Familientreff unter Bonzen—Die Segway-Polo-WM in Köln
Alle Fotos: Philip Awounou

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Familientreff unter Bonzen—Die Segway-Polo-WM in Köln

Der Segway ist die Ausgeburt der grenzenlosen Faulheit des Menschen. Apple-Mitgründer Steve Wozniak hat aus dem Gefährt einen Sport gemacht: Segway-Polo. Unter seinen Augen fand in Köln die Segway-Polo-WM statt. Unser Autor war mit dabei.

Segways. Das sind diese elektrischen Zweiräder, auf denen man nichts weiter tun muss, als sein Gewicht in die gewünschte Richtung zu verlagern, um zu fahren. Anders gesagt: Die Ausgeburt der grenzenlosen Faulheit des Menschen. Die ebenfalls grenzenlose Vorschriftenliebe des deutschen Staates führt dazu, dass man mindestens den Moped-Führerschein vorweisen muss, um diese „elektronische Bewegungshilfe" zu verwenden. Schade, Marco Reus.

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Offensichtlich ist es der stetig wachsenden Segway Community schnell zu öde geworden, mit ihrem Gefährt einfach nur durch die Gegend zu cruisen. Während der Halbzeitpause eines Footballspiels entstand in den USA daher vor zwölf Jahren die Idee des Segway-Polo. Ziel dieses Teamsports ist es, einen kleinen Ball mittels des charakteristischen Poloschlägers in ein Gehäuse etwa von der Größe eines Eishockeytores zu befördern. Mittlerweile gibt es einen Segway-Polo-Weltverband (ISPA), ein offizielles Regelwerk sowie Teams und Sympathisanten auf der ganzen Welt und folgerichtig auch Weltmeisterschaften. In diesem Jahr fand der „ISPA Woz Challenge Cup", wie die WM offiziell genannt wird, in Köln statt. Diese Gelegenheit konnte ich mir als Randsportarten-Junkie natürlich nicht entgehen lassen.

Als ich am zweiten Turniertag erstmals das Gelände der Ostkampfbahn in Köln Müngersdorf betrat, kam ich mir vor wie bei einem italienischen Zweitligaspiel, nur ohne den Wettbetrug und die rassistischen Zwischenfälle. Kurzum: Es war einfach keine Sau da. Die Menge an neutralen Zuschauern ließ sich—trotz freien Eintritts—an einer Hand abzählen, ebenso die Zahl der Pressevertreter, die inklusive meiner Wenigkeit bei drei lag. Da hatte wohl jemand vergessen, die Werbetrommel zu rühren.

Getoppt wurde der Marketingflop nur noch vom Warm Up der „Blade Dragons" aus dem Sauerland, das aus unkoordiniertem Durcheinanderfahren und wahllosen Torschüssen bestand. Mein alter E-Jugendtrainer hätte beim Anblick dieser eher semiprofessionellen Spielvorbereitung wohl seine Kippe verschluckt. Wenige Augenblicke später sollte ich dann erstmals Zeuge einer Segway-Polo-Partie werden: Die „Blade Dragons" gegen „Cornwall Segway Polo". 3 Tore und 40 Minuten später sah ich mich in den meisten meiner Erwartungen bestätigt. Segway-Polo hatte etwas von einer Schlagerparty: Ziemlich lahm und viel Ü30, aber irgendwie auch witzig.

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Das liegt zum Teil daran, dass bei der WM jeder Spieler mit demselben serienmäßigen Segway-Modell antritt. Wenn also der Gegner dir gegenüber auch nur den kleinsten Vorsprung hat, ist es so gut wie unmöglich, ihn noch einzuholen. Das sah besonders dann lustig aus, wenn die zahlreichen bierbäuchigen Peter-Griffin-Verschnitte problemlos mit den schlankeren Athleten Schritt hielten. Einige der Spieler versuchten dieser Gesetzmäßigkeit zu trotzen, indem sie ihr Gewicht so weit wie möglich nach vorne verlagerten, um einen minimalen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber dem Gegner zu erreichen. Das muss man sich in etwa so vorstellen, wie wenn ein LKW auf der Autobahn einen anderen LKW überholt.

Spielerisch und taktisch hielt sich das Niveau der Veranstaltung doch sehr in Grenzen. Die Fehlpassquote war in einigen Spielen höher als die einer Bambini-Fußballmannschaft, sodass jedes erfolgreiche Zuspiel von den Teamkollegen fast schon frenetisch bejubelt wurde. Tore waren in der Regel Zufallsprodukte oder der motorischen Unfähigkeit einiger Keeper geschuldet. Bis auf wenige Ausnahmen waren die technischen Fähigkeiten der Teilnehmer vergleichbar mit denen von Stefan Effenberg in der Aggressionsbewältigung: rudimentär. Der Großteil der Teilnehmer war nun mal vom Segway zum Polo gekommen und nicht umgekehrt. Die sensationelle Ballbeherrschung und Bewegungskoordination von professionellen Pferdepolospielern besaß in Köln daher niemand. Dafür besitzen die Segway-Enthusiasten etwas anderes—und zwar Asche ohne Ende.

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Da ein Segway in der Standardausführung ca. 8000€ kostet, ist Segway-Polo nicht unbedingt als massentauglich zu bezeichnen. Finanzieller Wohlstand ist Grundvoraussetzung, um diesen Sport betreiben zu können. So waren die Libanesen beispielsweise samt Familien im eigenen Privatjet angereist. Als ich davon erfuhr, dachte ich spontan an stinkreiche Ölscheichs, die in weißen Gewändern von Bodyguards flankiert über den Platz schlendern und anschließend ihre eigens angeheuerten Profi-Polo-Spieler aufs Feld schicken, um den Pott zu holen (Stichwort: Katar). Stattdessen war Team Libanon, bestehend aus christlichen Unternehmern und Firmenchefs, eine extrem herzliche und weltoffene Truppe.

Auch allgemein galt: Die Bonzen waren hier einfach nicht so, wie ich es erwartet hatte. Irgendetwas in mir hatte gehofft, auf hochnäsige High-Society-Snobs zu treffen, die eine nerdige Alternative zum Golfplatz gefunden hatten. Damit ich „Normalsterblicher" mich wenigstens den besseren Menschen nennen darf. Den Gefallen tat man mir jedoch nicht. Wenn es hier Menschen gab, die sich für etwas Besseres hielten, dann konnten sie es ziemlich gut verbergen. Die Stimmung war großartig, die Atmosphäre herzlich. Die größten Egos (auf eine lustige Weise) hatten ironischerweise die Spanier rundum meinen werten Freund Maurizio, der wie seine Teamkollegen in eher einfachen Verhältnissen lebt.

Maurizio fiel mir das erste Mal auf, als er mir mit zwei Bechern Bier und einem breiten Grinsen zuprostete—auf einem Segway, versteht sich. Wenige Minuten später saßen wir gemeinsam mit dem Rest der Truppe im Mannschaftsbereich und plauderten über Gott, die Welt und natürlich Segway-Polo. Sie erzählten mir, dass sie Touristenführer aus Madrid seien und unter anderem Segway-Touren anbieten. Selbst könnten sie sich die Geräte nicht leisten. Erst seit 6 Monaten betreiben sie die Sportart aktiv, weshalb sie das Turnier als reine Spaßveranstaltung sahen und sich überwiegend auf den Alkoholkonsum und das Flirten mit den wenigen anwesenden Damen konzentrierten. Als ich fragte, wie schwierig es denn anfangs sei, fahren und spielen unter einen Hut zu bekommen, antwortet Maurizio schlicht: „Just Try."

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Fast eine Stunde lang erprobte ich mich daraufhin im Segway-Polo und kann hiermit bestätigen: Das Ganze macht wirklich Laune! Vor allem wirken die 22km/h Höchstgeschwindigkeit auf dem Gefährt wesentlich flotter als auf den Zuschauerrängen. Während ich mit dem Fahren keinerlei Schwierigkeiten hatte, bereitete auch mir die Polo-Komponente teils heftige Probleme. Den Ball bei voller Geschwindigkeit sicher zu führen oder vernünftig zu treffen, erfordert definitiv eine Menge Training. An Fleiß und Eifer mangelt es den Spielern nicht: Die meisten Teams, mit denen ich mich unterhalten habe, trainieren ein bis zwei Mal die Woche. Allzu viele Kalorien werden dabei offensichtlich nicht verbrannt.

Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, warum die Teilnehmer in Köln seit Jahren Gefallen an ihrem Gefährt und dem Sport finden. Mir persönlich wäre das Ganze nach spätestens einer Woche zu träge. Bei einigen spielt mit Sicherheit ihre körperliche Konstitution eine Rolle, die es nicht zulässt, ohne technische Hilfsmittel vernünftig Sport zu treiben, sei es dem Alter, dem Gewicht oder fehlenden koordinativen Fähigkeiten geschuldet. Für diese Menschen bietet der Segway natürlich eine bequeme Alternative. Insgesamt hatte ich jedoch den Eindruck, dass die Hauptmotivation eine andere war: Der Lifestyle.

Müsste ich den Max Mustermann des Segway-Fahrens definieren, dann wäre es ein gut betuchter Mann mittleren Alters, der technikaffin sowie offen für Innovationen ist und natürlich einen Hang zu kostspieligem bzw. exklusivem Spielzeug hat. Er hat vermutlich mehr als nur ein alternatives Hobby und fühlt sich damit pudelwohl. Es passt einfach zur Lebensart solcher Menschen, sich ein Gefährt zu kaufen, das ziemlich schräg aussieht und in Deutschland weniger als 1000 Mal pro Jahr über die Ladentheke geht. Die Inkarnation dieses Lifestyles—und nebenbei bemerkt der weltweit erste Käufer eines Segways —ist zweifelsohne Steve Wozniak, der in Köln ebenfalls mit von der Partie war.

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Rein äußerlich schrie bei ihm alles nach Bud Spencer, von der rundlichen Statur über den Bart bis hin zum Lächeln und den Teddybär-Gesichtszügen. Der Apple-Gründer ist in der Segway-Polo-Szene eine Koryphäe, weshalb die WM, der „ISPA Woz Challenge Cup", nach ihm benannt wurde. Er bestritt die erste offizielle Segway-Polo-Partie und half in der Folge dabei, die Popularität des Sports zu steigern.

Glücklicherweise war Steve Wozniak wie seine Kollegen ein sehr bescheidener und offenherziger Mensch, sodass er mit mir bereitwillig über Segway-Polo und seinen Bezug dazu plaudertey. Schnell war klar, dass der Sport für ihn mehr als nur ein Hobby ist. So heiratete er seine Ehefrau Janet während eines Turniers und mimte den Trauzeugen bei der Hochzeit von Olaf Funke, dem ISPA-Präsidenten. Dieser wiederum hatte seiner Angetrauten natürlich bei einer WM den Antrag gemacht.

Die Konversation mit Wozniak ließ mich ein tieferes Verständnis dafür entwickeln, was hier beim ISPA Woz Challenge Cup eigentlich abging. Vor mir stand ein Weltveränderer und Multimillionär, der wasserfallartig und stolz wie Oskar über Segway-Polo referierte. Mit funkelnden Augen schwärmte er von Regeländerungen, neugegründeten Teams und Strategien zur Vermarktung. Es war fast schon grotesk. Seine Begeisterung und den Stolz teilte er mit vielen seiner Kollegen, was den speziellen Geist der Veranstaltung ausmachte und ein starkes „Wir"-Gefühl erzeugte. Für Eitelkeiten und Starallüren war da schlichtweg kein Platz.

An sich ist dieses große Miteinander eine tolle Sache, die großen Respekt verdient. Angesichts der Tatsache, dass in Köln eine offizielle Weltmeisterschaft ausgetragen wurde, war es mir stellenweise dann doch etwas zu harmonisch, zu einträchtig und zu familiär. Sport lebt schließlich vom Wettkampf und davon, sich mit dem Gegner zu messen und im Optimalfall besser zu sein als der Kontrahent. Das ist es, was Profis zu absoluten Höchstleistungen treibt. Doch sportliche Höchstleistungen gehören allem Anschein nach nicht zum „Segway-Lifestyle". Der Ehrgeiz hielt sich ebenso wie der körperliche Einsatz insgesamt doch sehr in Grenzen, erst ab dem Halbfinale konnte man intensivere Zweikämpfe und kompetitive Ansätze erkennen. Schlussendlich setzte sich Barbados zwar hochverdient durch, dass sich die Truppe aus der Karibik nun Weltmeister nennen darf, finde ich dennoch etwas befremdlich. „Wir sind hier eine große Familie, die immer wieder zusammenkommt und Spaß miteinander hat", erklärte mir Klaus Wichert von den Blade Dragons und traf damit den Nagel auf den Kopf. Die Segway-Polo-WM war ein Familienfest mit guter Stimmung und einer tollen Atmosphäre. Eine ernstzunehmende Sportveranstaltung war sie allerdings nicht. Außer mir schien das jedoch niemanden zu stören.