Berlin trauert nicht mit Rechten

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Berlin trauert nicht mit Rechten

Am Mittwochabend versuchten gleich zwei rechte Demos, die Toten vom Breitscheidplatz für ihre Zwecke zu nutzen. Erfolg- und anstandslos.

Getragene Arien aus der Matthäus-Passion hallen am Mittwochabend über den Platz gegenüber des Kanzleramts. Im Rahmen ihres offenbar regelmäßig stattfindenden Merkel-muss-weg-Mittwochs (wir haben uns das nicht ausgedacht) hatte die AfD zusammen mit einer rechten Bürgerinitiative zu einer Mahnwache anlässlich des Terroranschlags am Montagabend geladen.

Alexander Gauland und Björn Höcke zeigen sich betroffen und im Scheinwerferlicht | Alle Fotos: Grey Hutton

Hohe Parteiprominenz war vor Ort: Björn Höcke und Alexander Gauland—und selbst der Vordenker der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, war anwesend. Dazu gesellten sich rund 250 Menschen in einem mit Hamburger Gittern abgesperrten Areal inklusive der Transparente, die man letztens noch bei Pegida dabei hatte. Dabei sollte still getrauert werden. In diesem Fall bedeutete das eine von Scheinwerfern angestrahlte Reihe von betroffen schauenden AfD-Größen, mit dem Kanzleramt im Hintergrund und im Blitzlichtgewitter der internationalen Presse.

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Beten gegen Merkel—nur bei der AfD

Außer einem Organisator sprach dann tatsächlich nur der evangelische Pfarrer Thomas Wawerka, dem im Sommer sein Pfarramt wegen allzu großer Nähe zu den sogenannten "Asylkritikern" entzogen wurde. Wawerka zitierte zunächst den von Nazis ermordeten Dietrich Bonhoeffer. Wenn Unschuldige angegriffen würden, solle man nicht die "andere Wange hinhalten", sondern "auch wir als Christen (hätten) das Recht auf Widerstand". Bonhoeffer bezog sich auf Adolf Hitler und die Nazis. Wawerka auf Angela Merkel und die Flüchtlinge. Natürlich war auch das noch nicht genug: Es folgte das Vater Unser.

Mit Herzen gegen Hass

Sehr viel mehr Menschen fanden sich am Bahnhof Bahnhof Zoo ein, wo die NPD zu einem "Trauermarsch" aufgerufen hatte. Die Mehrheit allerdings auf der Seite der Gegendemonstranten. Etwa 130 Neonazis standen gut 800 Menschen gegenüber, die den Trauermarsch auch schlußendlich verhinderten. Im Schein der Neonreklame von Geldwechselstuben und neben geschlossenen Dunkin'-Donuts-Sonnenschirmen blieb den Neonazis also scheinbar nichts anderes übrig, als "Stille Nacht, heilige Nacht" zu singen. In Redebeiträgen setzte man sich auch mit der AfD-Mahnwache auseinander. Während ein Sprecher sagte, dass es genug Mahnwachen gegeben hätte und jetzt Zeit für Aktionen sei, bezeichnete sich eine Rednerin als großen Fan von Björn Höcke und rief dazu auf, dass "alle Patrioten zusammenstehen".

Ansonsten wünschte in Sichtweite des Ortes, an dem zwei Tage vorher 12 Menschen ermordet und 48 zum Teil schwer verletzt wurden, ein NPD-Redner den Kindern der Polizisten, die die Demo abschirmten und den Gegendemonstranten, dass auch sie Opfer eine Anschlags werden. So sieht Pietät und Trauer in der Welt der Neonazis aus.

Stilvoll bis zuletzt. Die NPD-Demonstranten ziehen erfolglos ab

Der Plan der rechten Gruppen von AfD und Bürgerinitiativen bis hin zu Neonazis und NPD, den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt für die eigenen Zwecke zu nutzen und Angst und Misstrauen in der Gesellschaft zu säen—eine Taktik, die der der Terroristen gleicht—, scheint bisher nicht aufzugehen. Egal wie sehr Höcke, Gauland und Konsorten Betroffenheit simulieren, die Menschen, die von ihnen so gerne als "Volk" bezeichnet werden, nehmen ihnen das nicht ab.

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