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Dieser Fisch überlebt unter der 740 Meter dicken antarktischen Eisdecke

Wer es hier schafft, schafft es überall.
So sähen Kämpfer aus: Allein auf weiter Flur in der Antarktis. ​Bild: Deep-SCINI UNL-Andrill SMO

Es ist eine echte Underdog-Geschichte: Wissenschaftler haben Fische entdeckt, die bei minus 2 Grad Wassertemperatur unter einer 740m dicken Eisdecke zuhause sind. Sie sind halbdurchsichtig und schwimmen über den ansonsten völlig kahlen Meeresboden unter einer fast undurchdringbar dicken Eisschicht. Bis zum offenen antarktischen Meer, das dem geneigten Wasserbewohner auch Sonnenlicht spenden könnte, müssten die Fische geschlagene 850 Kilometer zurücklegen.

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Ein Tauchroboter fand die Fische letzte Woche im Rahmen der Kooperations-Mission Wissard zur Überraschung der Expeditionsteilnehmer in einer nur zehn Meter breiten Spalte zwischen Felslandschaft und Eisplatte—und begegnete innerhalb 60 Minuten Tauchzeit gleich mehreren ausgesprochen lebendigen Tieren.

Die Expedition markierte das erste Mal, dass das 40-köpfige Forscherteam mit einem Heißwasserbohrer durch die hunderte Meter dicke Eisschicht dringen konnte. Dank einer hochauflösenden Kamera gelang es dem Roboter Deep-SCINI, ein paar Schnappschnüsse der erstaunlich fragil aussehenden Lebewesen einzufangen:

„Ich bin wirklich überrascht", wird der teilnehmende Gletschergeologe Ross Powell von der Universität Illinois zitiert, der per Satellitentelefon direkt von einem westantarktischen Eisschild aus mit dem Magazin ​Scientific American sprach. „Ich habe meine ganze Karriere lang schon an genau dieser Stelle geforscht!"

Nun gibt es entegegen aller Vermutungen doch Leben in einem der extremsten Ökosysteme der Welt: Kurz nachdem Deep-SCINI ins Wasser gelassen wurde, entdeckte der Tauchroboter einen etwa bananengroßen, halbtransparenten Fisch, der sich zuvor nur als Schatten auf dem Bildschirm der Forscher hatte sehen lassen.

Im Anschluß zeigten sich noch Dutzende weitere Fische, so dass die Forscher von einer Artengemeinschaft ausgehen: „Das waren keine zufälligen Begegnungen", sagte Powell über die beobachtete Fischkolonie. Muscheln und andere eher stationäre Lebewesen scheinen sich dagegen nicht in der Felslandschaft entwickelt zu haben.

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Der Tauchroboter Deep-SCINI wird verladen, um in das Bohrloch in der Eisdecke abgelassen zu werden. Bilder und Grafik: Rachel Xidis/​NIU

Die Fische (einer bereits bekannten Art, die aber noch nie so weit südlich gefunden wurde) haben einen bläulich-rosa Körper, durch dessen Außenhaut seine inneren Organe durchschimmern. Außerdem haben sie relativ große Augen—es ist unklar, wozu der Fisch diese 850km von jedem Sonnenlicht entfernt überhaupt gebrauchen könnte. Die Forscher spekulieren, dass er möglicherweise im Infrarotspektrum sehen kann.

Da die Umgebung des Meeresbodens allerdings (wie man auch auf den Bildern erkennt) gähnend leer und öde ist, müsste jedwedes Lebewesen schwimmen können, um an Nahrung zu kommen. Denn das Wasser ist kristallklar —viel zu kalt für Plankton. Momentan geht das Team davon aus, dass die Fische sich herabfallende Geröllbrocken der ihre Umwelt prägenden Felslandschaften zunutze machen und sich von den darin eingeschlossenen, kohlenstoffreichen Meeressedimenten ernähren können.

Die Wissenschaftler fanden aber nicht nur die Fische im Eiswasser, sondern außerdem ein kleines Krustentier, das einem Flohkrebs ähnelt:

Mit dieser Entdeckung ist die sechsjährige Wissard-Mission nun beendet, die als weltweit größtes Projekt zur Erforschung des Eises gilt. Und doch wirft die spektakuläre Entdeckung nur wieder weitere spannende Fragen auf: Wieso hat das Tier so große Augen? Wie lange muss es wandern, um Futter zu finden? Wo kommt der Sauerstoff her, den die Lebewesen zum Überleben benötigen?

Diese Überlegungen sind besonders interessant für alle Weltraum-Enthusiasten (​wie uns): Denn die eisige Hülle des Planeten Titan, des Zwerges Ceres oder die unerforschten Meere des Mondes Europa könnten ebenfalls ähnliche Überraschungen bereithalten—wer es unter einem Dreiviertelkilometer Eis in der Antarktis schafft, der schafft es vielleicht überall.