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Techno-Archäologen kapern einen alten NASA-Satelliten von einem McDonald’s aus

Freizeit-Wissenschaftler und Ingenieure beziehen eine stillgelegte Fast-Food-Filiale, besorgen sich ihr Arbeitsequipment aus dem Sperrmüll und übernehmen die Kontrolle über einen Satelliten aus den 1970er Jahren. Wir haben mit einem von ihnen...
Bild: Keith Cowing.

Was alte, ausrangierte Computer und ein paar Ebay-Fundstücke für Möglichkeiten bieten, demonstrierten soeben einige Freizeit-Wissenschafter und Ingenieure. Von einer leerstehendem McDonald's-Filiale auf dem Gelände des Ames Research Center der NASA in Mountain View, Kalifornien, haben diese die Kontrolle über einen außer Dienst gestellten, aber immer noch funktionierenden Weltallsatelliten aus den 70er-Jahren übernommen, der derzeit über 20.000 Kilometer von der Erde entfernt herumschwirrt.

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Die sogenannte „McMoon's"-Kommandozentrale ist ein wunderlicher Beleg für den menschlichen Erfindergeist und dafür, was ein paar schlaue Typen mit praktisch keinem Budget und ohne richtige Genehmigung auf die Beine stellen können.

Ein bisschen Kontext: Der Satellit mit den Namen  International Sun-Earth Explorer (ISEE-3) wurde am 12. August 1978 ins Weltall geschickt und sollte die Magnetosphäre der Erde vom L1-Lagrange-Punkt zwischen Sonne und Erde aus erforschen, an dem die Gravitationskraft der beiden Körper sich gegenseitig aufheben.

In den letzten 36 Jahren umkreiste der Satellit 31 Mal die Sonne, begegnete Kometen und sendete die Daten an die Erde zurück. 1983 wurde er in International Cometary Explorer (ICE) umbenannt. Im Laufe der Zeit überprüfte die NASA den Status der Sonde jedoch nicht mehr regelmäßig und 1997 wurde sie schließlich „for future use" außer Dienst gestellt.

Anfang des Jahres rief Keith Cowing, ein ehemaliger NASA-Weltraumbiologe, mit Hilfe von Crowdfunding und Crowdsourcing ein Projekt ins Leben, um mit dem 36 Jahre alten Relikt, das das erste Mal seit 20 Jahren auf den Mond zusteuerte, wieder in Kontakt zu treten und es möglicherweise zurück auf die Erdumlaufbahn zu holen.

Crowing und sein Team brachten 120.000 Euro auf. Nach langer Frickelei mit buchstäblich tonnenweise Jahrzehnte alter NASA-Technologie und mit einer strikten Deadline im August vor Augen, traten sie am 29. Mai 2014 von ihrem Hauptquartier in einem ehemaligen Fast-Food-Restaurant aus, mit ISEE-3 in Kontakt.

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Vergangenen Sonntag war der Satellit so nah am Mond wie noch nie. Zu Ehren dieses Ereignisses veranstaltete McMoon's einen Google Hangout mit einem „Live Feed" der relativen Position des Satelliten. Nachdem die Feierlichkeiten langsam dem Ende zugingen, rief ich Keith Cowing an, um herauszufinden, wie es dazu kam, dass er seinen Arbeitsplatz bei der NASA gegen McDonald's getauscht hatte.

Motherboard: Heute ist ein großer Tag für euch, Jungs. Oder?

Keith Cowing: Ja! Unsere Raumsonde war so nah am Mond wie noch nie. Wir verabschieden uns symbolisch von ihr, aber es ist auch der Start einer neuen Phase der Mission.

Was ist aus dem Plan geworden, die Sonde in die Erdumlaufbahn zu holen?

Als die Sonde sich in die Nähe des Mondes bewegte, wollten wir sie ursprünglich mit Hilfe ihres Antriebssystems in eine Umlaufbahn in der Nähe der Erde befördern. Das konnten wir aber nicht, weil nur noch einer ihrer Tanks funktionstüchtig war. Stattdessen kreist sie jetzt um die Sonne. Bis auf diese kleine Enttäuschung läuft aber alles wie geplant.

Habt ihr den Kontakt mit der Sonde verloren?

Nein, ganz im Gegenteil. Wir werden wahrscheinlich nächste Woche mit ihr kommunizieren. Wir hören die Signale immer noch. Vorerst warten wir aber, bis die Daten zurückgeschickt werden. Als wir Spenden sammelten, hatten wir ein Logo mit dem Slogan: „Make Me Do Science" und das haben wir geschafft. Seit wir die Geräte in Betrieb genommen haben, empfangen wir wieder Daten.

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Wir versuchen die Sprache, die diese Sonde spricht, wieder aufleben zu lassen und die Zahlen zu verstehen. Sobald wir dann die Daten haben, werden wir sie ins Internet stellen, was für ein Raumfahrzeug wie dieses eigentlich eher unüblich ist. Normalerweise behalten Wissenschaftler ihre Daten jahrelang für sich.

Ihr habt also die volle Kontrolle über die Raumsonde? Ihr sammelt also nicht nur die Daten, sondern könnt sie auch manipulieren?

Ja genau. Wir haben die völlige Kontrolle darüber.

Bild:  Jeffrey Inscho

Und das von einem verlassenen McDonald's in Mountain View.

Uns gefällt diese Umnutzung. Wir nennen diesen McDonald's McMoon's. Er befindet sich sogar auf dem Gelände eines NASA-Stützpunkts.

Wie seid ihr dort gelandet?

Der McDonald's machte vor einigen Jahren zu als das Geschäft nicht mehr lief. Das Gebäude ist im Besitz der Regierung und stand die letzten Jahre leer. Wir waren gerade mit einem anderen Projekt beschäftigt, bei dem wir Bilder von einer alten  Mondmission aus der Apollo-Ära wiederherstellten. Da wir mit NASA-Daten arbeiteten, durften wir dieses Gebäude verwenden, weil es nichts kostete.

Ich meine, wer würde sonst in einem McDonald's arbeiten wollen? Wir schon. Die Türen ließen sich absperren und das reichte für uns im Grunde. Das war 2007.

Wie kamt ihr von der Wiederherstellung von Bildern zur Weltallpiraterie?

Naja, als wir gerade dabei waren, das Projekt abzuschließen—bei dem wir mit Hardware aus einem anderen Zeitalter, alten Wissenschaftlern, alten Daten, alten Dokumenten uns so weiter arbeiteten—tauchte plötzlich diese andere Mission, die ISEE-3-Mission, auf. Wir dachten uns: „Das klingt ja im Vergleich einfach." Von diesem Satelliten wussten wir schon eine Weile. Wir unterhielten uns beiläufig darüber und dann führte einfach eins zum anderen.

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Was war für euch das Schwierigste an den Projekten, abgesehen davon, das nötige Kleingeld dafür aufzubringen?

Es war extrem schwierig, unsere neue Technologie dazu zu bringen, auf die richtige Art und Weise mit der alten Technologie zu kommunizieren, so dass die Raumsonde auch kooperierte.

Wie setzt sich euer Team zusammen?

Ich bin einer der zwei Leiter. Der andere ist Dennis Wingo. Unser Kernteam besteht aus ungefähr zehn Leuten, von denen die jüngsten Mitte 20 und die ältesten über 80 sind.  In unserem Team sind viele der ursprünglichen Wissenschaftler aus den 70er Jahren dabei, die die alten Dokumente rausholen und uns helfen, die Daten der Raumsonde zu entschlüsseln.

Insgesamt sind wir wahrscheinlich ungefähr 20 Leute. Die meisten arbeiten freiwillig hier, was bei Crowdsourcing- und Open Data-Projekten, die durch Crowdfunding finanziert werden, oft der Fall ist. Wenn es ein cooles Projekt ist, wollen die Hacker auch mithelfen. Es ist zwar schön, bezahlt zu werden, aber keine Voraussetzung.

Bild: Jeffrey Inscho

Welche Plattform habt ihr für das Crowdfunding genutzt?

Rockethub. Wir mögen Rockethub. Und wir haben 120.000 Euro gesammelt, also mögen sie uns scheinbar auch.

Wie ist die Arbeit im Vergleich zur Arbeit bei der NASA?

Die meisten Leute bei der NASA arbeiten in einem schönen Gebäude mit ihren neuen, tollen Computern. und wollen schöne Möbel. Wir hingegen arbeiten in einem leerstehenden McDonald's, in dem es immer noch ein bisschen nach Pommes Frites riecht. Der Boden hat Risse und alle unsere Büromöbel wollte die Regierung eigentlich wegwerfen, es ist also alles gebraucht. Manchmal brechen Stühle auseinander.

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Woher habt ihr euer ganzes Equipment?

Jeder Regierungsstützpunkt oder jede Einrichtung schickt ihre alten Möbel und technischen Geräte an eine Art Outlet und ein Mal pro Monat werden die Sachen dort in einer Auktion versteigert. Jeder Mitarbeiter der Regierung kann dort hingehen und mitnehmen, was er brauchen kann, bevor die Sachen versteigert werden.

Wir durchsuchen den müll für die Wissenschaft.

Dort holen wir unsere Sachen. Wir nennen es den „Toy Store". Jemand warf einen Flachbildschirmfernseher weg, weil er nicht mehr funktionierte. Einer unserer Ingenieure reparierte einfach das Netzteil und schon hatten wir einen gratis Fernseher.

Fantastisch.

Wir verwenden die Computer aus dem Vorjahr. Wenn du den Arbeitsspeicher ein bisschen erweiterst, funktionieren sie wieder einwandfrei. Wir versuchen es zu vermeiden, Dinge zu kaufen. Manche Leute würden vielleicht sagen: „So arbeiten keine richtigen Wissenschaftler." Dann denken wir uns: „Naja, hätten wir ein unlimitiertes Budget, wären neue Sachen vielleicht schön."

Zum Glück geben uns die Leute aber gerne ihr altes Zeug. Viele, die mittlerweile im Ruhestand sind, bieten uns ihre 30 oder sogar 50 Jahre alten Aufzeichnungen an. Sie sagen: „Meine Frau sagte, ich soll den ganzen Mist wegwerfen. Wollt ihr es haben? Ich sagte zu ihr, die Sachen wären wichtig." Und das sind sie auch!

Bild: Steve Jurvetson; Wikipedia; | Lizenz: CC BY 2.0

Es klingt so, als könnte jeder an das ausrangierte Equipment der Regierung kommen, ein Team zusammenstellen und so über einen Satelliten die Führung übernehmen, so wie ihr es getan habt.

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Ja, das ist auch so. Die Leute fragen uns: „Wieso macht ihr das?" Wir machen es, weil wir es können, weil es Spaß macht, weil wir dabei etwas lernen und weil die NASA nie sagte, dass wir es nicht können oder dürfen.

Was bringt es uns? Naja, wir haben eine Raumsonde, die einen Beitrag zur Wissenschaft leistet und jeder der daran teilhaben will, kann das auch. So wie wir es angegangen sind, also mit Geld und Informationen, die wir uns durch Crowdsourcing beschafft haben, denken vielleicht andere Leute: „Hey, wenn die das können, können wir das auch."

Wir nennen uns „Techno-Archäologen."

Es gibt andere , die nicht mehr in Verwendung sind und über die potentiell jemand die Kontrolle übernehmen könnte. Die Möglichkeiten beschränken sich aber nicht nur aufs Weltall. Es gibt auch andere Projekte.Gibt es noch weitere stillgelegte Satelliten, mit denen man so etwas machen könnte?

Wir haben 120.000 Euro durch Crowdfunding gesammelt. Das ist eine realistische Summe für jede mittelgroße oder kleinere Stadt, mit der man großartige Dinge verwirklichen kann. Uns ist natürlich klar, dass wir etwas gemacht haben, das im Grunde absurd ist. Aber glücklicherweise haben wir zahlreiche Unterstützer, die uns Geld geben und uns ermöglichen, diese Art von Wissenschaft zu betreiben.

Habt ihr eine Bezeichnung für euch selbst?

Ja, wir nennen uns „Techno-Archäologen". Wir graben altes Zeug aus, durchwühlen den Müll für die Wissenschaft—und das sag ich nicht nur so, ich bin schon in einen Müllcontainer gestiegen, weil darin ein Kabel lag, das wir brauchten. Techno-Archäologie ist also die Wissenschaft alter Technologie.

Und diese wieder zum Laufen zu bringen.

Genau. Es macht uns auch einfach Spaß. Jemand sagte, unser Vorhaben wäre unmöglich. Das sahen wir als Herausforderung und wir dachten uns: „Wir machen das. Wenn kein Geld dafür da ist, dann beschaffen wir es uns." Es zeigt wieder mal, dass wir vorgefertigte Annahmen hinterfragen müssen. Wenn jemand sagt, etwas wäre unmöglich, dann frag als erstes: „Warum?"

Manchmal hat die Person auch recht und es war dämlich, dass du es überhaupt versucht hast. Aber das weißt du nicht, wenn du es nicht zuerst versuchst.