheit getriggert haben könnten. „Manchen Menschen", sagt er, „verpasst eine Grippeinfektion den letzten Stoß."

Nachdem Studien zeigen konnten, dass es eine mögliche Verbindung zwischen dem Grippeimpfstoff Pandemrix und Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen geben könnte, haben Forscher eingeräumt, dass die Erkrankung durch die Impfung ausgelöst werden könnte.

Wie hängt das Ganze zusammen? Kurz gesagt: Statt die Grippeviren zu bekämpfen, greift das Immunsystem Gehirnzellen an, die Hypocretin produzieren—ein proteinähnliches Molekül, das dem Gehirn dabei hilft, den Wachszustand zu regulieren. Der Schlafforscher sagt: „Wenn diese Zellen erst einmal versehentlich abgetötet wurden, hat man ein Leben lang Narkolepsie."

Heißt das, das die Betroffenen dazu verdammt sind, jedes Mal wegzunicken, wenn sie sich Stand-up-Comedy ansehen? Nicht ganz, sagt Dr. Mignot, der darauf beharrt, dass sich die Störung durch die richtigen Medikamente und gewisse Veränderungen des Lebensstils behandeln lässt. Hierzu gehören unter anderem „ein fester Schlafplan, Medikamente, die die Nachtruhe verbessern, geplante Wachphasen am Tag mithilfe von Aufputschmitteln, Medikamente, die die Tiefschlafphase unterdrücken sowie Antidepressiva gegen die Kataplexie."

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„In schweren Fällen von Kataplexie ist [das Narkolepsiemedikament] Xyrem am effektivsten und normalisiert das Leben der Betroffenen fast vollständig (zu 80 Prozent)." Xyrem ist aber kein Patentrezept für alle Betroffenen. Gerade weil die Störung so selten ist, gibt es auch nur eine geringe Zahl an Medikamenten und zugelassenen Therapien, die im Wesentlichen meist auch nur helfen können, die einzelnen Symptome der Narkolepsie zu lindern.

Foto: mrhayata | Flickr | CC BY-SA 2.0

Auch für Jenny Jenkins, die ihre Diagnose Mitte 30 bekommen, war Xyrem keine Option. Sie kämpft nach wie vor damit, die passenden Medikamente zu finden, was gleichzeitig auch bedeutet, dass sie darum kämpft, ein Stück Lebensqualität zurück zu bekommen. „Ich habe noch immer keine Zauberpille gefunden. Im Moment nehme ich 21 Tabletten am Tag und eine, um die Nebenwirkungen zu lindern. Das stoppt meine Kataplexie aber noch immer nicht ganz."

In einer Zeit, in der es eine technische Lösung für nahezu jedes Problem zu geben scheint, kann es für Betroffene äußerst frustrierend sein zu wissen, dass es keine Pille gibt, mit der sie sich anschließend deutlich besser fühlen würden.

Da die Betroffene in den meisten Fällen an zu Hause gebunden und extrem abhängig von ihren Familien sind, wird meist nicht sichtbar, welche psychologischen Auswirkungen die Erkrankung hat. Jenkins Diagnose hatte für sie zur Folge, dass sie ihren Führerschein abgeben und vorzeitig in Rente gehen musste. „Ich kann so vieles, was ich sonst für selbstverständlich gehalten habe, nicht mehr machen. Ich kann nicht mehr einkaufen gehen, lerne keine neuen Leute mehr kennen und kann mich nicht mit Freunden treffen, ohne dass ich einschlafe. Ich kann mit meiner Erkrankung einfach kein normales Leben mehr führen."

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Charlie muss zwar zugeben, dass ihre Kataplexie nicht so schlimm ist wie bei anderen, doch der andauernde Druck, starke Emotionen zu meiden, hat auch zur Folge, dass sie sich sozial stark isoliert. „Wenn ich mit jemandem spreche, kann meine Erkrankung durch alles mögliche getriggert werden. Mir ist das schon fast überall passiert—mit Freunden in der Schule, bei der Arbeit und sogar in der Kneipe."

Viele Menschen denken infolgedessen sogar über Selbstmord nach. Es gibt unzählige Online-Foren, in denen sich Narkolepsiepatienten über ihren Kampf gegen schwere Suizidgedanken austauschen. Im Juli 2015 hat sich die 23-jährige Kindergärtnerin Katie Clack aus dem englischen Peterborough das Leben genommen, weil ihre Erkrankung „unerträglich" wurde.

Allein mit anderen über seine Erkrankung zu sprechen, kann für Betroffene äußerst schwierig sein. Die meisten Frauen, mit denen ich gesprochen habe, wollten lieber anonym bleiben—einfach nur, weil sie nicht mit der Störung in Verbindung gebracht werden wollten. Darüber hinaus kommt es überaus häufig vor, dass Außenstehende davon ausgehen, man könnte die Störung kontrollieren.

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Lauren Flygare, die Gründerin von Project Sleep, einer gemeinnützigen Organisation für Schlafstörungen, schreibt einen Blog darüber, was es heißt, mit einer Flut nutzloser Vorschläge konfrontiert zu werden, wenn man mit anderen über seine Erkrankung spricht. Yoga und Beten mögen für manche Menschen vielleicht beruhigend wirken, sind aber ganz sicher kein Heilmittel. „Wenn jemand ein Loch im Zahn hat, kann man es dann wegbeten?", fragt sie. „Wenn Leute davon ausgehen, dass es eine einfache Lösung gibt, sagen sie im Prinzip, dass es an mir liegt meine Narkolepsie zu kontrollieren und im Grunde meine eigene Schuld ist. Das führt nur dazu, dass ich mich schäme und schuldig fühle."

Es scheint aber viele Leute zu geben, die so denken. Da die Störung nicht sichtbar ist, werden die schwerwiegenden Probleme der Betroffenen oftmals abgetan. Tatsächlich gilt Narkolepsie in Deutschland im medizinischen und im juristischen Sinne als Behinderung, wodurch Betroffene auch den entsprechenden Anspruch auf Hilfen und gesetzlichen geregelte Leistungen haben. Es wird aber auch davor gewarnt, sich zu viel davon zu erwarten. Obwohl Moser die Hoffnung auf ein Heilmittel für alle Betroffenen aufgegeben hat, versucht sie, ihr Leben nicht allzu sehr von der Krankheit bestimmen zu lassen: „Ich habe zwar Narkolepsie, aber Narkolepsie hat nicht mich."


*Name wurde geändert.

Foto: unsplash.com | CC0