Harte Fakten zum Zusammenhang zwischen Pornos und Erektionsstörungen
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Wissenschaft

Harte Fakten zum Zusammenhang zwischen Pornos und Erektionsstörungen

Darum ist die Hysterie zu den Auswirkungen von Pornografie auf steife Penisse nicht gerade standhaft.

Ich bin Porno-Forscher. Deshalb ist mir auch aufgefallen, dass immer mehr Leute eins glauben: Pornografie ist Gift für Erektionen. Laut vieler Schlagzeilen ist diese Entwicklung zur Schlaffheit dadurch bedingt, dass alle Arten von Schmuddelfilmchen nur noch wenige Mausklicks entfernt sind.

Vergangene Woche behauptete die australische TV-Moderatorin Alison Mau, dass ein armer Tropf "im Grunde die Nervenbahnen von seinem Gehirn zu seinem Penis zerstört hat". Das klingt erstmal erschreckend. Soweit ich weiß, gibt es jedoch nur eine Möglichkeit, wie Masturbation zu Pornos diese Nervenbahnen zerstören kann: Der Betroffene muss sich dafür den Penis vom Körper reißen. "Porno-Sucht sollte als Krankheit gelten", heißt es in der Überschrift des Artikels. Aber gibt es so etwas wie Porno-Sucht überhaupt? Und wurde so etwas in irgendeiner wissenschaftlichen Studie schon mal mit Erektionsstörungen in Verbindung gebracht?

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Wenn man über diese Verbindung nachdenkt, ergibt sie irgendwie Sinn: Wenn sich Männer zu oft zu unrealistischen Pornos einen runterholen, dann können sie in einem "echten" sexuellen Szenario keine Leistung mehr bringen. Forschungen zu diesem Thema unterstützen eine solche Annahme jedoch keineswegs. In einer Online-Querschnittstudie aus dem Jahr 2015, für die 3.984 Kroaten, Norweger und Portugiesen befragt wurden, heißt es: "Entgegen wachsender öffentlicher Sorgen scheint Pornografie keinen bedeutenden Risikofaktor für das Verlangen und die Erektions- sowie Orgasmusfähigkeit von jungen Männern darzustellen." In einer anderen Studie aus dem gleichen Jahr – diesmal mit 208 nicht in ärztlicher Behandlung stehenden Amerikanern – heißt es, dass Porno-Konsum "wahrscheinlich keinen negativen Einfluss auf die sexuelle Funktionsfähigkeit hat – vor allem, weil die Befragten, die mehr Pornografie konsumierten, auch positivere Antworten gaben."

Solche Erkenntnisse verhindern jedoch nicht, dass immer wieder neue, besorgte Berichte auftauchen, die sich darum drehen, wie Pornos die sexuellen Fähigkeiten der Männer zerstören. "Hooked on porn: Prepare for a tsunami of damaged people", warnte der Herald letztes Jahr. Die Zeitung zitierte dabei die Sexualforscherin Liz Walker, die sagte: "Vor dem Internet traten Erektionsstörungen nur bei 2 bis 5 Prozent der Männer unter 40 auf. Inzwischen liegt dieser Prozentsatz zwischen 27 und 33 Prozent." Wenn man jedoch nach der von ihr genannten Studie sucht, wird es merkwürdig. Ihre Quelle ist nämlich diese Arbeit, in der wiederum zwei andere Arbeiten als Quellen der Zahlen angegeben werden. Und in keiner dieser beiden Arbeiten gilt Pornografie als Ursache. Außerdem ist der Mitautor der Arbeit, Gary Wilson, ein bekannter und eifriger Anti-Porno-Aktivist.

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Junge Männer schauen dabei zu, wie Penisse in Erotikfilmen wie Motorkolben unaufhörlich ihre "Arbeit" verrichten. "So muss Sex aussehen", verinnerlichen die Zuschauer dann.

Bei meiner erfolglosen Suche nach Forschung, die Pornografie mit schlaffen Penissen in Verbindung bringt, stieß ich auf eine Liste der häufigsten Ursachen für Erektionsstörungen. Statt Erotikfilmen stehen darauf jedoch Depressionen, Angstzustände, Nervosität, die Einnahme diverser Medikamente, Rauchen, Alkohol, Drogenkonsum und Krankheiten wie Diabetes oder Herzleiden. Selbst zu langes Fahrradfahren kann zu temporären Erektionsstörungen führen, wenn der Sattel die Nerven im Damm zusammendrückt. Einer Schätzung zufolge könnten Erektionsstörungen bei der Hälfte aller Männer auftreten und einer von vier Männern, die Erektionsstörungen ärztlich behandeln lassen, ist noch unter 40.


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Vielleicht liegt das Problem auch darin, dass die Porno-Darsteller immer einen hochbekommen. Junge Männer schauen dabei zu, wie Penisse in Pornos wie Motorkolben unaufhörlich ihre "Arbeit" verrichten. "So muss Sex aussehen", verinnerlichen die Zuschauer dann. Und schließlich werden sie in unzähligen Artikeln und Talkshows wegen dieser Schlussfolgerung zurechtgewiesen. Überlegungen, warum wir es nicht schaffen, junge Männer zu den Themen sexuelles Vergnügen, Respekt und Kommunikation im Bett aufzuklären, haben keinen Platz mehr. Stattdessen heißt es: "Jungs, Frauen wollen nicht wie Hasen weggerammelt werden! Wir sind jedoch besorgt, dass ihr keinen hochbekommt. Und ihr solltet euch deswegen ebenfalls Sorgen machen!" Das Stichwort lautet hier Versagensangst. Eine Sache finde ich komisch: In den Artikeln, die sich um Erektionsstörungen drehen, ist immer wieder die Rede davon, dass Männer im Grunde nur eine einzige sexuelle Aufgabe haben: steif werden und ihn reinstecken.

Es ist nicht bewiesen, dass Erektionsstörungen mehr auf dem Vormarsch sind denn je. Warum kümmern wir uns dann nicht lieber um die Aspekte der Pornografie, die wirklich zu kritisieren sind?

Werden sich Erektionsstörungen bei jungen Männern zu einem noch nie dagewesenen Grad der Schlaffheit entwickeln? Ich bezweifle es. Die Angst, dass Pornografie dazu führt, nicht mehr ein bestimmtes Körperteil in ein anderes bestimmtes Körperteil stecken zu können, erinnert an eine jahrhundertalte Sorge: Exzessive Masturbation bedeutet das Ende der Menschheit, weil niemand mehr Sex hat. Es ist nicht bewiesen, dass Erektionsstörungen mehr auf dem Vormarsch sind denn je. Warum kümmern wir uns dann nicht lieber um die Aspekte der Pornografie, die wirklich zu kritisieren sind – zum Beispiel die Interpretation der Inhalte, die Arbeitsbedingungen der Industrie und dass junge Menschen Pornos für echt halten und als Lehrfilme sehen.

Kris Taylor ist Doktorand an der University of Auckland. Er beschäftigt sich damit, wie Männer mit Pornografie umgehen und Porno-Sucht verstehen.

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