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Schwimmende Utopien für das Zeitalter gestiegener Meeresspiegel

Da uns der Anstieg der Meeresspiegels unabwendbar bevorsteht, sollten wir auch die visionärsten Überlebenskonzepte ernsthaft prüfen.
Bild mit freundlicher Genehmigung von Remistudio

In der Antarktis ist eine drei Kilometer dicke Eisschicht kollabiert und ein Anstieg unserer Meeresspiegel in den nächsten Jahrzehnten gilt inzwischen als gesichert. 44 Prozent der Weltbevölkerung, die unsere Küstenregionen bewohnen, müssen sich damit auf eine früher oder später anstehende Flut vorbereiten. Wir brauchen also dringend neue Entwicklungen gegen die soziale und ökonomische Destabilisierung, die uns weltweit bevorsteht—und wir brauchen Utopien.

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1962 stellte der Soziologe Lewis Mumford vor dem Hintergrund der drohenden nuklearen Vernichtung in seinem Buch The Story of Utopias die These auf, dass Utopismus immer dann aufblüht, wenn sich Zivilisationen in Aufruhr befinden. Solche tagträumerischen Fiktionen könnten die wahren „Potentiale" einer Gesellschaft beweisen.

Heute stehen wir statt der nuklearen Bedrohung vor einer existentiellen Krise anderer Art: Wissenschaftler haben in den letzten Jahren eine signifikante und unumkehrbare Erwärmung des globalen Klimas festgestellt. Höchste Zeit also, sich ein paar der Utopien für das Leben mit einem gestiegenen Meeresspiegel anzuschauen.

Schwimmende Städte

Sci-Fi-Designer und Städteplaner denken schon lange darüber nach, wie unsere Metropolen die Flut überleben können. Das Objekt auf dem obigen Bild wurde von dem russischen Architekten Alexander Remizov konzipiert und stellt eine „bioklimatische" Arche dar—ein selbsterhaltendes, gleitendes System, das geschaffen wurde, insulare Gemeinschaften in einer von Desastern geplagten, überfluteten Welt zu beherbergen. Es ist apokalyptisch und doch hoffnungsvoll, eine modernisierte Form der Arche Noah ausgestattet mit smarter Technik.

Die Architekturseite Arch Daily schreibt: „Remizov zeigt mit diesem Projekt ein Haus der Zukunft, das schnell aus bestandsfähigem Material gebaut werden kann und Katastrophen durch sein strukturelles Widerstandsvermögen trotzt."

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Makoko Floating School. Bild mit freundlicher Genehmigung von NLÉ

In einer armen Gegend im nigerianischen Lagos versuchen lokale Architekten eine gesamte Stadt zum Schwimmen zu bringen. Die erste Phase des Projekts im mittlerweile wirtschaftsstärksten Land Afrikas wurde bereits abgeschlossen und die Schule hat sich inzwischen in ein verankertes Boot verwandelt. Doch in der nächsten Phase des African Water Cities Project wird sich die Vision erst so richtig entfalten.

Laut Design Boom „schließt Phase zwei die Konstruktion schwimmender Hauseinheiten ein, die ineinander gekoppelt oder unabhängig voneinander treiben können. Die Häuser erhalten ein hochmodernes Design der japanischen Firma AIR Danishin Systems Inc das bestimmte Bewegungen (wie Erschütterungen durch Erdbeben) erkennt und daraufhin einen Kompressor aktiviert, der Luft in eine Kammer unterhalb des Bootes pumpt, so dass die Bewohner sicher über die Flutwellen navigieren können."

Das Projekt soll eigentlich Ende diesen Jahres fertiggestellt sein, doch wie die meisten utopischen Vorhaben, hinkt es ein wenig hinter dem Zeitplan her.

Schwimmende Energie

Atomenergie galt einmal als utopische Energiequelle: grenzenlos, sauber—kurzum ein Triumph der Wissenschaft. Die Befürworter predigen auch heute noch das nahezu unbegrenzte Potential der Technologie.

Um unserer ertrinkenden Welt besser gewachsen zu sein, hat das MIT die AKWs nun zum Schwimmen gebracht, wie in dem Video oben erklärt wird. Diese modularen Reaktoren treiben auf dem Wasser der Ozeane; Tsunamis prallen an ihnen angeblich ab und die Kraftwerke haben ein riesiges Reservoir an Meereswasser um sich herum, welches für die Kühlung der Reaktoren genutzt werden kann. Probleme wie mögliche Kernschmelzen oder radioaktive Ausflüsse bleiben natürlich trotzdem. Sie sind vielleicht sogar beängstigender denn je, wenn sich ein solches Horrorszenario inmitten des Ozeans ereignen sollte.

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Weniger kontrovers, und doch nicht weniger optimistisch sind andere treibende Energiequellen; Singapur zum Beispiel bereitet sich momentan auf ein Pilotprogramm für schwimmende Solarpaneelen vor.

Ein neues Venedig

Wenn es uns nicht gelingen sollte treibende urbane Kapseln zu bauen, dann können wir unsere gegenwärtige Infrastruktur wenigstens an die Flut anpassen. Die Welt der Science Fiction bietet uns da einige Vorschläge zur Durchführung. In traditioneller Science Ficiton ist es jedoch selten, dass aus irreversiblen Klimaveränderungen hoffnungsvolle Gemeinschaften entstehen. 2312 von Kim Stanley Robinsons ist da eine Ausnahme:

Nach einigen Generationen, die ein schreckliches Chaos in einer Welt mit einem um 13 Meter gestiegenen Meeresspiegel erleben müssen, kehrt schließlich auf der Erde ein wenig Stabilität ein. Zwischen den Hochhäusern von New Yorker verlaufen zahlreiche venetianischen Kanälen und das Leben und das bewährte hektische Chaos geht weiter:

„Einige Teile von Manhattan sind noch über Wasser, doch der Großteil ist untergegangen. Die alten Straßen sind nun Kanäle und die Stadt ein riesiges Venedig, ein Hochhaus Venedig, ein super Venedig—welch wunderschöne Entwicklung. Für viele Menschen war die Stadt mit der Flut noch schöner geworden."

Schwebende freie Märkte

Bild mit freundlicher Genehmigung von Seasteading Institute

Es ist zweifelhaft, dass Befürworter freier Handlungen, Ideen und Märkte wie Peter Thiel daran interessiert sind, den Klimawandel zu bekämpfen; statistisch gesehen sehen die meisten liberalen Wirtschaftsexperten dieses Thema nicht als eine dringliche Angelegenheit an. Die Seasteading Communities jedoch scheinen wie dazu auserkoren, sich an einen überfluteten Planeten anzupassen—eine Utopie freier, schwebender Märkte, welche die technische Elite entwickeln kann, ohne auf der Erde in den Fesseln eines regulierten, behördlichen Staates zu leben.

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Stufen der Hoffnung

Mit freundlicher Genehmigung von Occupy Sandy, Bild: Rachel Schragis

Occupy Wall Street war von Beginn an ein utopisches Projekt im engeren Sinne des Begriffs—eine führerlose, ultra-egalitäre Aktivistengemeinschaft, die unmittelbar im Angesicht der Unterdrücker gegründet wurde. Occupy Wall Street hatte sich zum Ziel gesetzt eine übergroße Kluft zu überbrücken: Studenten, Arbeiter und normale Bürger können keine Jobs finden oder leben prekär, während die Profite für die ein Prozent immer weiter steigen.

Als Hurrikan Sandy die Meeresspiegel durch die Klimaveränderung ansteigen ließ und über New York zog, wurden die Ideen der Bewegung wiederbelebt und mündeten in neuen Aktionen als die Küstengemeinden dazu gedrängt wurden sich zu organisieren und der Krise zu trotzen: dezentralisiert, demokratisch, vernetzt und besser organisiert als die offiziellen Hilfsbemühungen. Occupy Sandy organisierte Unterkünfte, medizinische Hilfen, Nahrungsmittelversorgung und weitere essentielle Grundversorgung und stärkte durch direkte Katastrophenhilfe die Gemeinschaft.

Doch so effizient das Vorgehen auch war, es zeigte auch, dass die Kluft von Utopie und Realität verdammt weit sein kann—tausende Menschen sind bis heute noch ohne Wohnung und die Stürme werden wiederkommen. Occupy Sandy zeigt wie weit es kommen muss bis wir beginnen uns kollektiv für die Katastrophen der Zukunft zu rüsten—unsere Institutionen jedenfalls sind noch nicht bereit.

Wir sollten diese utopischen Ideen also dringend ernsthaft in Erwägung ziehen—außer vielleicht die schwimmenden Atomkraftwerke. Selbst die Vision die absolut unrealistisch scheinen, können für unsere Gesellschaft einmal produktiv sein, wie uns schon Lewis Mumford lehrte. Als Vorbereitung für ein Leben mit dem ansteigenden Meeresspiegel ist es allemal nötig über jede nur erdenkliche Lösung nachzudenken.