Wie sich Fußball-Hooligans im unterklassigen Ruhrgebiet-Eishockey ausbreiten
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Wie sich Fußball-Hooligans im unterklassigen Ruhrgebiet-Eishockey ausbreiten

Die dritte Eishockey-Liga bietet für Hools im Ruhrgebiet eine ideale Spielwiese. Vor allem Stadionverbotler vom Fußball müssen hier wenig Gegenwehr durch Polizei und Vereine befürchten. Ein Ortsbesuch in Essen.

Simon ist Eishockeyfan seit Kindesbeinen an. Sein Vater begeisterte ihn damals für den Sport und ihren heimischen Verein, die Moskitos Essen. Auch nach Insolvenzen und Zwangsabstiegen ist er dem ehemaligen Erstligisten jetzt in der dritten Liga treu. Doch in letzter Zeit vergeht selbst Simon etwas die Lust.

Im unterklassigen Ruhrgebiet-Eishockey weitet sich in den letzten Jahren wieder ein Problem aus: Regelmäßig kommt es zu Ausschreitungen durch krawall- und gewaltbereite Fans. Vor allem bei den Lokalderbys zwischen Essen, Herne oder Duisburg werden Anhänger der Vereine auffällig. Es sind kleine Minderheiten von je zwei Dutzend Leuten, aber in Anbetracht der geringeren Zuschauerzahlen und des kleinen Raums in und außerhalb der Hallen fallen sie extrem auf.

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Seit längerem bloggt Simon über den Eishockeysport, zuletzt musste er sich häufiger diesem Negativphänomen als sportlichen Aspekten widmen. Anfang dieses Jahres veröffentlichte er auf dem bekannten Blog „Ruhrbarone" einen offenen Brief an die Chaoten, der deutschlandweit viel Zustimmung bei Eishockeyfans fand. Auch in anderen Regionen und Ligen ist die Problematik nicht unbekannt.

Zudem ist sie im Eishockey auch nicht neu. Schon in den 80ern und 90ern war es speziell im Ruhrpott ein offenes Geheimnis, dass sich Fußball-Hooligans aus Essen, Gelsenkirchen oder Dortmund Eishockey als zweites Spielfeld ausgesucht hatten. Das harte, schnelle und männliche Mannschaftsspiel samt Boxeinlagen passte nicht nur in ihr Weltbild, sondern bot ihnen auch ideale Strukturen. Die US-Sportart entwickelte als einzige eine ähnliche Fankultur wie der Fußball, aber mit einer geringeren bis fehlenden Polizeipräsenz. Speziell diejenigen, die gerade mal wieder Stadionverbot hatten, ließen sich dann einfach in den Eishallen blicken.

Das meiste blieb damals jedoch eher im Hintergrund. Wer sich prügeln wollte, tat das in Alt-Hooligan-Manier irgendwo weiter weg von den Hallen. Anfang der 2000er vertrieb dann eine anständige Szene junger Ultras und echter Eishockeyfans die immer älter werdenden Fußball-Zuzügler. Auch Simon war dabei. „Wir versuchten eine echte Ultra-Bewegung bei den Moskitos zu etablieren. Doppelhalter, Choreografien – angelehnt an dem, was man so aus dem Fußball kennt", erinnert sich der 31-Jährige. Die Moskitos waren dazu in die DEL aufgestiegen, mehr und neue Zuschauer kamen, die das Auftreten von Chaoten ausdünnten.

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Finanzielle Pleiten der Moskitos machten ihrer Ultra-Bewegung in den Folgejahren allerdings einen Strich durch die Rechnung. Ähnlich erging es später auch den Füchsen Duisburg und dem Herner EV. Es folgten Zwangsabstiege und/oder Neustrukturierungen der Clubs, womit auch viele Anhänger das Interesse verloren. „Dadurch kam es, dass jetzt eine neue Generation in der Kurve steht, ohne dass es eine Art Selbstreinigungsfunktion gegeben hat. Es gab also keine älteren Fans mehr, die den jungen zeigten, wie man sich zu verhalten hat", so Simon weiter.

Unter diesen Neuen – viele davon noch nicht einmal oder gerade erst Anfang zwanzig – finden sich, laut Polizei Essen, wiederum viele Schnittmengen zur Fußballszene. Ihre Attitüde ist ein kruder Mix aus Ultra- und Hool-Kultur. Sie sorgen für Stimmung im Positiven, tragen Randale oder Gewalt aber auch offen in der Halle oder unmittelbar davor zur Schau. Einige unter ihnen sollen außerdem der rechten Szene angehören oder nahestehen. Simon könne das immer wieder beobachten.

Alle Bilder: Roman Milenski

Für ein besseres Verständnis lädt er zum gemeinsamen Besuch des Spiels der Moskitos gegen Duisburg ein. Sportlich ein Spitzenspiel. Die drei Ruhrgebietsvereine in der Oberliga Nord belegen schon über die ganze Saison hinweg vordere Plätze. „Von der Brisanz her ist eher Essen gegen Herne das Hass-Derby geworden", erklärt Simon, „aber gegen Duisburg bekommt man auch einen guten Eindruck der aktuellen Lage."

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Insgesamt bleibt es an diesem Abend zwar relativ ruhig, aber angespannt. Es sind viele Trupps Einsatzpolizei in und außerhalb der Halle anwesend. Die Duisburger Fans haben einen separaten Eingang, ihre An- und Abreise wird gesichert. Nur einmal, als sich der Duisburger Topstürmer nach einem Bodycheck einen Boxfight mit einem Essener liefert und vom Eis geworfen wird, wird die Stimmung aggressiv. Bierbecher und Gegenstände fliegen, „Duisburg, ihr Zigeuner!"-Rufe folgen, der Stadionsprecher fordert mehrmals vehement zur Ruhe auf.

„Genau solche Gesänge meinte ich. Und das ist noch harmlos", kommentiert Simon den Vorfall. „Ansonsten siehst du hier oft Leute mit Thor-Steinar-Kleidung oder explizit neonazistischen Tattoos. Auch ein ehemaliger Funktionär der Essener NPD ist, nach seinem zwischenzeitlichen Hallenverbot, wieder regelmäßiger Gast." Wie auf Bestellung läuft dieser dann auch in der unteren Reihe entlang.

Das Polizei-Aufgebot in der Halle

Für den politisch links eingestellten Simon eine nur schwer ertragbare Situation bei seinem Verein. Und auch das grundsätzliche Gewaltpotential kann er nicht nachvollziehen: „Der Witz ist, letztens war ich in Düsseldorf beim Spiel gegen die Kölner Haie. Erste Liga, 10.000 Zuschauer, das rheinische Derby schlechthin. Da reisen Fans beider Teams gemeinsam mit dem Bus an, trinken Bier, reden miteinander. Es gibt kaum Polizei. Und hier mit maximal 3.000 Zuschauern beim Drittliga-Eishockey stehen bis zu 100 Polizisten, um zu verhindern, dass sich vierzig Leute die Köpfe einschlagen."

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Eine Woche nach dem Duisburg-Spiel treffen die Moskitos dann zu Hause auf den Herner EV. Für die Polizei sind die Partien zwischen Essen und Herne Hochsicherheitsspiele. Mitte November letzten Jahres gerieten Herner in Essen mit den Beamten aneinander, Ende Januar diesen Jahres attackierten sie abreisende Essener beim eigenen Heimspiel, versteckten sich dafür in einem Waldstück. Auch diesmal kommt es wieder zu Auseinandersetzungen am S-Bahnhof Essen-West, wo Bierflaschen fliegen.

„Wir haben mittlerweile szenekundige Beamte im Einsatz. Wir wissen, wer unsere Pappenheimer sind, und handeln präventiv", versichert Christoph Wickhorst, Sprecher der Polizei Essen. Er bestätigt noch einmal, dass es in Essen Schnittmengen zwischen Problemfans beim Eishockey der Moskitos und beim Fußball von Rot-Weiß gibt. Explizite Probleme durch Verbindungen in die rechte Szene kann er augenblicklich aber nicht bestätigen oder erkennen.

Simon hingegen könnte ihm ein Lied davon singen: „Nach einem meiner kritischen Artikel liefen mir ständig zwei oder drei Mann in der Halle hinterher. Einfach um eine Drohkulisse aufzubauen. Ein anderes Mal trug ich einen Refugees-Welcome-Pulli. Das gab dann nicht nur verbale Beschimpfungen und Drohungen. Nur durch das Eingreifen von Ordnern konnte verhindert werden, dass ich von denen körperlich attackiert worden bin." Für ihn wiederholen sich im Eishockey gerade die Fehler, die auch schon im Fußball gemacht worden sind. Gewaltbereiten Anhängern oder gar rechtsextremen Tendenzen werde von Vereinsseite nicht entschieden genug entgegengetreten.

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Die Verantwortlichen der Moskitos haben sich nach VICE Sports-Anfrage bisher noch nicht zum Thema geäußert. Wohl aber Klaus Picker, Pressesprecher des Herner EV. „Der Vorwurf, wir würden dem nicht entgegengetreten oder keine Sanktionen verhängen, ist absolut haltlos", reagiert er. „Der Herner EV und seine Security kennen die eigenen Fans sehr gut und haben sie dementsprechend immer im Blick. Bei Verfehlungen wird das direkte Gespräch gesucht, bei eventuellen Wiederholungen werden Sanktionen ausgesprochen."

Picker wie auch seine Kollegen bei den Moskitos wirken mittlerweile ziemlich genervt von Anfragen bezüglich der Fan-Ausschreitungen. Nachdem der WDR das Thema in einem Bericht über das letzte Derby der beiden Vereine brachte, gaben die Moskitos und der Herner EV eine gemeinsame Erklärung ab. Sie sehen die Berichterstattung in den Medien als zu einseitig an, betonen, dass es sich um Minderheiten handle, die nicht der direkten Fanszene zuzuordnen seien. Außerdem würden die Vereine in Sicherheitsfragen zusammenarbeiten und jegliche Gewalt verurteilen. Picker macht auch auf die Hausordnung des Herner EV aufmerksam. Diese beinhaltet das Verbot des Mitführens von Transparenten mit rassistischen, sexistischen, provokativen, beleidigenden, pietätlosen oder politisch extremistischen Aufdrucken.

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Aber nur, weil solche Banner in den Hallen nicht zu sehen sind, heißt das nicht, dass die problematischen Fangruppen nicht so denken oder agieren. Die Verantwortlichen scheinen sich zwar zu bemühen, ein wirklich konsequentes Handeln lassen sie bisher jedoch vermissen. Wenn sie Gegenmaßnahmen entwickelt hätten, über die eigenen Fans Bescheid wüssten und es nur eine kleine Minderheit wäre, müsste es doch machbar sein, dem Problem schnell Herr zu werden.

„Die Vereine handeln aber eben nicht konsequent, weil sie in ihrer Lage auf jeden zahlenden Kunden angewiesen sind", will Simon letztlich den Kern des Problems lokalisiert haben. „Sie können es sich nicht leisten, zwanzig Leute oder mehr gleichzeitig mit Hallenverboten zu bestrafen. Aber genau das müsste man machen."

So werden weiterhin Hundertschaftspolizisten im Ruhrgebiet die ein oder andere Schicht mit dem Schutz von Eishockeyspielen verbringen müssen. In der dritten Liga. Essen, Herne und Duisburg haben es übrigens alle in die Play-Off-Runde geschafft und könnten dort noch einmal in dieser Saison aufeinandertreffen. Dann mit der zusätzlichen Brisanz des möglichen Aufstiegs.