Diese Kuchen sind politische Statements

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Künstler

Diese Kuchen sind politische Statements

Mit ihren Kuchen in Form von Designer-Handtaschen oder dem Kaspischen Meer dokumentiert Taus Makhacheva kritisch und verspielt kulturelle Veränderungen in ihrer Heimat Dagestan und geopolitische Probleme.

Taus Makhacheva erinnert sich noch gut daran, als sie das erste Mal gesehen hat, wie Hitler eine Torte in Form des Kaspischen Meeres angeschnitten hat.

„Dabei sagt ein Sprecher: ,Die Nazis-Ärsche wollen das Öl aus Baku!' Dann wird aus Aserbaidschan ein Stück von Baku ausgeschnitten und es kommt Sauce drüber. Das ist meiner Meinung nach der kreativste Propagandafilm, den ich je gesehen habe."

Taus Makhacheva, Cake, 2014 (4)

Der berühmte Kuchen vom Kaspischen Meer—Taus' Version

Taus ist bildende Künstlerin und beschäftigt sich damit, welche kulturellen Veränderungen es in ihrer Heimat Dagestan nach dem Zerfall der Sowjetunion gab. Den Film hat sie nur durch Zufall im Russischen Staatsarchiv für Filme und Fotodokumente in Krasnogorsk entdeckt, als sie eigentlich für einen Film über das verlassene Bergdorf Gamsutl recherchieren wollte. In dem Film der Sowjets wird das Ganze als deutsche Propaganda dargestellt, eine Anspielung auf Hitlers Vorhaben, die ölreichen Gebiete im Kaukasus zu erobern.

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„Ich habe das einigen Experten gezeigt, die alle meinten, es sei eine Fälschung. Es gibt keine einzige Szene, in der Hitler und der Kuchen gleichzeitig im Bild sind."

Taus Makhacheva, Cake, Friction Performance Art Festival, 2014 (3)

Bei einer Ausstellung in Schweden hat sie Hitlers Kuchen nachgemacht. Eine süße geopolitische Metapher mit einem halbflüssigen Kaspischen Meer in der Mitte. Im sogenannten „Friedenshaus" im Kunstmuseum des Schlosses von Uppsala wurde der Kuchen dann den Gästen präsentiert. Außerdem gab es einen Schokoladenrührkuchen in Form einer Karte der Russischen Föderation. Die Gäste konnten sich aussuchen, welche Region sie verspeisen wollten.

Das war das erste Mal, dass sie mit Essen Kunst gemacht hat. Bei dieser Form der Kunst geht es viel um Vermittlung, um ein aktives Eingreifen der Zuschauer, aber auch um das Spiel mit den Sinnen und mit sozialen Konstrukten. Ungefähr zur gleichen Zeit hat Taus Instagram für sich entdeckt und hat Kuchenbilder von kleinen Bäckereien in Dagestan gesammelt.

„Instagram ist ein wichtiges Kommunikationsmittel in Dagestan, da wird viel Werbung gemacht. Make-up-Artists aus Dagestan haben Hunderttausende Follower."

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Kuchen, die aussehen wie Handtaschen von Chanel, Schminkpaletten von MAC, Jimmy-Choo-Schuhe oder andere Luxusaccessoires, passen anscheinend gut zu den zuckersüßen Wünschen einer ganzen Generation. Die Wirtschaft der russischen Teilrepublik im nördlichen Kaukasus stagniert, unter anderem wegen Korruption und Konflikten mit Tschetschenien und mit militanten Bewegungen des Islams. Sind die Kuchen also einfach nur ein Spiel der Fantasie oder ein Ausdruck des Status quo? Ein Mahnmal aus mehreren Schichten mit Cremefüllung? Einer der Bäcker, mit denen Taus gesprochen hat, musste einmal versuchen, eine Oma davon abzuhalten, für ihren 13-jährigen Enkel einen Kuchen in Form eines geldgefüllten Aktenkoffers zu bestellen.

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Ihre Dokumentation brachte sie auf die Idee zu einem „kuratierten Dessert"—Kuchen von gefälschten Designerobjekten: ein Gürtel von Hermès, ein Portemonnaie von Yves Saint Laurent und die Peekaboo-Bag von Fendi mit den gefährlichen gelben Augen.

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„Das Ganze ist spielerisch, leicht, essbar, macht Spaß und hat außerdem eine Aussage. Es gibt immer diese subversive Note", erklärt uns die Künstlerin. „Am Anfang zeigt sich etwas Typisches für die Region, ein Ausdruck der Prioritäten der Menschen, und dann geht es über in einen Kommentar zur allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Situation."

Im letzten Sommer hat Taus Freunde gebeten, einen klassischen Kuchen in Form einer Chanel-Tasche zu backen—mit essbarem Logo—, den sie dann nach London gebracht haben. Bei einem thematischen Dinner der Reihe „Politics of Food" der Delfina Foundation, in der Nähe des Buckingham Palace, wurde der Kuchen dann gegessen.

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„Selbst die etwas komische Art und Weise des Transports, wie der Kuchen von einer Hand zur anderen wanderte und schließlich von Baku nach London kam, wurde damit Teil des Kunstwerks. Als Kind bin ich immer mit Kisten mit gefrorenem Fleisch nach Moskau gereist, das meine Großmutter mir mitgegeben hat."

Der Chanel-Kuchen war Teil eines Vier-Gänge-Menüs, bei dem sich die Gäste chronologisch durch die kulinarische Geschichte Dagestans essen konnten—inklusive politischem Kommentar. Es gab ein traditionelles Bohnengericht, Würste, Fleisch in verschiedenen Variationen und Fladenbrot, dazu Aprikosenkompott und einen speziellen Schnurrbart-Löffel, der so geformt ist, dass auch Männer mit Schnurrbärten unbeschwert essen können. Taus hat außerdem ein Kilo Kaviar von Dagestan nach London eingeschmuggelt für ein Gericht, das ihre Erinnerungen an die Sowjetunion symbolisiert. Der Kaviar wurde—zum leichten Entsetzen der Gäste—in einem großen Topf mit Kartoffelbrei verrührt. Während ihrer Kindheit am Kaspischen Meer gehörte Stör zum Alltag, so sehr, dass Kaviar, wie sie sagt, „statt Salz benutzt wurde."

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Kartoffelbrei mit Kaviar

„Die Mitarbeiterinnen der Stiftung haben kurz den Atmen angehalten, als ich den Kaviar in das Kartoffelpüree rühren wollte und meinten: ,Nein, nicht den ganzen Kaviar.'"

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Dieses Jahr war Taus mit einem weiteren Dinner-Event wieder von der Delfina Foundation bei der Art Dubai: „The Wedding Project". Jeder Gang wurde von einem anderen Künstler gestaltet. Als Grundlage dafür dienten ihnen alte arabische Texte aus dem 10. Jahrhundert, die alle Liebe unterschiedlich definierten, von hawa (Anziehung) bis huyum (Wahnsinn). Taus' Stichwort für ihr Dessert war „Chaos". Die Gäste in Dubai erhielten essbares Besteck und Teller und essbare Servietten, die irgendwie wie Marshmallows waren. Der Kuchen allerdings war aus Holz.

Ein gewiefter Trick? Oder ein Kommentar zu unserer inhaltsleeren Faszination mit Essen? Essen, das für uns zu einem „Lifestyle" geworden ist, während wir gleichzeitig die Augen davor verschließen, dass die Ressourcen zur Neige gehen und der Reichtum der Welt nicht gerecht verteilt ist. Wir schätzen Aussehen und Vorfreude mehr als die eigentliche Erfahrung. Süß und subversiv zugleich. Das Ergebnis wurde schön für Instagram hergerichtet, der hölzerne Kuchen ist jetzt ein Sammlerobjekt.

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Die Künstlerin mit ihrem Chanel-Kuchen

Doch Taus' Projekte und Performances sind eine kleine willkommene Ablenkung, auch wenn sie politisch sind. Wie ein amuse bouche zwischen ihren anderen Werken. Oder wie sie es sagen würde: „Vielleicht könnte man sagen, dass das einfacher zu verdauen ist?"