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the black madonna

​Fragen, die der Top 100 RA Poll der beliebtesten DJs weltweit zurücklässt

Jedes Jahr aufs Neue zeigt die Abstimmung, was in der elektronischen Szene falsch und richtig läuft.
Maarten Kadiks

Alle Jahre wieder, kommt nicht nur das Christkind auf die Erde nieder, sondern auch eine Unmenge an Jahresendlisten. Eine der bekanntesten ist die Abstimmung über die 100 besten DJs bei Resident Advisor. Zum vierten Mal in Folge hat dieses Jahr Steffen Berkhahn alias Dixon die Wahl gewonnen und ist damit, überspitzt gesagt, zur Angela Merkel der DJs geworden. Auf den Plätzen dahinter tummeln sich viele der üblichen Verdächtigen: Jackmaster, Tale of Us, Maceo Plex, Solomun, Bicep und Ben UFO. Abgeschlossen werden die Top 10 von The Black Madonna, was diese zur am besten platziertesten Frau in dem Poll macht. 2015 landete sie noch auf Platz 37.

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Und seit einiger Zeit alle Jahre wieder kommt auch die Kritik daran. Angefangen bei der geringen Anzahl von Frauen, denn lediglich 8 der 100 DJs sind weiblichen Geschlechts. Schwarze Acts, die diese Musik ja erst aus der Taufe gehoben haben, sind auch unterrepräsentiert. Außerdem wird moniert, dass "jedes Jahr die gleichen Gesichter gewählt werden, die denselben langweiligen Sound machen." "Dieser oder jener DJ müsse doch unbedingt noch in die Liste, um den Einheitsbrei zu beenden!"

Und überhaupt: Was sollen diese Listen eigentlich immer? Die sind doch total sinnlos und gehören abgeschafft! Oder? Treffen diese kritischen Einwände zu? Schauen wir sie uns der Reihe nach an.

Ist Techno a Man's World?

Die Kritik an der geringen Anzahl von Frauen im Jahrespoll ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn es um die großen Festivalline-ups und um Machtpositionen geht, dann ist die elektronische Musikszene noch immer männlich dominiert. Das zeigt sich dann auch, wenn das DJ Mag zur Wahl der besten DJs aufruft. Nach weiblichen DJs suchst du dann (fast) vergeblich. Insofern ist die Liste der 100 besten DJs von Resident Advisor deutlich progressiver. Ein Lichtblick ist in diesem Jahr vor allem, dass mit The Black Madonna erstmals eine Frau in die Top 10 gewählt wurde, die zudem lautstark und regelmäßig eine klare queer-feministische Haltung vertritt. Was man wiederum von dem Gros ihrer männlichen Kollegen im Poll in dieser Form nicht behaupten kann. Was dann eben auch (mit) zu solchen Ergebnissen führt.

Gilt die Devise "Same DJs, different year"?

Und diese Kollegen sind immerzu dieselben. Es stimmt, dass es in der Regel wenige Neueinsteiger in die Liste gibt. 2016 gehören dazu u.a. der Australier Mall Grab, Paula Tempel, der Berliner Kobosil und Palms Trax, Letzterer sogar auf Platz 48.

Ansonsten steigen oder fallen manche DJs hier und da um ein paar Plätze. Allerdings haben Abstimmungen, bei denen alle mitmachen dürfen, nun mal die Eigenart, dass der Sieger durch die Masse der Leute bestimmt wird. Das heißt erstens, dass ein DJ schon einen gewissen Bekanntheitsgrad haben muss, um überhaupt an den Top 100 kratzen zu können. Ein Großteil derer, die bei solchen Abstimmungen mitmachen, kennt vermutlich nur einen Bruchteil der zur Auswahl stehenden DJs, so wie ihnen bei der Bundestagswahl auch nur wenige Wahlprogramme vertraut sind—wenn überhaupt.

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Zweitens, braucht ein DJ eine treue Fanbase, die für ihn wählt. Manche DJs rufen zudem dazu auf, für sie abzustimmen, andere wiederum nicht. Das verzerrt in gewisser Weise das Ergebnis. Drittens und letztens, hängt die Wahl des besten DJs auch davon ab, wieviele Gigs pro Jahr er oder sie spielt und vor allem in welcher Größenordnung diese angesiedelt sind. Oder ob er im Wahlzeitraum im Boiler Room gespielt hat.

Drittens, repräsentiert selbst die Leser(innen)schaft einer derart großen Seite wie Resident Advisor bestenfalls nur einen Ausschnitt der elektronischen Community dieser Welt.

Klingt wirklich alles gleich?

Das Argument, dass der Sound, für den die Top 100 Djs stehen, Einheitsbrei sei, trifft in Gänze nicht zu. Zwar ähneln sich die Top 5 in der diesjährigen Abstimmung musikalisch bis zur letzten Hi-Hat. Dahinter ist aber eine größere Bandbreite an Musik zu finden als gemeinhin unterstellt. Das zeigt schon allein der Vergleich der oben erwähnten vier Newcomer. Und vom Techno Marke Rødhåd, über den Ibiza-House von Maceo Plex bis zu den Disco-Sets von Motor City Drum Ensemble, wird nicht alles, aber doch ein Großteil der elektronischen Musikwelt repräsentiert.

Nur eben, dass der Tech House der großen Sommerfestivals auch diese Liste dominiert.

Gehören Polls ohnehin abgeschafft?

Um Sinn und Unsinn von Abstimmungen wie jene von Resident Advisor beurteilen zu können, muss zudem immer berücksichtigt werden, dass elektronische Musik ein Geschäft ist. Und Geschäften wohnt eine andere Logik inne, als die Würdigung von DJ-Skills alleine. Listen, bei denen die Konsumenten abstimmen, dienen als Marketinginstrument. "Hey hier, guck mal da spielt die Nummer 1 der Resident Advisor Top 100 DJs, lass hin Alter!" Wobei Dixon mittlerweile vermutlich keine PR mehr braucht.

Wie schon oben erwähnt, muss ein DJ schon einen gewissen Bekanntheitsgrad haben, um überhaupt in die engere Auswahl zu gelangen. Jahrespolls sind also nicht nur ein Instrument, um zukünftig Marketing mit den Ergebnissen zu betreiben, ihre Zusammensetzung ist auch ein Resultat von bereits betriebener Promotion.

Neben der ökonomischen Dimension haben Listen noch einen anderen Sinn: Sie drücken die Wertschätzung des Publikums für einen Künstler aus. The Black Madonna hat diesen Aspekt in ihrer Reaktion auf die Platzierung in den Top 10 angesprochen:

"Ich verstehe und respektiere die gemischten Gefühle die Leute über diese Abstimmung haben. Aber als ich sah, dass ich auf Platz 10 gewählt wurde, hab ich mir im Kopf jeden Einzelnen von euch vorgestellt, der für mich abgestimmt hat. (…) Jede dieser Personen teilte Zeit, Raum und Musik mit mir und in diesen harten Zeiten zählen solche Dinge für mich mehr denn je. Jeder von euch bedeutet mir etwas, also kann ich nicht zynisch sein darüber, dass ihr euch Zeit genommen habt, über eine Nacht nachzudenken, die wir gemeinsam verbracht haben."

Mögen Listen also ansonsten sinnlos sein, wenn sie zumindest diesen einen Sinn haben, sind sie nur noch halb so dramatisch. An den wenigen Frauen in den Top 100 und an den ökonomischen Mechanismen, die hinter der Marketingmaschine stecken, die die Abstimmungen mitbestimmt, würde auch die Abschaffung der Jahreslisten nicht viel ändern.

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