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Interview

Wie es ist, als Unschuldiger zum Tode verurteilt zu werden

"Du hast niemals die volle Kontrolle über dein Leben oder deine Freiheit – auch wenn du unschuldig bist."

Foto: YouTube-Screenshot

1997 verurteilte man den damals 23-jährigen Damon Thibodeaux zum Tode, nachdem er schuldig gesprochen worden war, seine Stiefcousine vergewaltigt und ermordet zu haben. Dabei hatte der junge Mann diese Verbrechen nie begangen. Er wurde Opfer einer fälschlichen Zeugenaussage, später man hat ihn zu einem Geständnis gezwungen. Tatsächliche Sachbeweise gab es keine.

Thibodeaux versauerte zehn Jahre in einer Todeszelle, bis sein Fall neu aufgerollt wurde. Mit der Unterstützung von Innocence Project, einer Non-Profit-Organisation zur Aufklärung von Justizirrtümern, wurden die Widersprüche in der Zeugenaussage und im Geständnis aufgedeckt. Außerdem befand sich einer DNA-Untersuchung zufolge kein Blut von Thibodeaux auf der Tatwaffe, mehrere Forensik-Experten kamen zu dem Schluss, dass es keinen sexuellen Übergriff gegeben hatte. So kam der unschuldig verurteilte US-Amerikaner im Jahr 2012 wieder auf freien Fuß – nach 16 Jahren Haft.

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Wir haben uns mit Thibodeaux über Unschuld, Hoffnung und sein alles veränderndes Martyrium unterhalten.

VICE: Hat irgendjemand aus deinem sozialen Umfeld deine Unschuld bezweifelt?
Damon Thibodeaux: Nein, alle haben mich unterstützt und das hat mir Kraft gegeben. Es gab jedoch auch eine Zeit, in der ich nicht mehr in Berufung gehen, sondern die Strafe einfach akzeptieren wollte. Ich hatte nämlich keine Lust mehr darauf, wie ein Tier im Käfig zu leben, und damals sah ich auch keine Möglichkeit mehr, meine Unschuld zu beweisen.

Gab es Momente, in denen du selbst an deiner Unschuld gezweifelt hast?
Nein, die gab es nie. Ich wusste immer, dass ich diese Verbrechen nicht begangen hatte. Die Leute, die mich kennen, wussten das ebenfalls.

Hast du je gedacht, dass man dich auf jeden Fall fälschlicherweise hinrichtet? Falls ja, wie hat dich das verändert?
Einmal ging ich wirklich davon aus, bald zu sterben. Ich hätte niemals gedacht, dass ich irgendwann mal für Verbrechen im Gefängnis – oder gar in der Todeszelle – lande, die ich nicht begangen habe. So wurde ich mir meiner eigenen Sterblichkeit bewusst.

Hat sich diese ganze Sache auf deine Religiosität oder deinen Glauben ausgewirkt?
Ich glaube an Gott. Ein Todesurteil verändert dich spirituell. Egal an was du glaubst, dir wird viel bewusster, dass da irgendjemand oder irgendetwas anderes die Kontrolle hat.


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Wie haben die Gefängnisinsassen und -aufseher darauf reagiert, dass du auf deine Unschuld gepocht hast? Und glaubst du, dass andere Häftlinge ebenfalls zu Unrecht verurteilt worden waren?
Ich glaube tatsächlich, dass andere Todeszellen- und Gefängnisinsassen unschuldig sind. Für eine solche Annahme muss man sich nicht mal wirklich intensiv mit den einzelnen Fällen beschäftigen. Mir haben auch ein oder zwei Aufseher gesagt, dass ich da weder hingehörte noch reinpasste.

Wie haben die anderen Insassen reagiert, als sich das Innocence Project eingeschaltet hat und sich für dich die Chance auf einen Freispruch ergab?
Als sich das Innocence Project meines Falls annahm, hielt ich das zuerst noch für reine Routine. Als die Nachforschungen dann immer weiter fortschritten, hoffte ich mit der Zeit immer stärker, wirklich wieder freizukommen. Die anderen Insassen unterstützten mich zwar, aber natürlich hätte da drin jeder gerne die Rechtsvertretung gehabt, die ich bekam.

Konntest du aus dieser schrecklichen Erfahrung irgendetwas Positives mitnehmen?
Das einzige Positive einer solchen Erfahrung ist, dass sie dich stärker macht. Sie verdeutlicht dir noch mal, dass du niemals die volle Kontrolle über dein Leben oder deine Freiheit hast – auch wenn du unschuldig bist.

Wie denkst du heute über die Todesstrafe?
Früher habe ich die Todesstrafe bei bestimmten Verbrechen noch gutgeheißen. Nachdem ich jedoch 15 Jahre lang unschuldig in einer Todeszelle saß, weiß ich nun, dass wir diese Strafe nicht fair und auch nicht eindeutig aussprechen können. Ich bin außerdem der Meinung, dass wir nicht so einfach über den Tod eines anderen Menschen entscheiden dürfen. In der heutigen Gesellschaft besitzen wir die Mittel, Verbrecher auch anders adäquat zu bestrafen. Wenn Rachegedanken Überhand nehmen, gibt es keine Gerechtigkeit mehr. Manche Leute treffen schlimme Entscheidungen. Wie wir auf diese Entscheidungen reagieren, zeigt dann unser wahres Gesicht als Gesellschaft.

Hat dich die Regierung für ihren Fehler und deine verlorene Lebenszeit entschädigt?
Nein. Ich weiß auch nicht, ob das jemals passieren wird. Was mir genommen wurde, können sie mir sowieso nicht zurückgeben. Die Regierung gesteht sich ihre eigenen Fehler nur sehr spät ein. Bestrafen kann sie allerdings sehr schnell – auch ohne alle Fakten zu haben.

Was ist dir beim Wiedereintritt ins normale Leben am schwersten gefallen? Und was hast du durch deine Inhaftierung alles verpasst?
Als ich endlich wieder auf freiem Fuß war, hatte ich die größten Probleme damit, mit anderen Menschen zu interagieren. In der Todeszelle hast du ja kein Sozialleben. Dort musst du dich emotional abschotten. In einer Beziehung zu leben, war daher jeden Tag eine neue Herausforderung.

Ich habe verpasst, wie mein Sohn groß wurde und wie Verwandte auf die Welt kamen oder starben. Ich konnte den Teil meines Lebens nicht nutzen, in dem man potenziell am besten verdient. Wenn ich keine finanzielle Kompensation zugesprochen bekomme, dann werde ich den Rest meines Lebens arbeiten müssen.

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