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„Der Ur-Deutsche"—unser englischer Kollege bewertet Klopps erste Monate

Auf dem Papier stehen auch unter Klopp null Titel. Doch der berühmte Klopp-Effekt war schon immer mehr wert als das rein Greifbare. Auch in England sieht man das so.
PA Images

Wenn sich Will Magee nicht gerade über Michael Owens Experten-Stümpereien aufregt, dann schreibt er für unsere britische Kollegen über das Beatiful Game. Hier bewertet er die ersten Monate von Jürgen Klopp bei Liverpool:

Jürgen Klopp, der Ur-Deutsche. Jürgen Klopp, der ohne ersichtlichen Grund in Gelächter ausbricht. Jürgen Klopp, der zwar Stuss erzählt, aber das in einem Ton macht, der uns suggeriert, dass wir lachen sollen. Also lachen wir, weil es Jürgen Klopp ist. Jürgen Klopp, der an der Seitenlinie abwechselnd die Faust ballt oder Grimassen schneidet, als habe er seine Medikamente nicht genommen.

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Das alles ist ein typischer Arbeitstag von Jürgen Klopp. Das ist seine Person und gleichzeitig seine eigene Karikatur. Liverpool-Fans lieben ihn dafür und ja, das Ganze hat in der Tat seinen Charme. Seine gewinnende Art hat ihm auch außerhalb von Liverpool viele neue englische Anhänger eingebracht. Für Reds-Fans ist Klopp das konzeptuelle Gegenteil des früheren Liverpool-Trainers Graeme Souness.

Doch was hat Liverpool nach acht Monaten unter Klopp vorzuzeigen? Im greifbaren Sinne nicht viel. Durch die Finalniederlage in der Europa League am Mittwoch endete die abgelaufene Saison für die Reds endgültig titellos. Nach beeindruckenden Leistungen gegen Villarreal, Borussia Dortmund und Manchester United kam im Spiel gegen Sevilla die kalte Dusche. Die Fans, die nach Basel gereist waren, müssen beim Schlusspfiff ein unangenehmes Déjà-vu gehabt haben. Schließlich hatte man bereits im Februar im League Cup ein Finale verloren.

Wenn Liverpools zwei Finalpleiten schmerzhaft waren, dann erinnerte ihre Premier-League-Saison mehr an einen schleichenden Tod. Die Reds wurden am Ende Achter, von ihrer beständigen Unbeständigkeit zu Fall gebracht. Auch wenn sich die Leistungen und auch die Resultate in den letzten Wochen etwas verbessert hatten, waren sie gefühlt nie wirklich an den europäischen Plätzen dran. Alles in allem wurden also die vergangenen acht Monate vor allem von großen Enttäuschungen definiert.

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Liverpool wartet jetzt schon seit vier Spielzeiten auf einen Titel. Foto: PA Images

Das ist also das greifbare Ergebnis der bisherigen Klopp-Ägide, das, was unter dem Strich steht. Doch während derselbe Saisonverlauf für andere Trainer Krisengespräche mit dem Präsidium auf den Plan gerufen hätten, scheint Klopps Standing keinen Schaden genommen zu haben. Und das aus gutem Grund. Seine aufbrausende Art hat zweifelsohne vom wiederholten Scheitern seiner Mannschaft abgelenkt. Weniger umgängliche Trainer hätten bei derselben Leistung deutlich weniger Nachsicht und Wollwollen von Kommentatoren, Kolumnisten und Fans erfahren.

Die Fähigkeit, Kritik abzufedern, ist natürlich auch ein Asset für sich. Es ist ein Talent, von dem Klopp eine ganze Menge abbekommen hat—in starkem Gegensatz zu seinem Vorgänger, Brendan Rodgers. Der machte sich durch seinen bedeutungsleeren Corporate-Sprech bei vielen Liverpool-Fans unbeliebt, während er gleichzeitig den Verein seines natürlichen Charismas und Selbstbewusstseins beraubte. Im Vergleich dazu beginnt Klopps immaterieller Wert langsam deutlich zu werden.

Als er in Merseyside ankam, sah er sich nicht nur einem Verein mitten in einer Identitätskrise gegenüber. Es ist praktisch unmöglich, einem Mann ein Zeugnis auszustellen, der mit Christian Benteke ein 40-Millionen-Euro-Missverständnis am Hals hatte und der einem eigentlich schon pensionsberechtigten Kolo Touré mit Fortschreiten der Saison immer mehr Einsatzzeit geben musste. Gleich mehrere Spieler aus dem aktuellen Kader—allen voran Jose Enrique—scheinen sich nur aufgrund ihrer Social-Media-Präsenz einen Platz im Team verdient zu haben. In den letzten anderthalb Jahren bei Liverpool haben Rodgers und das berüchtigte Transferkomitee einen Pulk aus überteuerten Einzelgängern und Sonderlingen zusammengekauft, die eine Sache gemeinsam hatten: Sie passten nie zueinander.

Die Tatsache, dass Klopp diese Mannschaft überhaupt in zwei Endspiele geführt hat, grenzt an ein kleines Wunder. Sie haben zwar jeweils die letzte Hürde gerissen, doch hätten aufgrund der Kaderschwächen eigentlich nie ein Contender für irgendeinen Wettbewerb sein dürfen. Dass sie es doch waren, ist der Verdient von Klopp. Klar, Liverpool hat am Ende in Sachen Titel nichts vorzuweisen, trotzdem hat Klopp es geschafft, eine wild zusammengewürfelte Truppe aus Außenseitern, Spinnern und chronischen Versagern in eine fast schon funktionierende Einheit zu formen.

Und genau hier liegt Klopps Wert für seinen Verein. Wenn er es schon schafft, mit einer Mannschaft um Titel mitzuspielen, bei der Spieler wie Simon Mignolet oder Dejan Lovren gesetzt sind, kann man sich gut vorstellen, was er erst aus einem Team rausholen kann, das er selbst geformt hat. Darum ging es in der abgelaufenen Saison auch mehr darum, an der Anfield Road wieder einen Samen von Hoffnung und Zuversicht auf bessere Zeiten zu pflanzen. Klopps Possen und seine entwaffnende Ehrlichkeit haben gleichzeitig die Anhängerschaft neu entfacht.

Klopp hat jetzt die erste richtige Chance, den Kader nach seinen Vorstellungen zusammenzustellen. Auch wenn es mehr als eine Transferperiode dauern wird, bis wir seinen Wert für den Verein beurteilen können, bedeutet dieser Sommer den echten Startschuss für seine Liverpool-Ära. Jetzt kann er sich die Spieler holen, die zu seiner Art, Fußball zu spielen, am besten passen. Und sich derer entledigen, mit denen er notgedrungen die ersten acht Monate zusammenarbeiten musste. Die richtige Kloppmania in Liverpool könnte also erst noch bevorstehen.