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Conflict cuisine

Conflict Cuisine—kurdische Küche in Berlin

Wir wollen den täglichen Berichten um Krieg, Terror und Leiden ein Gesicht geben. Wer könnte da besser helfen, als der Betreiber des einzigen kurdischen Restaurants in Berlin?

Irak, Syrien, Mexiko, Somalia: Die Tagesschau bringt uns die Krisenherde auf der Welt jeden Tag in unsere Wohnzimmer. Kriege werden abstrakt und damit auch das Leiden. Oft wird vergessen, dass sich hinter diesen Horrorgeschichten aber Menschen verbergen. In unserer neuen Kolumne Conflict Cuisine wollen wir diese Menschen über ihr Essen ein wenig besser kennenlernen.

Woran denkt man, wenn man „kurdisch" hört?

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Der Begriff ist seit Jahren, oder vielmehr Jahrzehnten fast Synonym für traurige Nachrichten: Da gibt es den lange schwelenden und immer wieder—wie zum Beispiel auch gerade jetzt—offen ausbrechenden Konflikt mit der Türkei. Denkt man an bekannte Kurden, denken viele erst einmal an Haftbefehl, ältere Semester vielleicht noch an Abdullah Öcalan, der seit 1999 auf einer Gefängnisinsel in der Türkei inhaftiert ist.

Wer ein bisschen informierter ist, weiß vielleicht, dass die Kurden eine bedeutende Volksgruppe sind, deren Siedlungsgebiet, das oft als Kurdistan bezeichnet wird, sich über die Türkei, den Irak, Iran und Syrien erstreckt. Einen eigenen Nationalstaat haben die Kurden jedoch nicht. Dafür erhielt die Kurdenregion im Nordirak weitgehend Autonomie—und gilt als Insel relativer ökonomischer und politischer Stabilität im Irak. Andererseits sind die Kurden auch wegen ihres Widerstands gegen den sogenannten IS in Syrien und im Irak in den Nachrichten, wo die Peschmerga-Truppen und die, unter anderem in den USA und Europa, als Terrororganisation angesehene PKK um jede einzelne Stadt kämpfen.

Die harten Fakten sind irgendwie abstrakt und sie führen dazu, dass auch die Menschen dahinter zu abstrakten Zahlen werden. Doch sie sind wie wir Menschen mit Lieblingsgerichten, die in der Küche stehen und ihrer Familie manchmal auch ein Festessen kochen möchten. Wir wollen wissen, wie Kobani schmeckt. Wie Rojava schmeckt. Wie Sulaymaniyah schmeckt.

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Wir wollen den täglichen Berichten um Krieg, Terror und Leiden ein Gesicht geben. Wer könnte da besser helfen, als der Betreiber des einzigen kurdischen Restaurants in Berlin?

In einer Ecke des Kottbusser Tors, wo Hipster auf Altlinke auf Junkies auf türkischstämmige Entrepreneure treffen, wo in Beton gegossener Brutalismus Gründerzeitbauten verbirgt, versteckt sich das Restaurant Lasan. Betreiber Gemshid ist vor 17 Jahren nach Deutschland gekommen, wo schon einige Familienmitglieder lebten. Ihm fehlte jedoch das Fladenbrot seiner Kindheit: „Arabisches, türkisches oder persisches Brot konnte man überall kaufen. Aber unser Tandur-Brot ist anders und das gab es nirgendwo."

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Also gründete er eine Bäckerei, in der bis heute kurdisches Fladenbrot gebacken und aus dem Fenster verkauft wird. „Am Anfang war es schwierig, aber im Laufe der Zeit ging es dann" , sagt er und lacht verschmitzt, „Ich sprach damals noch kein Deutsch und hatte keine Erfahrung. Wir konnten nicht einmal den Tandur-Ofen hier kaufen und mussten ihn aus Indien bestellen."

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Tandur-Öfen sind an sich nämlich keine kurdische Spezialität, solche zylindrischen Tonöfen gibt es überall auf der Welt, von Afrika über den mittleren Osten bis China. Zum Backen wird Teig an die heißen Wände des Ofens gedrückt und dann mit einem Feuerhaken wieder herausgezogen. Die Schwierigkeit, kurdisches Fladenbrot zu backen, liegt an Sachen wie Teig und Backzeit—das fertige Brot ist fluffig und wirft große Blasen. Für Gemshid war es eine besondere Herausforderung, einen kurdischen Bäckermeister zu finden—schlussendlich warb er einen kurdischen Bäcker aus Italien ab.

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Einige Jahre später ging er den nächsten Schritt und eröffnete sein Restaurant, das wohl einzige kurdische, oder zumindest offen kurdische, Restaurant in Berlin. „Viele Kurden führen Gastronomiebetriebe", erzählt er, „aber meistens kochen sie türkische Küche oder machen Pizza oder so. Ich wollte aber das Essen unserer Menschen anbieten."

Was verbirgt sich aber hinter kurdischer Küche?

Es ist schwer von der kurdischen Küche zu sprechen, da diese wie auch Kultur und Traditionen von Region zu Region stark schwanken. Jamshid kommt aus der mittlerweile autonomen Region Nordirak, auf der Speisekarte stehen Bulgur und Reis zu gleichen Teilen.

Eine besondere Delikatesse ist das kurdische Biryani, das seinen indischen und pakistanischen Namensvettern ziemlich ähnelt: mit Kurkuma gefärbter Reis mit Pistazien, Mandeln, kleinen Nudeln und Trockenfrüchten. Traditionell war es wohl Festtagsgericht, zum Beispiel für die Neujahrsfeierlichkeiten im März, das aber mittlerweile zur Alltagsküche gehört. Dazu gibt es gekochtes Fleisch, bei Lasan zum Beispiel vom Lamm.

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In den kurdischen Gebieten sind aber neben Lamm- und Rindfleisch vor allem Geflügelsorten wie Huhn, Pute oder Ente verbreitet. Neben Braten gibt es Kebabs, gleich wie bei anderen Volksgruppen in der Region. Die Hähnchen-, Lammfilet- und Hackfleischspieße werden bei den Kurden etwas anders zubereitet, im Gegensatz zu iranischen Kebabs, zum Beispiel, wird das Fleisch nicht in Zwiebelpaste eingelegt oder scharf gewürzt, sondern nur mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt. Auch die Textur ist etwas anders. Kurdische Kebabs sind laut Gemshid etwas weicher, „nicht jeder kann so einen Spieß aufziehen", erzählt er uns. Ganz ähnlich zur persischen und indischen Küche kann man Biryani oder weißen Reis auch mit Saucengerichten essen, zum Beispiel mit Okra in Tomaten-Zwiebel-Sauce.

Auch Gemüse wird in der kurdischen Küche viel verwendet, gefüllt mit Hackfleisch, Bulgur oder Reis. Gefüllte Weinblätter gehören ebenso auf den Tisch, wie auch gefüllte Bulgurbällchen namens „Kube" oder „Kuba" . Getrunken werden dazu Mastaw, sozusagen die kurdische Antwort auf Ayran, und Kefir, natürlich schwarzer Tee und Fruchtsäfte. Da die meisten Kurden Muslime sind, ist Alkohol in der Region zwar vorhanden, doch bei weitem nicht so verbreitet wie in anderen Kulturen.

Da einer der größten Vereine für Kurden in Berlin sich ganz in der Nähe von Jamshids Restaurant befindet, ist es ein bisschen wie ein Wohnzimmer für Teile der Community geworden. Die Weltpolitik ausblenden kann man hier am Kottbusser Tor nicht: Stolz gehört die kurdische Sonne zum Logo des Restaurants. Eine Zeit lang gab es Rabatte für kurdische Studenten und es wurde auch Geld gesammelt für den Kampf gegen den IS. „Wir haben versucht, einen solchen Ofen zu kaufen und nach Kobani zu schicken" , erzählt er, „wir haben den Tandur im Iran bestellt und er sollte in die Stadt hineintransportiert werden—doch es hat leider nicht geklappt."

Mit kurdischem Biryani auf dem Teller und Mastaw im Glas sind Kobani und Rojava plötzlich gar nicht mehr so weit weg.