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Interview

​CID RIM: „Die neuen Think Tanks der Pop-Industrie kommen aus dem Underground"

CID RIM sprach mit uns über seine musikalische Entwicklung und die pulsierende Wiener Musikszene.

Die eklektische Musikszene Wiens hat sich zu einer der spannendsten Keimzellen des weltweiten Untergrunds entwickelt und macht ihren Einfluss mittlerweile auch auf die Popkultur geltend. Bilderbuch flirten mit dem Mainstream, die Beat-Szene streckt ihre Fühler aus, übers Internet bis in die Royal Albert Hall und die Majors beobachten alle das kreative Treiben der Kaffehaus-Stadt, in der Up- und Downbeat in ständiger Wechselwirkung stehen, mit offenen Mündern – und meist unbeteiligt.

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Das Affine-Camp um die Schulfreunde The Clonious, Dorian Concept und Cid Rim kommentiert die hyperaktiven Auswüchse und den BPM-Drang der Future-Bass-Szene mit atmosphärischen Synthflächen und beängstigender Quality Control. Cid Rim zählt seit 2013 zu Hudson Mohawkes Lucky Me-Kollektiv und, neben Kanye und Lagerfeld, zu den Designern von Theophilus Londons letztem Album Vibe. Wenn der Free-Jazz-Drummer nicht am Schlagzeug sitzt, schraubt er an experimentellem Prog-Rap mit dem südafrikanischen Hyperdub-Künstler OKMALUMKOOLKAT oder veröffentlicht als Solo-Künstler futuristische Instrumental-Musik. Jetzt erscheint über Affine Records seine Doppel-Single „Charge/Kano". Wir sprachen mit dem österreichischen Produzenten über seinen Zugang zu elektronischer Musik als Schlagzeuger.

Thump: Du bist momentan mit Dorian Concept und The Clonious als Dorian Concept Trio live unterwegs. Ihr drei wart gemeinsam auf der Schule, musiziert seit 15 Jahren und teilt eine ästhethische Vision und musikalische Sozialisation. Wie blind versteht ihr euch beim Spielen?

Cid Rim: Ohne Schmäh, wir schauen uns nicht mal mehr in die Augen auf der Bühne, so blind ist das Verständnis. Nur wenn jemand ganz offensichtlich einen Fehler macht, wird kurz gegrinst.

Lass uns kurz über die Joined Ends-Platte reden: Dorian geht da musikalisch nochmal einen Schritt weiter und hat alles selbst eingespielt. Wie siehst du den Impact des Albums?

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Schön, dass du das auch so siehst. Zum einen ist es absolut fantastische Musik – jede Nummer für sich und das Album als Ganzes ist ein Statement. Alle anderen Produzenten – und ich glaube das kann man so hart sagen - biedern sich dem Mainstream an. Der Traumjob eines 20-jährigen Produzenten heutzutage, ist es doch, für Kanye oder Ariana Grande zu produzieren. Aus dem Underground und der Subkultur wurden in den letzten jahren die Think Tanks der neuen Pop Industrie. Olivers Album ist da ein mutmachender Gegenentwurf einer musikalischen Karriere. Ich denke, die gesamte Beat-Szene hat einen großen Einfluss auf die popkulturellen Entwicklungen.

Du bist in erster Linie Schlagzeuger, Free-Jazzer. Hast du dadurch einen anderen Zugang, eine andere Herangehensweise Musik zu machen und zu komponieren?

Ich hab wahrscheinlich den für Schlagzeuger untypischsten Zugang überhaupt. Ich beginne eine Produktion nämlich nie mit dem Beat, sondern gehe wie ein klassischer Songwriter vor: Ich suche eine Akkordfolge, dann eine zweite, die dazupasst und eine Lead-Melodieline.

Dann erst setze ich mich an den Rechner. Das rhythmische Wissen als Schlagzeuger hilft sehr, ist aber meiner Meinung nach nicht essentiell.

Samplest du auch Drums, oder legst du Wert darauf, alles einzuspielen?

Ich komme voll aus der End-90er-Samplezeit. Als ich 15 war, war es das Größte einen neuen Funkbreak zu entdecken. Ich hab Jahre lang Musik aus ausschließlich selbst gesampletem Material gemacht. Von der Datenbank zehre ich immer noch.

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Es gibt ja gerade eine Crowdfunding-Kampagne, die Richard Spencer, den Drummer des »Amen«-Break, entschädigen soll. Welche Drumbreaks würdest du als lebensverändernd bezeichnen?

Aufgrund der Tragweite, die das Ganze bekommen hat und weil so unglaubliche und einzigartige Sachen daraus entstanden sind, würde ich auch den »Amen«-Break nennen.

Du hast auf Twitter die Bedeutung von »Voicings« für deine Produktionsweise herausgestellt. Nimmst du auch deine Stimme auch und entfremdest sie, wie das deine Label-Kollegen Dorian Concept und Wandl machen?

Um das klarzustellen: Voicing nennt man die Umkehrung eines Akkords. Sprich: C-Dur ist C E G und jenachdem, wo die Töne dann am Klavier oder einem anderen Instrument gespielt werden, ist es das spezielle Voicing. Ich singe sporadisch und nutze das auch nur als Instrumenten-Ersatz. Das heißt, ich singe einen Ton ein und mach dann mit dem Sample was ich will. Ich sample quasi meine eigene Stimme. Aber ich stehe nicht in der Vocal Booth, bis ich den perfekten Take habe. Das geschieht eher schnell und räudig. Wandl macht das super, das ist ja schon fast klassischer Lead-Gesang. Der fühlt sich von uns noch am wohlsten mit Mic auf der Bühne. Mein größtes Gesangereignis war „Ganz Wien" vom Falco, das wir mit einer Coverband spielten. Ich saß mit ausgedrucktem Text auf der Snare am Schlagzeug und habe gleichzeitg gesungen. Dafür musste ich mir aber ordentlich Mut antrinken.

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War für dich als Drummer die Beat-Bewegung um die Jahrtausendwende besonders interessant?

Rap war für mich davor schon spannend. HipHop – vor allem samplelastige Geschichten aus den 90ern – war das erste was ich mir auf Platte gekauft habe. Und die Beat-Szene hat es dann nochmal attraktiver für mich gemacht. Ich hing damals mit dem einzigen Schlagzeuger in Wien rum, der wusste, wer Flying Lotus ist. Wir haben uns regelmäßig ausgetauscht und versucht, unsere „verhadschten" Beats besser zu machen. Die ganze Bewegung nahm dann ziemlich schnell eine krasse Entwicklungen und wir wurden Teil davon. Paul (The Clonious, Anm. d. Red.) lernte auf der Red Bull Music Academy Hudson Mohawke kennen – und wir kannten die Promoter, die ihn zuerst nach Wien holten. So kam die Connection zu Lucky Me zustande.

Welchen Einfluss hatten die musikalischen Entwicklungen im Wien der 90er-Jahre auf dich? Die „Kaffehousemusiker" Kruder & Dorfmeister experimentierten mit Dub, Patrick Pulsinger mit Techno.

Ich bin Jahrgang 1985 und habe das alles mitbekommen. Ich erinnere mich noch – da muss ich in 14 gewesen sein – als sich meine Schwester das Doppelalbum „K&D Sessions« gekauft hat. Ich habe die Platte geliebt und unglaublich lange gehört. Das war dann auch die Zeit, in der das Ausgehen, aber auch Marihuana interessanter wurde. Und das war mein perfekter Soundtrack dazu. Pulsinger hatte ich damals noch nicht auf dem Radar. Ich habe den Anschluss, bzw. den Gefallen an der 4/4 Bass Drum erst sehr spät gefunden. Zu der Zeit war das musikalisch so ein bisschen der Antichrist – also die 4/4 Bass Drum, nicht der Pulsinger. (lacht) Den hätte ich gerne viel früher kennen gelernt.

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Was war dann dein Eyeopener-Moment, der elektronische Musik für dich zugänglich gemacht hat?

Also was ich direkt super fand, war das „Homework"-Album von Daft Punk. Aber dann hat es nochmal ewig gedauert. Über Samples und deepere Sachen bin ich dann eher reingekommen. Wie man sich halt entwickelt, wenn man mit A Tribe Called Quest aufwächst sich später Busdriver, Anticon reinzieht und über Glitch-Hop irgendwann auf Motor City Drum Ensemble und James Holden kommt.

Du hast dir als Remixer einen Namen gemacht und mit Cid Rim ein Solo-Album veröffentlicht, machst aber nicht den Eindruck eines Soundcloud-Produzenten. Wie stehst du zu Remix-Auftragsarbeiten: Fluch oder Segen?

Das stimmt, ich bin da eher sporadisch aktiv und jetzt wo du mich daran erinnerst, sollte ich mal wieder meine Nachrichten checken. Ich empfinde Remixe an sich gar nicht als Fluch. Das Einzige, was mich stört, ist, dass ich nie genug Zeit dafür habe. Ich sehe einen Remix aber auch als eigenständiges Mini-One-Track-Release an, bei denen immer alles erlaubt ist und ich mit den Spuren machen kann, was ich will.

In einem DJ-Set für die Red Bull Music Academy, aus der Wien Pratersauna von 2010, legst du Rockbands wie Free und Jimi Hendrix auf und mischst sie in Major Lazer. Woher kommt dein Bezug zu Rock-Musik?

Das war damals mein Partymove, dieser Übergang. Super, oder? (lacht) 70er-Rock ist eh das beste und superwichtig für meine musikalische Entwicklung. Mein Vater hat in einer Art Jazz-Rock Band gespielt, als er jünger war. Großer Fan von Blood Sweat and Tears war er auch. Ich denke, das hat meine Sozialisation stark geprägt und ich hatte recht früh schon Bezugspunkte zu der Musik. Den Rest hab ich mir dann so selbst zusammen gesucht und zu eigen gemacht.

Hört hier die Premiere zu „Kano" von Cid Rim: