Wie wir Angstbürger weniger ängstlich machen
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besorgte Bürger

Wie wir Angstbürger weniger ängstlich machen

"Besorgte Bürger" und "Asylkritiker" gelten als dumm, unvernünftig und rassistisch. Sie auszulachen oder zu beschimpfen, hilft aber nicht. Eine verhaltensökonomische Erklärung.

Schon mal versucht, einen Menschen mit Flugangst davon zu überzeugen, wie unbegründet seine Angst eigentlich ist? Ein Blick in die Verkehrsstatistik sollte genügen. Wahrscheinlichkeit, durch einen Flugzeugabsturz im Luftraum der USA oder Europa zu sterben: 1 zu 29 Millionen. Wahrscheinlichkeit eines Sechsers im Lotto: 1 zu 15 Millionen, also fast doppelt so hoch. Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Fahrradunfalls: 1 zu 340 000. Dennoch: Wer auch immer Angst vorm Fliegen hat, dürfte sich von diesen Zahlen kaum beeindrucken lassen und dadurch seine Angst ablegen. Viele Ängste sind nicht rational begründbar und lassen sich entsprechend nicht durch rationale Argumente beseitigen. Die Angst vor Ausländern ist eine dieser irrationalen Ängste.

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Blickt man auf die potentiellen und tatsächlichen AfD-Wähler, Pegida-Anhänger, Facebook-Hetzer, britischen EU-Hasser oder Trump-Supporter und fragt, woher ihre Ablehnung gegenüber Fremden eigentlich kommt, wird schnell klar, dass die Gründe wenig rational sind. Die Mehrheit von Trumps Unterstützern etwa glaubt, dass ausländische Wettbewerber ihrer finanziellen Situation geschadet hätten, obwohl viele klassische handwerkliche Tätigkeiten, etwa im Bausektor, überhaupt nicht von ausländischer Konkurrenz betroffen sind. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl wohnen im Bundesdurchschnitt mehr als doppelt so viele Ausländer in den westdeutschen wie in den ostdeutschen Ländern. Die Angst vor der Islamisierung des Abendlandes ist in Ostdeutschland jedoch offenbar am größten. Gerade weil die Ängste der AfD- und Pegida-Anhänger so diffus und schwer zu begründen sind, werden sie von weiten Teilen der Bevölkerung und auch der Politik als unbegründet abgetan. Die Angst der Bürger wird verurteilt: Wer Angst vor Geflüchteten hat, verschließt offenbar seine Augen vor der Realität, ist zu dumm oder einfach ausländerfeindlich. Ein Wut- oder Angstbürger eben.

Angst ist ein uralter Instinkt. Menschen sind darauf getrimmt, die eigene Gruppe, Sippe oder den Clan erstmal zu bevorzugen und Neuankömmlingen gegenüber misstrauisch zu sein. Das ist auch heute noch so. Sozialexperimente wie das Kandinsky/Klee-Experiment zeigen, dass Menschen andere schon wegen Kleinigkeiten diskriminieren. Leute mit Vorliebe für Bilder des Malers Klee blieben, nachdem sie in eine Gruppe mit Gleichgesinnten eingeteilt wurden, lieber unter sich und grenzten Menschen mit Vorliebe für Bilder des Malers Kandinsky, in einer anderen Gruppe, aus—und umgekehrt. Dieses Ergebnis ist umso erstaunlicher, da viele Kunst-Laien Bilder von Klee und Kandinsky von eigentlich kaum von einander unterscheiden können. Ob begründet oder nicht, Angst und Ausgrenzung sind ein Teil unserer Biologie. Die Angst vor dem Anderen kann jedoch katastrophale Folgen für das menschliche Zusammenleben haben, wenn sie in Wut umschlägt und sich gegen Minderheiten richtet. Es ergibt also Sinn, die Ursachen so einer Angst frühzeitig zu beseitigen.

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In der Psychotherapie werden Angststörungen unter anderem mit einer Konfrontationstherapie behandelt. Der Mensch mit Flugangst überwindet sich also zu einem Flug von Köln nach Düsseldorf und wagt sich aufgrund der positiven Erfahrungen Stück für Stück an längere Strecken, bis er seine Phobie unter Kontrolle hat. Auch die Angstbürger müssen von der Politik und der Gesellschaft dazu gebracht werden, ihrer Angst Stück für Stück zu begegnen. Das heißt zum einen, dass sie zu Geflüchteten und vor allem zu integrierten Menschen mit Migrationshintergrund Kontakt haben sollten. Das heißt aber auch, dass sie Menschen begegnen sollten, die klar machen, dass sie diese Angst nicht teilen.

Die kategorische Verweigerung eines Dialoges und persönliche Angriffe gegenüber Angstbürgern sind kontraproduktiv und befördern nur, dass die sich abschotten und weiter radikalisieren. Man darf zwar nicht erwarten, dass sich die Ablehnung gegenüber Fremden durch ein einziges Gespräch in Wohlgefallen auflöst. Eine Demokratie muss den aktiven Diskurs mit Gruppen anderer Meinung aber aushalten und sogar suchen, auch wenn der Standpunkt irrational erscheint. Es ist gesellschaftlich notwendig, gerade mit den verängstigten Bürgern in Kontakt zu bleiben. Dass dies Erfolg verspricht, zeigt die Statistik. Das geringste Maß an Fremdenfeindlichkeit gibt es dort, wo viele Migranten in lokalen Gemeinschaften leben.

Auch Medien, Politik und die gesellschaftlichen Eliten müssen ihren Umgang mit den angstvollen Bürgern verbessern. Verallgemeinerungen, Diffamierungen, der pauschale Blick auf AfD- und Pegida-Anhänger als fremdenhassender Mob, der Probleme mit der deutschen Sprache hat, befördern nur, dass die sich weiter abschotten. Solche Posts, Kommentare und Medienberichte sind nicht konstruktiver, als alle Flüchtlinge oder Asylanten zu verteufeln und über den "Sexmob-Syrer" zu sprechen. Ebenso wenig führt es dazu, dass sich AfD-Wähler von ihrem Protest abwenden und wieder Vertrauen ins politische System fassen. Statt sich auf das Niveau der Emotionalität und Irrationalität zu begeben, sollten gerade jene, die nicht von Angst beeinflusst werden, zur Entschärfung der Situation beitragen und einfach mit der anderen Seite sprechen.

Die Autoren forschen am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel im Forschungsbereich "Sozial- und verhaltensökonomische Ansätze zur Lösung globaler Probleme". Das ist der Twitter-Account des Instituts. 

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